Künstliche Intelligenz:Mensch unterliegt Maschine: Computer gewinnt das komplexeste Spiel der Welt

Lee Sedol

Da hatte Lee Sedol gerade seinen ersten Stein aufs Brett gelegt - am Ende gewinnt der Algorithmus

(Foto: AP)
  • Googles Algorithmus hat einen der weltbesten Go-Spieler besiegt. Im Best-of-5-Match steht es nach drei Partien 3:0.
  • Die beiden verbleibenden Partien werden noch gespielt, am Sieg der Maschine wird sich aber nichts mehr ändern.
  • Go gilt als das komplexeste Spiel der Welt. Experten hatten damit gerechnet, dass Künstliche Intelligenz erst in einem Jahrzehnt gegen menschliche Champions gewinnt.
  • Bislang können Algorithmen nur ein einzelnes Problem isoliert lösen. Forscher wollen das ändern und universelle Algorithmen entwickeln.

Von Hakan Tanriverdi, New York

Schon Ende Februar war sich Demis Hassabis sicher, dass Lee Sedol verlieren würde. Im wohl komplexesten Spiel der Welt, Go, gehört Sedol zu den Besten. Im vergangenen Jahrzehnt gewann er weltweit 18 Titel. Aber Hassabis zeigte sich vor dem Spiel bei einer Rede in Oxford zuversichtlich: "Die meisten professionellen Spieler geben uns keine großen Chancen, aber unsere internen Tests erzählen uns etwas anderes." Mit uns meinte Hassabis nicht etwa ein Team aus menschlichen Go-Spielern. Er meinte eine Maschine, die sein Team AlphaGo nennt.

Hassabis ist Chef von Deepmind, einem Unternehmen, das Google für Hunderte Millionen Euro aufkaufte. Die Firma ist vor allem für zwei öffentliche Forschungsprojekte bekannt und in beiden versucht sie, die Grenzen der künstlichen Intelligenz (KI) zu sprengen. Im ersten Projekt bringt sich ein Algorithmus ohne Hilfe von Menschen bei, Videospiele durchzuspielen, etwa Pacman, Space Invaders und Dutzende andere Games. Bahnbrechend ist das deshalb, weil Algorithmen bisher nur in der Lage waren, ein einzelnes Problem (in diesem Fall: ein Spiel) zu lösen. Entweder Pacman oder Space Invaders, sozusagen.

Nach drei Partien steht es 3:0

Der Neurowissenschaftler Hassabis hat Recht behalten. Denn AlphaGo, das zweite Projekt von Deepmind, hat Lee Sedol besiegt. Das Spiel geht insgesamt über fünf Partien, und bereits nach den ersten Dreien ist das Duell entschieden: Es steht es 3:0. Die beiden verbleibenden Partien werden noch gespielt, am Sieg der KI wird sich aber nichts mehr ändern.

Auch das ist eine bahnbrechende Nachricht. Es ist ein Ergebnis, das Experten zufolge ein Jahrzehnt früher eintrifft als gedacht und die internationale Spieler-Szene in Schock versetzt hat. Ein Ergebnis, das zeigt, wie mächtig KI mittlerweile sein kann - und auch, wie unvorhersehbar die Fortschritte sind.

Go ist um ein Vielfaches komplexer als Schach

Beim asiatischen Brettspiel Go platzieren zwei Spieler Steine auf einem Feld, das aus 19 mal 19 Gittern besteht. Eine Person spielt weiß, die andere schwarz. Die Steine dürfen nicht bewegt werden, Spieler können sie aber "erobern". Ist ein weißer Stein von vier schwarzen umgeben, wird er vom Spielfeld entfernt. Ziel des Spiels ist es, mehr Raum auf dem Feld einzunehmen als der Gegner. Pro Zug gibt es im Schnitt 200 Möglichkeiten, nach vier Zügen ist man schon im Milliardenbereich.

Das bringt selbst heutige Hochleistungscomputer an ihre Grenzen. Im Vergleich dazu ist Schach relativ simpel: Der damals beste Spieler der Welt, Garry Kasparov, unterlag bereits vor 20 Jahren einer Maschine. 1996 gewann der Schachcomputer Deep Blue eine einzelne Partie, 1997 einen ganzen Wettkampf aus sechs Partien unter Turnierbedingungen.

