Währungsunion in der Krise:Tief gespaltenes Euroland

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Wenn Athen, Madrid und Lissabon ihre Wirtschaft nicht aufpolieren, versinken sie im Schuldenmeer. Jetzt ist Kooperation gefragt, nicht Konkurrenz.

Dierk Hirschel

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Griechen schwäbische Tugenden predigte, tanzten bereits die Spekulanten. Ratingagenturen, die noch kürzlich für Schrottpapiere Bestnoten vergaben, urteilten über die Zukunft demokratischer Staaten. Hedgefonds schickten den Euro auf Talfahrt. Finanzinstitute wetteten mit Kreditderivaten auf die Pleite Griechenlands.

Das Versprechen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, jedes Land und jedes Finanzinstitut zu regulieren, wurde nie eingelöst. Nun nehmen die Finanzmärkte Griechenland in Geiselhaft. (Foto: Foto: AP)

Die Prämien für Kreditversicherungen verdreifachten sich. Nun musste Athen für frisches Kapital mehr als doppelt so hohe Zinsen zahlen wie Berlin. Ein gutes Geschäft für Investmentbanken und Gläubiger, vorausgesetzt der Schuldner geht dabei nicht pleite. Schließlich schuldet Griechenland den deutschen Banken 32 Milliarden Euro.

Um das Risiko massiver Abschreibungen auszuschließen, einigten sich die EU-Staatschefs nach zähem Ringen auf einen Rettungsplan. Merkels langer Widerstand gegen finanzielle Hilfen schafft jedoch ein Klima der Unsicherheit. Auch die Europäische Zentralbank trägt zur Instabilität bei.

Sturm aus der Realwirtschaft

Die Währungswächter dürfen kriselnden Mitgliedsstaaten keine direkten Kredithilfen geben. Die Finanzmärkte nehmen Athen in Geiselhaft und die Politik sieht dem Treiben tatenlos zu. Noch auf dem Washingtoner Gipfel wollte Angela Merkel jedes Produkt, jedes Land und jedes Finanzinstitut regulieren.

Dieses große Versprechen wurde niemals eingelöst. Somit hat das Casino bis heute geöffnet. Doch damit nicht genug. Die Spekulanten surfen nur auf einer Welle. Der Sturm kommt aus der Realwirtschaft. Das Euroland ist tief gespalten. Die ökonomischen Ungleichgewichte wachsen. 100 Milliarden Euro beträgt der deutsche Außenhandelsüberschuss im gemeinsamen Währungsraum. Eine Verfünffachung innerhalb der vergangenen zwölf Jahre.

Dem deutschen Überschuss entsprechen die französischen und südeuropäischen Defizite. Die Kundschaft deutscher Exporteure bekommt die Waren aber nicht geschenkt. Damit die Kunden flüssig bleiben, kaufen unsere Banken und Versicherungen griechische, spanische und italienische Schuldscheine.

Deutsche Löhne kommen nicht vom Fleck

Dem deutschen Warenstrom folgt das heimische Kapital. Somit geraten auch die Leistungsbilanzen unserer Nachbarn in die roten Zahlen. Auf Dauer geht das nicht gut. Jetzt hat der ganze "Club Med" große Schwierigkeiten, seine Schulden zu bedienen. Verantwortlich für die steigenden Ungleichgewichte ist die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften.

Zentraler Maßstab sind die Lohnstückkosten - das Verhältnis von Arbeitskosten und Produktivität. Wenn die Arbeitskosten die Produktivität überholen, dann klettern die Lohnstückkosten und somit auch die Preise. Vom Start der Währungsunion bis zum Ausbruch der momentanen Krise stiegen die Lohnstückkosten in Paris siebenmal so stark wie in Berlin.

Die spanischen, portugiesischen und griechischen Lohnstückkosten kletterten sogar neun- bis elfmal so stark wie hierzulande. Folglich werden deutsche Produkte immer billiger. Treibende Kraft sind die Löhne. Im Hochproduktivitätsland Deutschland kommen diese kaum vom Fleck. Am Mittelmeer steigen die Löhne stärker als die Produktivität. Früher korrigierten die Wechselkurse diese Unterschiede.

