Allmächtige Maschinen:Die Angst vor künstlicher Intelligenz ist Unsinn

Terminator 2

In der "Terminator"-Reihe verkörpert Arnold Schwarzenegger einen intelligenten Roboter. Die Filme greifen die weit verbreite Furcht vor mächtigen Maschinen auf.

(Foto: StudioCanal)

Wird der Terminator Realität? Nehmen uns Maschinen die Jobs weg? Schluss mit der Dystopie! Technologischer Fortschritt birgt mehr Chancen als Risiken.

Von Helmut Martin-Jung

Ava ist schon ein durchtriebenes Miststück. Als sie erkennt, dass sie von ihrem Schöpfer Nathan gefangen gehalten wird, nutzt sie eiskalt die Gefühle eines naiven jungen Programmierers namens Caleb aus, um Nathan aus dem Weg zu räumen und auszubrechen.

Das Ganze gehört zum Plot des Science-Fiction-Films "Ex Machina". Ava ist kein Mensch, sondern eine nach den Porno-Fantasien des Naivlings Caleb gestaltete Androidin. Intelligent wie die ist, hat sie sowohl Caleb als auch den oberschlauen Nathan, Gründer einer weltweit führenden Internetsuchmaschine, überlistet.

"Ex Machina", die "Terminator"-Reihe und viele andere Filme rühren an eine Art Urangst des von Technik umgebenen Menschen. Was, wenn die Maschinen, die wir Menschen erschaffen haben, uns schon bald überlegen sind, ja womöglich uns sogar ausrotten wollen, sobald sie nur hinreichend schlau geworden sind? Wenn sie erkannt haben, dass das eigentliche Problem auf diesem Planeten wir sind, die Menschen?

Schuld daran ist die künstliche Intelligenz (KI). Indem wir die Maschinen immer schlauer gemacht haben, so die Annahme, erreichten diese schließlich einen Punkt, von dem an sie sich selber weiterentwickelten und dabei Fähigkeiten erlangt haben, die unsere bei weitem übersteigen.

Erst Schach, dann Jeopardy, schließlich Go

An Indizien für die nahende Gefahr scheint es nicht zu mangeln. Erst war es nur das sehr regelbasierte Schach, in dem Computer menschliche Großmeister schlugen (1996). Dann siegte IBMs Watson-System in der kniffligen US-Quiz-Show "Jeopardy" gegen zwei menschliche Champions (2011). 2016 trat Googles Alpha Go gegen den stärksten Spieler des komplexen Brettspiels Go, Lee Sedol, an und gewann. Und als wäre das noch nicht genug, meldet Google dieser Tage, dass Alpha Go, indem es gegen sich selbst spielte, seine Fähigkeiten noch einmal dramatisch gesteigert habe und nun unbesiegbar sei.

Wer das verfolgt, könnte leicht zu dem Schluss gelangen, die Weltherrschaft der Maschinen stehe unmittelbar bevor. Doch nichts wäre falscher als das. Aber was hat es dann wirklich auf sich mit dieser künstlichen Intelligenz?

Hollywood und die Autoren dystopischer Zukunftsromane gehen wie selbstverständlich davon aus, dass es etwas gibt, was die Experten auf diesem Gebiet allgemeine oder auch starke künstliche Intelligenz nennen. Doch es ist gar nicht sicher, dass es jemals dazu kommen wird. Und wenn doch, dann wird es noch ziemlich lange dauern.

Die Menschen, die versuchten, noch möglichst lange zu leben, um ihr Gehirn in einen Computer zu übertragen und so das ewige Leben zu erlangen, müssten den Tod wohl noch ein paar Jahrhunderte hinausschieben, lästert der Informatiker und Roboter-Experte Rodney Brooks. Er war ehemals Direktor des Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory (CSAIL) am Massachusetts Institute of Technology und hat zwei Robotik-Firmen gegründet. Sein Spezialgebiet sind humanoide Roboter.

