Reden wir über Geld:"Als Jesus verdiene ich horrend viel"

Die Rolle verändert das Leben: Der Oberammergauer Christus-Darsteller Andreas Richter und sein Apostel über den Kreuzigungs-Alltag, die kommunalen Finanzen und den Sündenkatalog der Schauspieler.

A. Hagelüken, K. Riedel und H. Wilhelm

Passionsspiele in Oberammergau. Das Ereignis erzeugt im Ort nicht nur hohe Umsätze durch all die Touristen, sondern auch durch einen Sog von Gemeinsamkeit. Einwohner unterbrechen ihre Jobs oder geben sie auf, um mitzuspielen. An diesem verregneten Sommertag ist gerade Pause. In der Gaderobe sitzt Apostel-Darsteller Korbinian Freier, 29, neben ihm Jesus-Akteuer Andreas Richter, 33. Der macht sich ein Bier auf.

Reden wir über Geld: Andreas Richter (re.) lässt sich in Oberammergau als Jesus ans Kreuz nageln, Korbinian Freier gibt den Apostel.

Andreas Richter (re.) lässt sich in Oberammergau als Jesus ans Kreuz nageln, Korbinian Freier gibt den Apostel.

(Foto: Manfred Neubauer)

SZ: Oh. Bier? Sie müssen doch zur zweiten Hälfte wieder auf die Bühne?

Richter: Ein kleines Bier ist drin. Vor dem ersten Teil würde ich das nicht trinken, da habe ich viel Text. Im zweiten Teil spreche ich nur noch zwei Sätze vor Pilatus und zwei auf dem Kreuzweg.

SZ: Na gut. Dann lassen Sie uns mal über Geld reden. Wie viele Silberlinge bekommt Jesus als Gage?

Richter: Horrend viele! (lacht) Wir sind Angestellte der Gemeinde. Am Ende des Monats habe ich 2000 Euro auf dem Konto, für zwei- bis dreimal Jesus die Woche. Die verschiedenen Rollen erhalten einen Prozentanteil der Durchschnittsgage. Je nachdem, wie lange sie auf der Bühne stehen. Als Jesus ist man bei 125 Prozent.

Freier: Ich als Apostel bekomme 120 Prozent. Ich bin aber fünf Tage die Woche dran. Bei mir kommen 1800 Euro an.

Richter: Was, Du kriegst so viel? Nach Wichtigkeit der Rolle werden wir offenbar nicht bezahlt, wenn ein Apostel nur 200 Euro weniger bekommt als Jesus.

Freier: Es geht schon nach Wichtigkeit der Rolle. Maria zum Beispiel kriegt per se mehr. Und du bekommst doch immerhin 200 Euro mehr als ich. (lacht)

SZ: Was wird sonst so bezahlt?

Richter: Ein Onkel von mir ist Henker, der kommt nur zur Kreuzigung. Das gibt so 60 Euro. Meine Frau ist nur beim Einzug dabei, die kriegt 30.

SZ: Herr Richter, als Jesus-Darsteller werden sie in 50 Aufführungen gegeißelt, gedemütigt und ans Kreuz geschlagen. Warum tun Sie sich das an?

Richter: Das geht tatsächlich nicht spurlos an einem vorbei. Man muss so viel erleiden und darf dabei die innere Haltung nicht verlieren. Das trifft einen schon. Aber insgesamt ist es eine wahnsinnige Erfahrung, Teil dieser Gemeinschaft von Darstellern zu sein. Es gibt so viele gemeinsame Rituale.

SZ: Zum Beispiel?

Richter: Wenn ich Richtung Kreuzweg gehe, muss ich einmal hinter der Bühne entlang, durch 800 Ammergauer durch. Ein Strom von Menschen kommt mir da entgegen, wie in der U-Bahn. Ich geh da durch, von oben bis unten voll mit Blut, mit der Krone auf dem Kopf. Die Leute nicken einem aufmunternd zu. Manche scherzen: "Mei, bist hingefallen?" Sie sagen es nicht gemein, es ist nett. Die anderen nehmen einen wahr, wir sind eine verschworene Truppe. Das ist eine sehr schöne Erfahrung.

