Entschädigung für Patienten:Erst Operationssaal, dann Gerichtssaal

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In einem Krankenhaus der Diakonie: Kirchen und Sozialunternehmen befürchten, dass künftig weniger Fördermittel und Anlegergeld in solche Einrichtungen fließen. (Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Wenn Patienten wegen ärztlicher Kunstfehler klagen, verlieren sie meist - die Beweislage ist schwierig. Einige Länder treiben nun Pläne für einen Fonds voran, der Betroffenen rasch helfen soll.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Richter und Ärzte dürften führend sein unter den Berufsgruppen, in deren Hände man sich eher ungern begibt, einfach deshalb, weil verlorene Prozesse existenzgefährdend und fehlgeschlagene Operationen lebensbedrohend sein können. Steigerungsfähig ist dieses Unglück dadurch, dass manchmal beides zusammenkommt: Erst der Behandlungsfehler, der den Infarkt ausgelöst oder die Schulter bewegungsunfähig bemacht hat. Und dann der Rechtsstreit über die Haftung des schlampigen Mediziners. Erst der Operations- und dann der Gerichtssaal - das kann ein Leben ruinieren.

Arzthaftungsprozesse sind eigentlich nur dann aussichtsreich, wenn es gelingt, dem Mediziner einen "groben Behandlungsfehler" nachzuweisen - grundverkehrte OP-Methode, völlig überhöhte Medikamentendosierung, etwas in der Art. Dann nämlich liegt die Beweislast beim Arzt: Um der Haftung zu entgehen, müsste er belegen, dass die gravierenden Schäden, an denen der Patient leidet, nicht auf sein handwerkliches Ungeschick zurückzuführen sind. Ein Beweis, der nicht einfach zu führen ist.

Das ist, wenn man so will, ein grober Gerechtigkeitsfehler

Geht es dagegen nur um einen "einfachen" ärztlichen Kunstfehler (der ein kleiner Fehler mit schlimmen Folgen sein kann), lässt sich die Gefechtslage für den Patienten so zusammenfassen: Wahrscheinlich wird er einen langen, teuren und aussichtslosen Prozess führen. Dann nämlich ist er es, der nicht nur die Verantwortlichkeit des Mediziners belegen muss, sondern auch, dass seine Beschwerden die Folge dieses Fehlers sind. Was das bedeutet, zeigt eine Statistik des baden-württembergischen Justizministerium: Über zwei Instanzen dauert ein Arzthaftungsprozess wegen der vielen Gutachten im Schnitt gut 40 Monate - normal sind knapp 25. Und in drei Viertel der Fälle trägt der Kläger die Gerichtskosten überwiegend oder oft sogar vollständig. Das heißt: Meistens verliert der Patient.

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:Nicht nur bestrafen

Dass der Operateur das falsche Knie aufschneidet, kommt immer wieder vor. Um solche Behandlungsfehler in Krankenhäusern und Praxen zu vermeiden, braucht es kein staatliches Wächterinstitut - sondern einen anderen Umgang mit Fehlern.

Ein Kommentar von Guido Bohsem

Das ist, wenn man so will, ein grober Gerechtigkeitsfehler. So jedenfalls sieht das der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU), der nun gemeinsam mit Niedersachsen eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat - mit dem Ziel, eine Bundesratsinitiative zu starten. Den Anstoß gab ein Beschluss der Justizministerkonferenz vom Juni. Im Zentrum der Überlegungen steht die Einrichtung eines Patientenentschädigungsfonds. Der Plan: Rasche und unbürokratische Entschädigung, auch wenn damit nicht der gesamte Schaden abgedeckt wird.

Ganz neu ist die Idee nicht. Schon beim Erlass des Patientenrechtegesetzes von 2013 hatte man über einen solchen Fonds nachgedacht, die Sache damals aber nicht aufgegriffen. Die Hamburger Gesundheitsbehörde hatte vor ein paar Jahren ein umfangreiches Gutachten für einen Modellversuch in Auftrag gegeben, das seither fertig in der Schublade liegt. Auch der bayerische Landtag hat beschlossen, dass unbürokratische Entschädigung eine gute Idee wäre; das bayerische Gesundheitsministerium arbeitet derzeit ebenfalls an einer Bundesratsinitiative. "Mein Ziel ist es, die Situation für betroffene Patientinnen und Patienten zu verbessern", sagt Ministerin Melanie Huml (CSU).

Die Pläne würden geschätzt bis zu 500 Millionen Euro kosten - doch wer soll das bezahlen?

Als Vorbild wird gern das österreichische Modell genannt. Der Entschädigungsfonds steht dort gleichsam als Auffangnetz für aussichtslose Haftungsprozesse bereit: Wenn der sichere Nachweis der Haftung "erheblichen Schwierigkeiten begegnet", aber auch bei seltenen oder bis dahin unbekannten schwerwiegenden Komplikationen kann der Patient - je nach Bundesland - eine Entschädigung zwischen 20 000 und 100 000 Euro erhalten; für besondere Härtefälle gibt es einen weiteren Fonds. Gelingt es doch noch, eine Entschädigung einzuklagen, geht das Geld an den Fonds. Nach den seinerzeit in Hamburg vorgenommenen Schätzungen könnten die Kosten für einen deutschen Fonds zwischen 125 und 500 Millionen Euro im Jahr liegen.

Und wer bezahlt? Man könnte an die Haftpflicht der Krankenhäuser denken, womit die Finanzierung letztlich bei den Verursachern der Schäden angesiedelt wäre. Aber die Versicherungskosten würden vermutlich das Gesundheitssystem verteuern, die Kosten würden womöglich doch wieder bei den Patienten ankommen. Im Ausland greift man eher auf andere Modelle zurück. In Frankreich gibt es einen Schadensfonds, der von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen wird, Schweden hat eine eigene Patientenversicherung eingeführt. Österreich dagegen finanziert den Fonds über einen Zuschlag von 73 Cent pro Krankenhaustag. Nach diesem Modell käme man in Deutschland auf knapp zwei Euro Zuzahlung, hat die Hamburger Gesundheitsbehörde vor Jahren errechnen lassen. Die Beispiele aus dem Ausland laufen also letztlich auf das Solidaritätsprinzip hinaus - Patienten zahlen für Patienten.

© SZ vom 06.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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