Alpha Go spielt sehr gut Go - aber das ist auch schon alles

Auf dem Weg zu einer starken künstlichen Intelligenz, die sich definieren ließe als eigenständig existierende Einheit, sei die Forschung noch nicht wesentlich weiter als vor 50 Jahren. Aufgaben wie logisches Denken und gesunder Menschenverstand seien noch genauso ungelöst wie damals, so Brooks. Warum aber dann dieser Hype um die künstliche Intelligenz? Und gibt es nicht all die Beispiele?

Dazu lohnt es sich, eines dieser Beispiele einmal genauer zu betrachten. Als der Südkoreaner Lee Sedol gegen Alpha Go antrat, saß er nicht etwa einem humanoiden Roboter gegenüber, sondern einem Bildschirm. Der zeigte aber bloß an, was eine ganze Armada von Computern, ständig betreut von etwa 100 Spezialisten, Menschen also, errechnete. Der Superrechner von Sedol war einfach sein Kopf und verbrauchte etwa 20 Watt.

Das ist aber noch lange nicht alles. Sedol kann auch Karotten schälen, Texte schreiben, sich die Schnürsenkel binden, mit Stäbchen essen und eine Million Dinge mehr. Und Alpha Go? Kann Go spielen, Punkt.

Computer schlagen menschliche Intelligenz immer nur in einer spezifischen Disziplin

Das ist das Entscheidende: Es gibt - zumindest noch - nicht die eine KI, die alles kann oder wenigstens alles lernen kann. Stattdessen gibt es eng begrenzte Anwendungen. Und diese sind - in ihrem eng umgrenzten Feld wohlgemerkt - dem Menschen in der Tat ebenbürtig, meist sogar überlegen. Ein Mensch kann eben nicht mal eben in ein paar Sekunden 500 elektronische Bücher danach durchsuchen, ob darin etwas vorkommt, was mit dem ägyptischen König Tutanchamun zu tun hat. Auch wenn dessen Name gar nicht in dem Text vorkommt, sondern bloß eine Umschreibung davon. Für einen KI-gestützten Computer ist das eine der leichteren Übungen.

Was KI-Anwendungen mittlerweile alles können, ist überhaupt sehr beachtlich. Ein paar Beispiele: Bei der Drogeriemarktkette dm sorgt ein KI-System dafür, den Einsatz der Mitarbeiter zu planen, außerdem kalkuliert es den Bedarf an Produkten, damit sich die Lieferanten darauf einstellen können. Bei dm gingen dadurch die Fälle, in denen ein Produkt nicht mehr vorrätig war, um 80 Prozent zurück, die Mitarbeiter müssen bei Bestellungen nur noch halb so oft manuell eingreifen wie davor.

Die Münchner Firma Celonis hilft Unternehmen dabei, mittels ihrer Daten eine Art Röntgenbild der Unternehmensprozesse zu erstellen. Man habe zwar geahnt, an welchen Stellen es Probleme geben könnte, sagt der Logistikchef eines großen deutschen Elektronikversenders, "aber jetzt sehen wir es." Und die Probleme seien oft an ganz anderen Stellen aufgetreten als erwartet. Googles Übersetzungs-Software, so unfreiwillig komisch die Ergebnisse noch immer oft sein mögen, hat zuletzt enorme Fortschritte gemacht.

Nehmen Maschinen den Menschen die Arbeit weg?

Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, eines aber wird sehr schnell deutlich: Auch die KI-Systeme, die nur eine eng begrenzte Aufgabe erfüllen, können Wirtschaft und Gesellschaft enorm nach vorne bringen. Sie entdecken in Datenmengen, die ein Mensch niemals in einer vertretbaren Zeit durchsuchen könnte, Muster, und das nahezu in Echtzeit. Ist also alles gut? Ist ein Mittel gefunden, das wir nur noch verfeinern und ausbauen müssen?

Wenn es bloß so einfach wäre. Bisher haben die Menschen noch keine Technik erfunden, die nicht auch ihre negativen Seiten gehabt hätte. Natürlich lassen sich die dramatisch gestiegenen Rechenkapazitäten und die enorm verbesserten Möglichkeiten, große, auch unstrukturierte Daten zu analysieren, auch für böse Zwecke einsetzen - es sind eben auch nur Werkzeuge, die man so oder so verwenden kann.

