Erschöpfung im Feierabend:"Fernsehen ist anstrengend fürs Gehirn"

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Zu erschöpft für soziale Aktivitäten: Viele Arbeitnehmer verbringen den Feierabend auf dem Sofa vor dem Fernseher. (Foto: Darko Novakovic drx@neobee.net; iStock)

Vom Bürostuhl direkt auf die Couch: Jeder fünfte Arbeitnehmer fühlt sich nach dem Job oft zu erschöpft, um noch etwas zu unternehmen. Psychologe Markus Väth erklärt, worauf man beim Abschalten achten sollte und wann Trägheit ein Warnsignal ist.

Von Violetta Hagen

Nach der Arbeit mit Freunden treffen oder Sport treiben: Das ist vielen zu anstrengend. Mehr als jeder Fünfte ist am Abend oft zu erschöpft für private Unternehmungen, wie eine repräsentative Umfrage des Marktforschungsinstituts Academic Data unter Berufstätigen zeigt. Der Psychologe Markus Väth erklärt, wann der Feierabend auf der Couch zum Problem wird.

SZ: Jeder fünfte Arbeitnehmer schafft es nicht, abends noch etwas zu unternehmen - überrascht Sie diese Zahl?

Markus Väth: In gewisser Weise schon - ich hätte sie höher angesetzt.

Wie wichtig ist es denn, dass man sich zum Feierabend noch mal aufrafft?

Wirklich wichtig ist es, eine klare Linie zwischen Arbeit und Feierabend zu ziehen! Das ist es, was den Leuten Stress macht: Sie gehen nach Hause, haben den Job aber noch im Kopf und sind auch oft noch verfügbar. Erst wenn man sich von der Arbeit richtig verabschiedet hat, kann man aus dem Feierabend etwas machen. Da entspannt sich dann jeder ganz anders. Das verbreitete Credo: "Jeder muss am Feierabend irgendwie aktiv sein" - ist Quatsch.

Also spricht aus Ihrer Sicht gar nichts dagegen, mehrere Abende in der Woche vor dem Fernseher zu verbringen?

Das ist grundsätzlich in Ordnung. Fernsehen ist allerdings ein Sonderfall, denn das ist für das Gehirn immer anstrengend - selbst wenn man das Gefühl hat, sich dabei zu entspannen. Aber sich hinsetzen, ein Buch lesen, ein Bild malen, spazierengehen - das sind alles Sachen, die im Feierabend Sinn machen.

Kann die ständige Trägheit im Feierabend ein Warnsignal sein? Wenn man abends keine Kraft mehr hat, Freunde zu treffen oder Sport zu machen - obwohl man das früher gerne gemacht hat?

Bei Menschen, für die soziale Aktivitäten und Bewegung zum Selbstkonzept gehören, kann das ein Warnsignal sein, ja. Das echte Bedürfnis nach diesen Dingen ist etwas anderes als der fromme Wunsch: "Ich sollte eigentlich mal was unternehmen." Wenn ich bestimmte Aktivitäten im Feierabend vermisse, dann entwickelt sich daraus auf Dauer ein Defizit.

Und wenn man sich nicht als aktiver Typ fühlt - gibt es da trotzdem einen Punkt, an dem es kritisch wird?

Ja, der Mensch ist nun mal ein soziales Wesen. Die Kunst ist es, das rechtzeitig festzustellen. Man muss sich selbst gut beobachten, um zu merken: Jetzt brauche ich wirklich mehr sozialen Austausch, jetzt sollte ich den Kontakt zu Freunden suchen, sonst geht es mir auf lange Sicht nicht gut.

Viele Menschen lernen ihre Freunde über den Beruf kennen. Ist es nicht kontraproduktiv, sich mit denen auch noch nach Feierabend zu treffen? Dann wird ja doch wieder nur über den Job geredet.

Es ist eigentlich nicht so wichtig, mit wem man sich trifft. Es muss nur angenehm sein.

Also mit Leuten, die einem gut tun.

Genau.

Paare mit Kindern haben selten Zeit für private Unternehmungen. Solche Leute werden diese Diskussion vermutlich als Luxusproblem betrachten.

Das ist so nicht richtig. Denn für Leute mit Familie findet der soziale Austausch, der für uns so wichtig ist, eben in der Familie statt. Wenn ich noch jünger bin, dann erfüllen meine Freunde, mit denen ich abends um die Häuser ziehe, diese Funktion. Egal ob Freunde oder Familie - man braucht diese soziale Einbettung. Deswegen ist die Diskussion über einen entspannten Feierabend kein Luxusproblem. Wenn man sich völlig zurückzieht und jeden Abend allein hinterm Fernseher und dem Computer hängt, dann kann das problematisch werden.

Sie haben vorhin gesagt, dass sich jeder Mensch anders entspannt. Gibt es trotzdem bestimmte Aktivitäten, bei denen das besonders gut klappt?

Es gibt da keine Positivliste. Aber es gibt eine Negativliste und da steht, wie gesagt, das Fernsehen ganz oben drauf. Völlig unabhängig übrigens vom Programm! Das ist keine moralisch-wertende Aussage, sondern eine neuro-psychologische. Wenig empfehlenswert sind auch alle Arten von Drogen.

Drogen?

Ja! Überlegen Sie doch mal: Wie viele Leute gibt es, die sagen: "Jetzt entspanne ich mich mal mit einem Glas Wein." Und aus dem Glas wird dann schleichend eine Flasche. Und irgendwann ist die Flasche der einzige Freund, den man noch hat.

Wie sieht es mit dem Computer aus?

Da muss man unterscheiden: Wenn ich mich davorsetze und von Seite zu Seite klicke, ist das nicht sehr erfüllend. Wenn ich aber etwas Konstruktives mache, etwa eine E-Mail an Freunde schreibe oder an meiner privaten Homepage bastele, dann kann das gut tun. Auch Computerspiele sind nicht per se schlecht. Es muss ja keines sein, bei dem man mit einem bluttriefenden Messer durch den Dschungel rennt. Das ist eher nervenaufreibend. Aber wenn man dieses Medium richtig nutzt, dann ist daran nichts auszusetzen.

Markus Väth ist Diplom-Psychologe und Autor. Er arbeitet als Karrierecoach in Nürnberg. Sein jüngstes Buch "Cooldown. Die Zukunft der Arbeit und wie wir sie meistern" ist 2013 erschienen.

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