Kartendienst Here:Entscheidend für das Autofahren von morgen

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Ein Navigationsgerät im Auto: Damit der Fahrer auch an sein Ziel kommt, braucht man ganz viele Daten. (Foto: Krisztian Bocsi/Bloomberg)
  • Die deutschen Autobauer Audi, BMW und Daimler werden nach SZ-Informationen den Online-Kartendienst Here für rund 2,5 Milliarden Euro kaufen.
  • Die drei Autobauer wollen verhindern, dass der Kartendienst an die IT-Giganten Google oder Apple geht.
  • Here liefert möglicherweise die Schlüsseltechnologie für das Autofahren von morgen.

Von Thomas Fromm, München

Seit April war klar, dass Audi, BMW und Daimler den Online-Kartendienst Here haben wollen. Und einige waren davon überzeugt, dass sie die Nokia-Tochter sogar um jeden Preis haben wollen. So wurde eine Weile in aller Stille verhandelt, zuletzt wurde es gar zu einem Nervenkrieg. Die Verhandlungen mit dem finnischen Mutterkonzern stockten, und immer wieder wurden neue mögliche potente Interessenten genannt - Microsoft, Facebook, der Taxi-Dienst Uber.

Zuletzt soll die Preisspanne für Here irgendwo zwischen zwei und vier Milliarden Euro gelegen haben - eine Spanne, die zeigt, wie die Beteiligten verhandelten: hart und mit großem Einsatz. Das Pokern hat sich gelohnt: Die drei Premium-Autobauer haben den Zuschlag für Europas führenden Kartendienst bekommen und werden rund 2,5 Milliarden Euro dafür zahlen. Möglich sei, so heißt es aus Industriekreisen, dass noch binnen Ende dieses Monates eine endgültige Entscheidung mit den entsprechenden Details fallen wird.

Here soll weiter selbstständiges Unternehmen bestehen

Insider berichten, es gebe noch einige Dinge zu klären: "Vor allem die Frage, wie mit den vielen Nokia-Patenten umzugehen ist, muss noch beantwortet werden", heißt es dort. Bisher hatte es immer geheißen, Here solle auch nach einem Verkauf als selbständiges Unternehmen weiter bestehen. Außerdem werde man nach SZ-Informationen in der nächsten Zeit nach neuen Partnern aus dem Automobilbereich suchen, die mit einsteigen. "Es soll eine offene Plattform entstehen", heißt es.

Der Kampf war lang: Auch die Autokonzerne hatten sich angeblich längst nach etwas Neuem umgeschaut: den niederländischen Navigationsspezialisten Tom Tom zum Beispiel. Der gab nun eine Kooperation mit dem deutschen Autozulieferer Bosch bekannt - auch dies ein Zeichen dafür, wie umkämpft der Markt für hochauflösende, digitale Kartendienste ist. Geplant ist nun, gemeinsam bis Ende des Jahres detaillierte Karten von sämtlichen Autobahnen und Straßen in Deutschland zu erstellen. Vor allem für den Betrieb selbstfahrender Autos, an denen die Hersteller derzeit arbeiten, sind solche Karten eine wichtige Voraussetzung.

Nokia hat derzeit das wohl am besten entwickelte Kartenangebot

Here läuft mit seinen digitalen Landkarten über Smartphones, auf Computern, und auch in den festen Navigationssystemen von Autos. 80 Prozent des Marktes benutzt Here, und das ist vielleicht eine Erklärung dafür, warum in den vergangenen Monaten so hart verhandelt wurde - und warum am Ende doch die Premium-Autobauer den Zuschlag bekamen. Experten gehen davon aus, dass Nokia derzeit das am besten entwickelte Kartenangebot hat; es wird schon heute von Audi, BMW und Daimler genutzt - sie sollen ein gutes Drittel des Here-Geschäfts ausmachen. Hätte sich Nokia für einen anderen Käufer wie Facebook oder Uber entschieden, hätten die Finnen das Geschäft mit den Autobauern aus München, Stuttgart und Ingolstadt gefährdet.

So war die Verhandlungslogik am Ende ziemlich einfach: Here braucht die Hersteller aus wirtschaftlichen Gründen - und die Autokonzerne brauchen den Kartendienst wegen der Technologie. Es gäbe "langfristige Verträge" mit der Nokia-Tochter, sagt ein Insider am Dienstag. Die Frage sei nur, "ob solche Verträge verlängert werden". Es muss also eine Menge Druck mit im Spiel gewesen sein, als die vier Parteien in den vergangenen Wochen am Verhandlungstisch saßen und versuchten, den Deal festzuzurren.

Google und Apple sollten nicht noch mehr Macht bekommen

Für Audi, BMW und Daimler gibt es gute Gründe, die 2,5 Milliarden Euro zu investieren: Sie wollen verhindern, dass Here an die großen IT-Giganten Google oder Apple geht. Google ist ebenfalls im Geschäft mit der Digitalisierung von Autos; beide interessieren sich besonders für den mit Daten gespickten Kartendienst.

Und schon heute müssen die Autohersteller wegen der immer stärkeren Vernetzung der Autos einen Teil ihrer Macht abgeben. Ausgerechnet Here, die Schlüsseltechnologie von morgen, sollte nicht auch noch von einem Drittkonzern aus der IT-Industrie beherrscht werden. Denn ausgerechnet an dieser Schnittstelle zwischen High Tech und Auto wird sich künftig entscheiden, wie gut ein Fahrzeug vernetzt ist. Es geht darum, wie Autos Informationen aufgreifen, austauschen und weiterleiten. Auto an Auto: Hinter der nächsten Kurve hat gerade ein Unfall stattgefunden. Oder: in zwei Kilometern kommt ein großer Stau, Achtung. Oder: hinter dem Marktplatz gibt es noch fünf freie Parkplätze. Karten, Kommunikation in Echtzeit - die Hersteller hatten von Anfang an ein großes Interesse daran, die Kontrolle über die Daten, die durch ihr Auto fließen, nicht an dritte abzugeben.

Dies wird vor allem dann ein Thema sein, wenn Autos in einigen Jahren fahren, ohne dass der Fahrer seine Hände am Lenkrad hält und steuert. Die selbstfahrenden Autos, an denen nicht nur die traditionellen Hersteller, sondern auch die IT-Konzerne Google und Apple arbeiten, werden mit Sensoren und Mini-Computern gespickte Rechenzentren sein. Die Sensoren tasten die Straße ab; halten alles im Blick. Gleichzeitig werden die Informationen mit den Daten der Digital-Karten abgeglichen - nur so kommen die neuen, intelligenten Autos ans Ziel: Es ist eine Kommunikation zwischen Auto, Computer und Straße.

© SZ vom 22.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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