Leistungsschutzrecht:Oettingers Kampf mit Google und Facebook hat begonnen

Internationale Funk-Ausstellung (IFA)

Kommissar fürs Digitale: Günther Oettinger (links), testete Anfang September auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin Augmented-Reality-Brillen, neben ihm Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt.

(Foto: dpa)

Die EU will IT-Konzerne zwingen, für Ausschnitte aus verlinkten Texten zu zahlen, zum Beispiel auf Google News. Das Vorbild für dieses Leistungsschutzrecht kommt aus Deutschland - wo es kaum funktioniert.

Von Jannis Brühl und Simon Hurtz

Für Günther Oettinger beginnt an diesem Mittwoch ein Kampf. Der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft hat seinen Entwurf für ein neues Leistungsschutzrecht (LSR) für Presseverlage vorgestellt. Dafür wird er zwar von den Verlagen bejubelt, aber von digitaler Wirtschaft und Netzaktivisten scharf kritisiert. Der Widerstand ist groß, weil er einen Entwurf präsentiert, der maßgeschneidert ist für Presseverlage, die sich seit Langem für ein solches Recht einsetzen, allen voran mehrere deutsche wie Axel Springer.

Worum geht es?

Oettinger möchte ein Gesetz, das Kritiker in Deutschland für gescheitert halten, in Form einer Richtlinie auf die Europäische Union ausweiten und dabei verschärfen. Die EU-Kommission präsentierte nun den Entwurf. Die Richtlinie soll unter anderem ein LSR für die gesamte EU festschreiben. Dann müssten die Mitgliedsstaaten Verlagen dieselben Rechte wie Urhebern, Filmproduzenten oder Plattenlabels einräumen, wenn es um die Verwertung von Online-Artikeln geht.

Zu dem Entwurf, in dem die Passage zum LSR lediglich vier Absätze umfasst, existiert auch eine sogenannte Gesetzesfolgenabschätzung, in der die Kommission ihr Vorgehen begründet. Demnach bedroht das Internet die Existenz vieler Verlage, da ihre Print-Erlöse einbrächen, während das Digitalgeschäft keinen ausreichenden Ersatz böte. Von den journalistischen Inhalten der Verlage profitierten vor allem Dritte, nämlich soziale Netzwerke und Suchmaschinen. Darunter leide langfristig die Medienvielfalt, die aber essentiell für eine demokratische Gesellschaft sei.

"Wenn wir jetzt nicht handeln, wird es immer weniger Zeitungsartikel zum Verlinken geben", schreibt Oettinger auf Twitter. "Auch iPhone, Tablets oder Facebook bieten längst News Feeds an." Nicht nur weil ein expliziter "iPhone-Newsfeed" gar nicht existiert, wird Oettinger vor allem auf Twitter hart angegangen. Viele sind der Überzeugung, dass Redaktionen über Google zusätzliche Leser und damit Werbeeinnahmen bekommen, statt Geld zu verlieren. Doch die Kritik an Oettingers Digitalkompetenz ändert nichts daran: Die Kommission will die Position der Verlage gegenüber Anbietern wie Google und Facebook stärken. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, Geld für das Verlinken ihrer Artikel auf den Plattformen zu verlangen.

Was sagt die Richtlinie genau?

Das deutsche LSR gewährt den Verlegern ein Jahr lang das exklusive Recht, ihre Inhalte öffentlich zugänglich zu machen. Die EU-Kommission will den Zeitraum auf 20 Jahre ausweiten. Im Gegensatz zum deutschen Recht sieht die geplante Richtlinie auch keine Ausnahmen für "einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte" vor. Das bedeutet, dass auch Überschriften und kürzeste Zitate betroffen sein könnten.

Google müsste dann beispielsweise dafür bezahlen, die Überschrift eines Online-Artikels bei Google News anzuzeigen. Allerdings besitzen selbst Tweets mit einer Länge von 140 Zeichen nach Einschätzung vieler Juristen nur in Ausnahmefällen genug sogenannte Schöpfungshöhe, um unter das Urheberrecht zu fallen. Warum dieser Schutz im Rahmen des LSR für mitunter deutlich kürzere Überschriften gelten soll, wird in der Richtlinie nicht erklärt. Der FAZ versicherte Oettinger, dass "wir dabei nicht von rein faktischen Überschriften wie 'Flugzeugabsturz in Afrika' reden". Es müsste "schon um eine eigene intellektuelle Leistung gehen." Worin genau intellektuelle Leistung besteht und wo ihre Grenzen liegen, müssen erfahrungsgemäß oft Gerichte entscheiden.