Die deutsche D-Mark wertete auf, Drachme, Lira und Peseta werteten ab. Im gemeinsamen Währungsraum geht das nicht mehr. Ein Weiter-so sprengt die Europäische Währungsunion. Wenn Athen, Madrid und Lissabon nicht wirtschaftlich leistungsfähiger werden, dann versinken sie im Schuldenmeer.

Dierk Hirschel ist Chefökonom des Deutschen Gewerkschaftsbundes. (Foto: Foto: DGB)

Eine reale Abwertung durch sinkende Löhne und Staatsausgaben ist auch keine Lösung. Schließlich müssen die Südländer in Bildung und Infrastruktur investieren, wenn sie künftig wieder wachsen wollen. Die Mittel aus den europäischen Struktur- und Kohäsionsfonds reichen dafür nicht aus. Und niedrigere Löhne würden den Wachstumsmotor endgültig abwürgen. Deswegen ist das aktuelle Brüsseler Spardiktat volkswirtschaftlicher Unsinn.

Hierzulande haben kluge Finanzminister den Rotstift stecken lassen und in Krisenzeiten die Maastrichter Schuldenkriterien ignoriert. Für andere Länder gelten jedoch andere ökonomische Gesetze. Athen soll in der Rezession kräftig sparen.

Schwäche des heimischen Marktes ist problematisch

Mit katastrophalen Folgen: Wachstum und Steuereinnahmen werden sinken, Arbeitslosigkeit und Schulden steigen. Und: Die schädliche griechische Medizin soll dem gesamten Mittelmeerraum verschrieben werden. Doch so weit darf es nicht kommen. Die größte europäische Volkswirtschaft muss jetzt solidarisch gegensteuern.

Das zentrale Problem ist nicht die deutsche Exportstärke, sondern die Schwäche des heimischen Marktes. Deutschland wird aufgrund seiner historisch gewachsenen Qualitätsproduktion auch weiterhin hochwertige Investitions- und Verbrauchsgüter exportieren. Insbesondere im Maschinen- und Anlagenbau haben deutsche Unternehmen eine Ausnahmestellung.

Häufig ergibt sich eine klassische Win-Win-Situation. Neben den deutschen Exporteuren profitieren auch die Firmen der Abnahmeländer. Sie können ihre Produktionsanlagen mit deutscher Hilfe modernisieren. Folglich kann niemand ein Interesse daran haben, die Exportindustrie "gesundzuschrumpfen", um Ungleichgewichte abzuschmelzen.

Billiglöhne drücken die Lohnentwicklung

Vielmehr muss Deutschland seinem kranken Binnenmarkt auf die Beine helfen. Nur so kann der Kuchen des Eurolandes wieder größer werden. Wenn der größte Binnenmarkt des gemeinsamen Währungsraums wächst, profitieren mittelfristig auch unsere Nachbarn. Dann schwinden die Überschüsse durch steigende Importe. Aufgrund der Lohnschwäche kommt jedoch der heimische Konsum nicht in Schwung.

Schuld sind nicht vermeintlich zahme Gewerkschaften. Die Tarifabschlüsse in den Exportsektoren waren verteilungsneutral. Vielmehr drücken Billiglöhne, überwiegend aus den Dienstleistungsbereichen, die Lohnentwicklung. Dieser Niedriglohnsektor muss durch Mindestlöhne, gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Förderung sozial versicherter Arbeit ausgetrocknet werden.

Darüber hinaus müssen die öffentlichen Investitionen in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur aufgestockt werden. Hier ist die Politik gefordert. Wenn wir zukünftig nicht mehr unter unseren Verhältnissen leben, können wir auch die Spaltung des Euroclubs überwinden. Gefragt ist jetzt mehr Kooperation, nicht mehr Konkurrenz.

© SZ vom 29.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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