Antibiotika-Resistenzen:Zwischen Furcht und Laxheit

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Antibiotika verlieren immer schneller ihre Schlagkraft. Das macht die Entwicklung neuer Mittel wirtschafltich unattraktiv. (Foto: imago stock&people)

Immer schneller verlieren Antibiotika ihre Wirkung. Die Patienten sorgen sich - und missbrauchen die Medikamente gleichzeitig als vermeintliche Mittel zur Leistungssteigerung.

Von Berit Uhlmann

Herr X hat Halsschmerzen. Er besorgt sich etwas Penicillin und nimmt ein paar Tabletten ein. Nicht genug, um die Bakterien zu töten, aber immerhin so viele, dass die Erreger lernen, wie sie sich dem Angriff des Antibiotikums entziehen. Dann steckt Herr X seine Frau an. Sie erkrankt an einer Lungenentzündung und bekommt ebenfalls Penicillin. Da die Bakterien nun aber resistent gegen das Medikament sind, hilft ihr das Mittel nicht mehr. Die Frau stirbt.

Dieses Schicksal beschrieb Alexander Fleming, als er 1945 den Medizin-Nobelpreis für die Entdeckung des Penicillins entgegennahm. Seine Schilderung war eine Warnung, der Fall lediglich ein hypothetisches Zukunftsszenario. Heute ist es längst Realität, dass bei Patienten nicht nur ein, sondern auch zwei, drei oder noch mehr Antibiotika versagen, weil die Erreger unempfindlich geworden sind. Etwa 1000 bis 4000 Menschen sterben nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts jährlich in Deutschland, weil sie sich mit einem mehrfach resistenten Keim infizieren. Solche Berichte machen Angst; und doch herrscht auf der anderen Seite eine Laxheit im Umgang mit Antibiotika, die den Experten des SZ-Gesundheitsforums Sorgen bereitet.

Dabei sind längst nicht alle Befürchtungen realistisch, sagt Gerhard Schwarzkopf-Steinhauser, der am Städtischen Klinikum für die Hygiene zuständig ist. Als der Klinikbetreiber Asklepios im Jahr 2015 Patienten befragte, was sie im Falle eines Krankenhaus-Aufenthaltes am meisten fürchten, nannte die Mehrheit multiresistente Keime. 65 Prozent hatten Angst, sich mit einem solchen Erreger anzustecken. Tatsächlich aber kommen solche Infektionen gar nicht so häufig vor.

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Zwar ziehen sich etwa 400 000 bis 600 000 Krankenhauspatienten jährlich eine Infektion zu. Doch nur in fünf Prozent der Fälle sind die Bakterien multiresistent und damit schwer zu behandeln, sagt der Hygieniker. Lediglich 0,3 Prozent der Bakterien seien hochresistent, gegen sie ist also fast gar kein Antibiotikum mehr wirksam. "In den allermeisten Fällen aber finden wir noch ein neueres Medikament, das hilft", sagt Johannes Bogner, Infektionsmediziner an der Münchner LMU.

Auch wenn Infektionen in Kliniken häufig sind, liegen nicht allein dort die Ursachen für Resistenzen. Ein Teil des Problems geht auf den ambulanten Medizinsektor zurück, räumt Lutz Bader von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern ein: Niedergelassene Ärzte verordnen Antibiotika häufig auch dann, wenn die gar nicht nötig sind. Damit geben sie Bakterien die Chance, Resistenzen gegen die Medikamente zu entwickeln. 30 Prozent der unnötigen oder zumindest zweifelhaften Verordnungen gehen nach einer Befragung von Hausärzten aus dem Jahr 2015 auf die Forderung der Patienten zurück.

Eine Umfrage der Krankenkasse DAK hatte schon ein Jahr zuvor ergeben, dass hinter dem Wunsch der Kranken oft Wissenslücken stehen. Drei Viertel aller Befragten fanden, dass bei einer hartnäckigen Erkältung ein Antibiotikum eingesetzt werden sollte. Dabei helfen diese Medikamente nur gegen Bakterien; Erkältungen aber werden durch Viren verursacht. "Darüber hinaus werden die Medikamente auch als Mittel zur Leistungssteigerung verstanden: Ein Viertel möchte ein Rezept, um aus beruflichen Gründen schnell wieder fit zu sein", heißt es in dem Bericht der Kasse.