"Passionsspiele sind wie ein Sabbatical"

SZ: Was tun Sie im richtigen Leben?

Freier: Ich bin an meiner Doktorarbeit in Hamburg. Ich habe unbezahlten Urlaub genommen, ich wollte unbedingt mitspielen. Mein Chef ist Ami, der fand, das sei der coolste Antrag auf ein Urlaubssemester, den er je gesehen habe.

Richter: Ich hatte vor zehn Jahren genau die gegenteilige Erfahrung. Ich studierte in Regensburg und wollte freibekommen, um in Oberammergau mitzuspielen. Die Antwort der Professors: Lokalpatriotismus sei kein ausreichender Grund für ein Freisemester. Mei.

SZ: Wie viel Zeit nimmt das Mitspielen in Anspruch?

Freier: Passionsspiele sind wie ein Sabbatical. Du arbeitest neun Jahre und machst dann ein Jahr was komplett anderes. In der Tat kostet es dich ein ganzes Jahr. Das Casting für die Rollen, die Proben, die Spielzeit.

SZ: Was haben Sie für die Spiele aufgegeben, Herr Richter?

Richter: Ich habe vorher im Allgäu gelebt und dort ein Heim für Jugendliche aufgebaut. Meine Frau und ich wollten auf die Passionsspiele verzichten. Aber 2008 kam die Wende. Wir waren in Oberammergau, die Stadt war wie im Fieber, alle diskutierten, wer welche Rolle bekommt. Da hat uns das Fieber gepackt, das wir kennen, seit wir Kinder sind. Wir haben eine Nacht drüber geschlafen und entschieden: Wir kommen her. Wir haben alle beruflichen Brücken im Allgäu abgebrochen. Haben das Haus vermietet, für das wir uns verschuldet hatten.

SZ: Kehren Sie ins Allgäu zurück?

Richter: Nein. Ich bin jetzt hier Vater geworden. Und diese Gemeinschaft, die wir hier in Oberammergau durch die Passionsspiele bekommen, die kriegen wir sonst nirgendwo.

SZ: Hat Ihre Rolle Sie verändert?

Richter: Es hat mich tief zum Nachdenken gebracht. Wofür ist Jesus gestorben? Für die anderen Menschen. Es ging ihm um Nächstenliebe. Und worum geht's in unserer Gesellschaft meistens? Ums Geld. Aber was ist Geld gegen die Liebe zu anderen Menschen? Nichts. Ich glaube, dass die Spiele auch bei den anderen Darstellern viele Gedanken auslösen. Das ist eine großartige Erfahrung, genau wie die Gemeinschaft über viele Monate.

SZ: Wenn wir uns umschauen, haben wir das Gefühl, als ob es bei den Passionsspielen ums Geld geht. Während der Spiele sind 5000 Gäste im Ort - genauso viele wie Einwohner. Souvenirläden und Restaurants überall. Das wirkt kommerziell.

Richter: Kommerziell war Oberammergau schon immer. Es kommen halt all die Touristen. Aber das kratzt nicht an unserem Gemeinschaftserlebnis.

Freier: Es ist mehr globalisiert. Früher gab es überall die Schnitzkunst aus heimischer Produktion. Heute gibt es viele sehr billige Schnitzereien und seltsame Perlen. Die werden wohl eher in China als in Oberammergau produziert.

SZ: Ist es anstrengend, in einer Postkartenidylle zu wohnen?

Freier: Vielleicht kommt es einem nicht künstlich vor, wenn man hier aufgewachsen ist. Dann empfindet man das als echt, nicht als Pappmaché.

Richter: Hier ist schon alles mehr rausgeputzt. Im Ortskern sind leider mittlerweile Souvenirläden, wo man sich denkt: Muss das sein? War das früher schon so, als ich ein Kind war?

SZ: Die Kosten für die Spiele betragen 30 Millionen. Wie hoch ist der Gewinn?