Doch Deepmind funktioniert nach einem anderen Prinzip - es geht nicht um pure Rechenleistung, sondern um "Intuition", wie es Hassabis nennt. Experten des Spiels benutzen ebenfalls dieses Wort, um die Art zu beschreiben, wie sie Go meistern. Um Sedol zu schlagen, muss die Maschine handeln wie ein Mensch.

So funktioniert AlphaGo

Die Forscher von Deepmind haben zwei verschiedene neuronale Netze programmiert. Diese simulieren, grob vereinfacht, ein menschliches Gehirn. Die Netzwerke bestehen aus mehreren Schichten und Knotenpunkten. Die Schichten werten Informationen aus, zum Beispiel das Aussehen des Spielbretts und die Farbe der Steine (hier gibt es eine detailliertere Erklärung). Die Knotenpunkte entscheiden, welchen Zug die Maschine ausführen wird.

Um den Algorithmus zu trainieren, haben die Forscher 100 000 Amateurspiele aus einer öffentlichen Datenbank analysiert. Auf Grundlage dieser Daten ließen sie die Maschine ein paar Millionen Mal gegen sich selbst antreten. "Danach hatten wir eine Datenmenge, die groß genug war", sagte Hassabis in seiner Oxford-Rede.

Das erste neuronale Netz entscheidet über die bestmöglichen Züge, Deepmind nennt es das "Policy Network". Parallel dazu gibt ein zweiter Algorithmus bei sämtlichen Zügen Tipps, wer am Ende das Match für sich entscheidet. Diese Bewertungen nennt Deepmind entsprechend "Value Network". Beide Netzwerke werden dann mit dem Monte-Carlo-Verfahren kombiniert, eine in der Wissenschaft übliche Methode, um zufällige statistische Vorgänge zu simulieren.

Für die wahrscheinlichsten Züge simuliert der Algorithmus die möglichen Auswirkungen und gibt Tipps ab, ob und wie sich das Ergebnis ändern würde. "Unser AlphaGo-System muss nicht 200 Züge in Betracht ziehen, sondern die Top 3 der wahrscheinlichsten", sagte Hassabis.

"Eine Meta-Lösung für jedes Problem"

Für Hassabis ist das Spiel gegen Sedol nur eine Zwischenstation. Er will mehr, als die Leistungsfähigkeit von Deepminds KI zu beweisen. Algorithmen waren bis dato immer auf ein einzelnes Problem spezialisiert. Hassabis' Ziel sind universelle Algorithmen, die für unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden können. "Woran wir arbeiten, ist potentiell eine Meta-Lösung für jedes Problem", sagte er kürzlich im Interview mit dem Guardian.

Es ist unklar, ob es jemals eine künstliche Intelligenz geben wird, die derart allgemein vorgehen kann, wie Hassabis es beschreibt. Führende Forscher gehen aber davon aus. Ebenfalls überzeugt sind Google und Facebook, die deshalb Millionen Dollar in Forschung investieren.

Elon Musk warnt vor der Macht der Maschinen

Die Fortschritte bei der Entwicklung der KI sind beeindruckend und beängstigend zugleich. Sobald Maschinen genauso intelligent sind wie Menschen, dauert es Experten zufolge nicht mehr lange, bis uns die Maschinen weit abgehängt haben werden. Das liegt an der immensen Rechenkraft, die sich exponentiell entwickelt. Forschungsinstitute und Visionäre wie Elon Musk überlegen bereits heute, wie man KI bändigen könnte.

Hassabis ist etwas entspannter: Im Gespräch mit dem Guardian sagte er, dass die Forschung noch Jahrzehnte von derart intelligenten Maschinen entfernt sei. Auch Gary Marcus, der an der New York University Psychologie unterrichtet und ein Start-up für KI gegründet hat, relativiert die Macht der KI: "Go ist erfolgreich und das hat mich überrascht", gesteht er Gespräch mit der SZ ein. "Aber der Algorithmus musste Millionen Spiele absolvieren müssen. Die Realität sieht so aus, dass es für viele Probleme diese Datenmassen nicht gibt."

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