Wie reagieren die Verleger?

Deutsche Verleger zeigen sich von Oettingers Entwurf begeistert. Sie betreiben seit Jahren Lobbyarbeit für ein möglichst striktes LSR und hoffen nun auf zusätzliche Einnahmen. Der Bund Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) nennen den Entwurf "historisch wichtig und notwendig". Sie erklären in ihrer gemeinsamen Stellungnahme: "Die EU-Kommission trägt mit ihrem Vorschlag der unbefriedigenden Situation Rechnung, dass die Presseverlage mit der Herstellung qualitätsvoller Inhalte zum wirtschaftlichen Erfolg zahlreicher Online-Plattformen einen wesentlichen Beitrag leisten, ohne jedoch an der hierdurch entstehenden Wertschöpfung angemessen zu partizipieren." Auch die VG Media, die im Namen vieler Verlage in Deutschland gegen Google klagt, begrüßt Oettingers Vorschläge.

Was sagt die IT-Wirtschaft?

Google, das Unternehmen im Zentrum des Streits, äußert sich enttäuscht über Oettingers Vorschlag zum Leistungsschutzrecht: "Das würde das Internet effektiv in einen Ort verwandeln, an dem alles, was ins Netz hochgeladen wird, von Anwälten freigegeben werden müsste, bevor es ein Publikum finden kann." Google wirbt stattdessen dafür, dass die Verlage mit seiner Hilfe neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln.

Beim LSR stehen sich IT-Unternehmen und traditionelle Verlage unversöhnlich gegenüber. Der Verband der Internetwirtschaft erklärt: "Es ist unbegreiflich, dass nach der deutschen Bundesregierung nun auch die Europäische Kommission diesen Irrweg beschreiten möchte." Nun drohe "allen Akteuren Rechtsunsicherheit".

Was sagen Urheberrechtsexperten?

Die meisten Experten lehnen die Idee eines LSR seit Jahren ab. Ende 2014 hatte der Bundestagsausschuss Digitale Agenda zu einem Fachgespräch zum deutschen LSR geladen. Philipp Otto, Redaktionsleiter des Portals iRights.info, bezeichnete das Gesetz dort als "völligen Quatsch und nicht europarechtskonform". Eine Urheberrechtsexpertin des IT-Branchenverbandes erklärte: "Das Gesetz richtet Tag für Tag Schaden an." Die EU-Version schneidet nun nicht besser ab, im Gegenteil. Statt "den Irrweg Leistungsschutzrecht zu verlassen", werde nun empfohlen, "die Dosis zu erhöhen und das Leistungsschutzrecht vom deutschen zu einem europäischen Problem zu machen", schreibt der Jurist Leonhard Dobusch bei Netzpolitik.org. Die positive Einschätzung der gesellschaftlichen Auswirkungen eines EU-LSR sei "fast schon lächerlich". Dobusch schreibt, dass dieses Ergebnis dem "massiven Lobby-Druck der Presseverlage und den Wünschen von Axel-Springer-Buddy Günther Oettinger geschuldet ist".

Auch Till Kreutzer, Rechtsanwalt und Mitgründer der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (Igel), kritisiert die geplante Richtlinie: "Es könnte nicht schlimmer sein". Der Entwurf lese sich "wie die Antwort auf eine Wunschliste der Verleger", er sei "die Katastrophe, vor der wir immer gewarnt haben". Das Gesetz würde jeden betreffen, der online kommuniziert, da es viel zu allgemein gehalten und nicht auf bestimmte Aggregatoren oder Suchmaschinen beschränkt sei. Potentiell seien alle Nutzer betroffen, die einen Link setzten, der ein Snippet enthalte.

Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, äußert sich ähnlich: "Es kann nicht sein, dass bei jedem Posten, Verlinken, Teilen oder Erstellen eines Bildes, Videos oder Textes die Gefahr besteht, abgemahnt zu werden."

Wie sind die praktischen Erfahrungen mit dem LSR?

Deutschland hat seit 2013 sein nationales LSR. In der Praxis funktioniert es kaum. Es sollte Plattformen wie Google zwingen, Verlage für die vermeintlichen Rechtsverletzungen durch Artikel in den Suchergebnissen zu bezahlen. Allerdings war von Anfang an unklar, wie es umgesetzt werden sollte. Auch die Frage, welchen Textumfang Google im Snippet zeigen darf, ist bis heute nicht geklärt.