Freier: Im Schnitt zahlen die Zuschauer 100 Euro pro Karte. Die billigsten kosten 25, die teuersten 160 Euro. Bei einer halben Million Zuschauer kommt man auf 50 Millionen - 20 bleiben übrig.

SZ: Was passiert damit?

Freier: Damit müssen Kredite bezahlt werden. Oberammergau hat knapp 30 Millionen Euro Schulden. Die Gemeinde hat ein Wellenbad und Skilifte gebaut. Die Kosten für Energie und Personal steigen und fressen uns auf. Im Grunde leben wir hier auf Pump, weil wir wissen, dass wir uns alle zehn Jahre durch die Spiele sanieren können. Hoffentlich.

"Wir spielen Volleyball: Römer gegen Apostel"

SZ: Werden Sie mit Jesus identifiziert, Herr Richter?

Richter: Mei, als Oberammergauer ist man das gewohnt: Für die Kinder bin ich der Andi-Jesus. Weil, ich wechsle mich ja mit einem zweiten Darsteller ab. Der ist für die Kinder der Fredi-Jesus.

SZ: Wie sehr identifizieren Sie sich mit Ihrer Apostel-Rolle, Herr Freier?

Freier: Wir verstehen uns als Gruppe und die Gruppen bauen eine spielerische Rivalität zu einander auf. Er hier, Jesus, ist unser Chef-Revoluzzer. Wir Apostel hören ihm zu. Die Tempelwache, das sind unsere Feinde. Wenn wir denen begegnen, reden wir die schwach an oder die bekommen mal einen Ellbogen rein. Gerade gab's ein Beachvolleyball-Turnier, da haben die Gruppen gegeneinander gespielt.

SZ: Also Römer gegen Apostel, Apostel gegen Marien ...

Richter: Ne, die Marien haben bei den Aposteln mitgespielt.

SZ: Wird es schwer sein, sich nach den Spielen wieder von der Rolle zu lösen?

Freier: Es gab in den dreißiger Jahren mal einen Jesus, der nach seiner Zeit segnend durchs Dorf lief. Ich kann das schon verstehen, gerade weil wir als Laien ja weniger zwischen der Rolle und der Person trennen können. Wir müssen mehr von uns reinstecken als ein Profi.

SZ: Es heißt, der Jesus-Darsteller von 2000 habe jahrelang seinen Bart behalten und die Haare lang gelassen.

Richter: Ich weiß nicht, ob das stimmt. Egal, ich werd' mich nicht gleich rasieren. Mein Sohn ist sieben Monate alt, der erkennt mich nachher nicht mehr. Der hält sich so gerne an meinem Bart fest.

SZ: Was ist der Sündenkatalog, der hier herumliegt?

Richter: Mei, liegt der da oder was?

SZ: Ja.

Richter: Den hätten wir mal verstecken sollen. Hm. Es gibt halt so Fauxpas bei uns, wer was falsch macht, muss in eine Kasse einzahlen.

SZ: Zum Beispiel?

Freier: Wir Apostel werden ja um 17 Uhr vom Ölberg vertrieben und haben dann die zweite Hälfte frei. Wir schauen uns dann die Tagesschau an oder legen uns in der Garderobe hin. Um halb elf zur Auferstehung müssen wir auf der Bühne sein. Verpassen kostet 15 Euro.

SZ: Was kostet Lachen?

Richter: Im Prinzip drei Euro. Man kann das auch kumulativ machen, also zu spät kommen und dann noch den ersten Satz verpassen, das addiert sich dann. Mit dem Geld wird die Gemeinschaft finanziert, wir machen Veranstaltungen. Mei, Fehler passieren, wir sind halt Laien. Dem Zuschauer fallen die Sachen in der Regel gar nicht auf.

SZ: Was ist für Sie das Unangenehmste an Ihrer Jesus-Rolle?

Richter: Das Blödste ist, so zu frieren, vor allem an den Füßen, ich trag ja nur Sandalen. Die Kreuzigung ist nur halb so schlimm. Ich spiele sie ja nur.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: