Cholera auf Haiti:Impfungen kamen viel zu spät

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Auf das Erdbeben in Haiti 2010 folgte eine Cholera-Epidemie - mindestens 7000 Menschen starben. Dabei hatte erstmals ein billiger Impfstoff zur Verfügung gestanden. Es durfte aber nicht eingesetzt werden.

Niklas Schenck

Die Regenzeit hat begonnen in Haiti, und die Dorfbewohner wissen, dass dann die Cholera zurückkommen kann. Viele haben bereits Verwandte sterben sehen. Geduldig stellen sie sich deshalb an, holen sich die erste Dosis einer Schluckimpfung, die eine amerikanische Hilfsorganisation nun endlich verteilen darf.

Voraus ging ein bizarrer Streit, der fast 18 Monate dauerte. Denn nach dem Erdbeben im Januar 2010 folgte im November des Jahres die nächste Katastrophe, die Cholera: Mehr als eine halbe Million Haitianer sind in der Zwischenzeit erkrankt, mindestens 7000 starben.

"Es hätte gleich zu Beginn eine Impfkampagne geben müssen", sagt Christian Meyer, Tropenmediziner am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg. Es war klar, dass der Aufbau einer grundlegenden Wasserversorgung - das Mittel der Wahl gegen Cholera - utopisch ist.

Und es war klar, dass erstmals ein Impfstoff zur Verfügung stand, der billig genug war: das in Indien produzierte Shanchol. Es durfte aber nicht eingesetzt werden. Das verhinderten zunächst behäbige Behörden und zögerliche Geber, später eine Medienkampagne in Haiti.

Shanchol reduziert das Risiko einer Choleraerkrankung um 70 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) war aber zunächst skeptisch. "Wir hielten Impfungen vor allem für logistisch unmöglich", sagt Andrea Vicari von der WHO. Sie räumt ein, manche Experten hätten auch befürchtet, Geld, Mitarbeiter und Ausrüstung könnten den Hilfsprojekten fehlen, die Cholera an der Wurzel packen und sich um sauberes Wasser und bessere Hygiene kümmern.

Die haitianische Regierung hielt sich an den Rat der WHO und verbot die Impfung. Dann starben immer mehr Menschen. Im September 2011 erteilte die WHO dem Impfstoff Shanchol ihren Segen, ein Jahr nach Beginn der Epidemie. Seit Dezember spricht sie sich vorsichtig für Impfungen aus. Neue Erkenntnisse hatte sie nicht. "Wenn Impfen 100 000 Menschen vor der Krankheit bewahren kann, warum nicht?", sagt Vicari.

Als die WHO ihre Meinung geändert hatte, erlaubte Haitis neue Regierung der amerikanischen Organisation Partners in Health die Bevölkerung zu impfen. Doch die Menschen trauten den ausländischen Helfern nicht - wohl auch, weil die Vereinten Nationen nie eingestanden haben, dass es Blauhelm-Soldaten aus Nepal waren, die die Cholera ins Land gebracht hatten.

Ein Blogger lancierte das Gerücht, die Impfungen dienten als Experiment mit Menschen. Eine Bioethik-Kommission des Gesundheitsministeriums beriet über die Impfungen, was deren Beginn zusätzlich verzögerte. Derweil begann der nächste Ausbruch.

Die Impfkampagne soll nun zeigen, dass Choleraimpfungen in großer Zahl machbar sind. Vorerst impft Partners in Health nur 100.000 Haitianer im Artibonite-Tal. Das verbraucht alle weltweit verfügbaren Impfdosen, Herdenimmunität erreicht das Land nicht. Danach sollen Geber wie die Gates-Stiftung oder die globale Impfallianz GAVI entscheiden, ob sie Cholera-Impfungen künftig finanzieren. Nur dann lohnt es sich für Hersteller, ihre Produktion anzukurbeln.

Doch auch Shanchol ist nicht ohne Tücken: Ärzte müssen Patienten zwei Mal innerhalb von zwei Wochen impfen - nicht einfach in einem Land, in dem Melderegister fehlen und Menschen oft keine feste Adresse haben. Gelingt das, wirkt der Impfstoff für drei Jahre. Die GAVI hätte das Geld, um große Vorräte des Impfstoffs zu ordern. "Wir rechnen aber nicht mit Zusagen vor der folgenden Regenzeit", sagt Jon Lascher von Partners in Health. Zu lange hat er auf die Freigabe gewartet, um optimistisch zu sein.

Bisher übernahm Ärzte ohne Grenzen (MSF) die Cholera-Behandlung in Haiti fast allein. Auch MSF will Shanchol einsetzen. "Impfen könnte überall dort von Vorteil sein, wo sich auf die Schnelle keine Wasser- und Abwasseranlagen installieren lassen", sagt David Olson, medizinischer Direktor bei MSF. "Was nicht passieren darf, ist, dass wir impfen und andere Schritte darüber vergessen." Eine Impfung schützt im besten Fall vor Cholera - sauberes Wasser schützt vor vielen Leiden.

© SZ vom 25.04.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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