Forderungen nach schneller Antibiotika-Gabe kennt auch der Veterinärmediziner Rolf Mansfeld. 2015 wurden deutschlandweit etwa 800 Tonnen Antibiotika in der Tiermedizin eingesetzt. Es scheint allerdings, dass diese Praxis "von untergeordneter Bedeutung für die Infektionen des Menschen" ist, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung einschätzt. Mansfeld führt als Beispiel die MRSA-Infektionen an: "Weniger als fünf Prozent der Infektionen mit diesen multiresistenten Erregern haben ihren Ursprung in der Tiermedizin."

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Allerdings sind die Erkenntnisse über das Ausmaß der Resistenze n und ihrer Folgen nicht allzu üppig. Endgültige Sicherheiten gibt es nicht. Deshalb besteht zwar kein Grund zur Panik, aber das Problem sollte doch sehr ernst genommen werden, mahnen die Experten. Denn Antibiotika verlieren mittlerweile immer schneller ihre Schlagkraft. Manchmal bilden sich Resistenzen schon ein bis zwei Jahre nach Markteinführung, sagt Andreas Sing vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel. Für die Pharmaindustrie lohnt sich die teure Suche nach neuen Mitteln damit nicht mehr; sie stellt immer weniger Nachschub bereit. Und selbst wenn die Firmen die Entwicklung beschleunigen, wie es beispielsweise die Weltgesundheitsorganisation fordert, ist das Problem damit nicht gelöst, sondern nur verschoben. "Neue Antibiotika zu entwickeln, ohne Mechanismen zu haben, die ihren angemessenen Einsatz sichern, ist etwa so, als servierte man einem Alkoholiker einen edleren Brandy", sagte der amerikanische Infektionsmediziner Dennis Maki schon vor Jahren.

Die Experten des Gesundheitsforums waren sich einig, dass solche Mechanismen nötig sind - und zwar in vielen Bereichen der Gesellschaft. Landwirte und Tiermediziner müssen den Verbrauch der Antibiotika weiter senken. In den Kliniken müssen mehr Hygiene- und Infektionsmediziner eingesetzt werden. In den "allermeisten Kliniken hierzulande sind Stellen für Infektiologen gar nicht regelhaft vorgesehen, und gerade an kleinen Krankenhäusern stehen oft auch keine infektiologischen Konsiliardienste zur Verfügung. Während in Ländern wie Schweden oder den USA auf eine Million Einwohner mehr als 20 Fachärzte für Infektiologie kommen, sind es in Deutschland nur rund sieben", kritisierte die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie vor wenigen Tagen.

Wichtig ist zudem, dass niedergelassene Ärzte Antibiotika zielgerichteter verschreiben. Vergleicht man den Antibiotika-Verbrauch der europäischen Länder, liegt Deutschland im unteren Drittel. Staaten wie die Niederlande zeigen, dass Einsparungen durchaus noch möglich sind.

Dazu können auch die Patienten beitragen. Sie sollten Antibiotika nur dann einnehmen, wenn ihr Arzt sie für wirklich nötig hält, und den Anweisungen zur Einnahme genau folgen. Um sich vor Infektionen zu schützen, helfen einfache Präventionsmaßnahmen: Menschen sollten den näheren Kontakt zu Erkrankten nach Möglichkeit meiden, ihre Hände häufig waschen, Kondome benutzen und auf Küchenhygiene achten. Fleisch kann mit resistenten Keimen belastet sein und sollte deshalb gut durchgegart werden. Küchenutensilien, die mit Fleisch in Kontakt kamen, wie Messer oder Bretter, sollten bei 70 Grad in der Spülmaschine gereinigt werden. Älteren Menschen wird zudem die Impfung gegen Pneumokokken empfohlen. Die Erreger können unter anderem Lungenentzündungen auslösen, die mit Antibiotika behandelt werden müssen.

© SZ vom 22./23.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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