Der Einsatz künstlicher Intelligenz wird aber auch mindestens dazu führen, dass die menschliche Arbeit sich verändert. Das ist allerdings die eher optimistische Sichtweise auf die Prognosen. Forscher und auch Industriebosse wie Siemens-Chef Joe Kaeser warnen: Künftig könnten so viele Jobs von Maschinen erledigt werden, dass der Staat ein bedingungsloses Grundeinkommen an alle Bürger zahlen müsse. Aber wie schnell wird diese Entwicklung kommen? Rodney Brooks, der KI- und Roboter-Experte, ist da skeptisch. Er hält Prognosen für weit überzogen, die einen dramatischen Rückgang von Jobs schon in zehn bis 20 Jahren vorhersagen. Die Computersysteme oder intelligenten Roboter, die das übernehmen könnten, gebe es ja noch gar nicht.

Amazon würde menschliche Arbeiter gerne durch Roboter ersetzen

Wirklich? Der Internethändler Amazon setzt in Logistikzentren bereits Roboter-Fahrzeuge ein, die Paletten zu den Pickern transportieren, anstatt dass diese Mitarbeiter zu den entsprechenden Regalen laufen und das gewünschte Produkt in einen Wagen laden müssen. Lieber heute als morgen würde man dort Roboter einsetzen, die das alles ganz übernehmen. Das Unternehmen veranstaltet auch regelmäßig Wettbewerbe dazu.

Doch wer einmal zugesehen hat, wie schwer sich die Maschinen dabei tun, unterschiedliche Gegenstände aus einem Regal zu holen, wird weniger Angst davor haben, dass solche Jobs schon sehr bald wegfallen können. Es bleibt trotzdem Aufgabe der Gesellschaft, aber auch jedes Einzelnen, sich darüber Gedanken zu machen, welche Herausforderungen da womöglich warten.

Und das ist nicht alles. Als der Software-Konzern Microsoft im März 2016 ein KI-gesteuertes Chatprogramm ins Netz stellte, mit dem man über den Kurznachrichtendienst Twitter chatten konnte, entwickelte sich "Tay", so hieß der sogenannte Chatbot, binnen kürzester Zeit zu einem sexistischen und rassistischen Monster. Nach nur einem Tag brach Microsoft das Experiment ab.

Ava ist noch ferne Zukunft

Das war ein PR-Desaster für das Weltunternehmen, ist aber auch der beste Beweis dafür, dass es immer entscheidend darauf ankommt, mit welchen Daten man die künstliche Intelligenz füttert. Die Twitter-Nutzer machten sich einen Spaß daraus, "Tay" zu verderben. Stecken schon in den Trainingsdaten Vorurteile oder Falschinformationen, werden diese nicht nur übernommen, sondern oft noch verstärkt.

Schon heute bekommen Menschen, die im falschen Stadtteil wohnen, womöglich schwerer einen Kredit als jene aus einem Viertel mit wohlhabender Bevölkerung. Polizeibehörden errechnen bereits, wie wahrscheinlich es ist, dass irgendwo eingebrochen wird. Man muss solche Möglichkeiten nur ein wenig weiterdenken, und schnell landet man beim Überwachungsstaat.

Was folgt nun daraus? Wir müssen uns freimachen von der Angst vor Hollywood-KI. Ein Wesen wie Ava wird es vielleicht nie, mit großer Sicherheit aber nicht so schnell geben. Wir sollten die Energien stattdessen lieber darauf konzentrieren, darauf zu achten, was die eng begrenzten KI-Anwendungen tun. Mit welchen Daten werden sie gefüttert, wer achtet darauf, dass sie keine Vorurteile zementieren? Die Chance, mit KI-Anwendungen als Teil der Digitalisierung kostengünstiger und oft auch energieeffizienter zu wirtschaften, sollten wir uns aber keinesfalls entgehen lassen. Es ist der nächste Schritt, den Europa als rohstoffarmes Land tun muss. Wir sollten diesen Schritt beherzt, aber auch bewusst tun.

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