Mehrere Verlage und Fernsehsender, die sich unter Führung von Axel Springer in der "VG Media" zusammengeschlossen hatten, wollten ihre Rechte geltend machen. Andere, darunter der Süddeutsche Verlag, gingen nicht in die "VG Media". Kleinere Anbieter wie der News-Aggregator Rivva.de listeten Inhalte der VG-Media-Verlage aus Furcht vor Klagen ganz aus.

Im Herbst 2014 konterte Google gegen die in der VG Media zusammengeschlossenen Unternehmen. Der Konzern ließ die Verlage wählen: Entweder sie stimmten dem Verlinken samt Snippets und Vorschaubildern zu, oder Google würde diese Elemente einfach weglassen, was Sichtbarkeit in den Suchergebnissen gekostet hätte. Die allermeisten Verlage gaben die Einwilligung. Ihre Inhalte erscheinen nun weiterhin bei Google, ohne dass der Konzern zahlt.

Stattdessen versuchten es 41 Verlage nun mit dem Kartellrecht: Google missbrauche seine marktbeherrschende Stellung, argumentierten sie. Wenn Google ihre Artikel ohne Snippets und Vorschaubilder anzuzeigen drohe, gingen diese gegen Konkurrenten unter. Weniger Leser kämen auf ihre Seiten, was zu weniger Werbeerlösen führe. Das Landgericht Berlin sah das anders und urteilte Anfang dieses Jahres: Nicht nur Google, sondern alle Seiten profitieren. "Letztendlich stellt sich die Suchmaschine als Win-Win-Situation für alle Beteiligten dar." Die Verleger sind dagegen in Berufung gegangen. Neben diesem kartellrechtlichen Verfahren pochen sie in einem weiteren vor dem Landgericht Berlin auf ihr Urheberrecht. 2017 wird verhandelt. Die Verfahren dürften sich noch einige Jahre ziehen.

In Spanien, wo ein LSR Google zu einer Zwangsabgabe an Verlage gezwungen hätte, machte der US-Konzern kurzen Prozess: Er schloss die spanische Version von Google News. Das Unternehmen muss nun nicht zahlen, und die Verlage bekommen weniger Leser. Auch in Spanien verfehlte das Gesetz also die gewünschte Wirkung, den Verlagen mehr Geld von Google zufließen zu lassen.

Was ändert sich für Nutzer?

Digitalkommissar Oettinger versichert, dass sich normale Internetnutzer keine Sorgen machen müssten. Sie dürften bei Facebook oder Twitter weiterhin Links zu Online-Artikeln veröffentlichen - aus dem Richtlinienentwurf geht das aber nicht hervor.

Anders sieht das Urheberrechtsexperte und Leistungsschutz-Gegner Kreutzer: "Sofern der EU-Gesetzgeber nicht weitgehende Beschränkungen einzieht, etwa wie sie im deutschen oder spanischen LSR vorgesehen sind, wäre von einem derart breiten Verlegerrecht so gut wie jeder betroffen", schreibt er. Er fürchtet, dass "es das Netz - wie wir es kennen - nicht mehr geben" werde, falls das LSR in aktuell geplanter Form kommen sollte.

Ob sich die EU-Kommission mit ihren Plänen für ein LSR durchsetzt, ist offen. Die Urheberrechtsrichtlinie muss den langwierigen EU-Gesetzgebungsprozess passieren, dabei müssen EU-Parlament und Mitgliedstaaten zustimmen. Insbesondere die Abgeordneten des EU-Parlaments haben das LSR in der Vergangenheit teils scharf kritisiert, dementsprechend dürfte die Maximalforderung der Kommission im Laufe der Verhandlungen abgeschwächt werden.

Sobald sich Rat, Kommission und Parlament auf eine finale Fassung geeinigt haben, müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie noch in nationales Recht umsetzen. Dann würde das deutsche LSR womöglich verschärft.

Anmerkung in eigener Sache: SZ.de hat abseits des LSR seit Langem Regeln festgelegt, wie andere Seiten und Dienste Artikelausschnitte der Webseite nutzen dürfen - sie finden sich unter sz.de/copyright und legen im Kern drei Sätze als Grenze fest.

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