Universitäten ein Jahr nach der Plagiatsaffäre:Guttenberg-Effekt ohne Wirkung

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Vor einem Jahr hat die Plagiatsaffäre um Guttenberg die Unis aufgeschreckt - doch bis auf kleine Korrekturen ziehen sie kaum Lehren daraus. Das Promotionssystem ähnelt noch immer einem Karriere-Durchlauferhitzer. Die Hochschulen müssen aufpassen, dass der "Dr." nicht zu einer billigen Serviceleistung verkommt.

Johann Osel und Tanjev Schultz

Gut ein Jahr ist es nun her, dass die Wissenschaftswelt in helle Aufregung geriet. War die Plagiatsaffäre um den CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg nur ein Einzelfall? Oder wird bei Doktorarbeiten unentdeckt weit mehr betrogen, als es die schlimmsten Befürchtungen erahnen ließen? Kaum war der Minister Anfang März zurückgetreten, fiel auch ein Schlaglicht auf die Qualität von Promotionen, unabhängig von Plagiaten. Und schnell war man bei der Frage gelandet, ob in Deutschland nicht zu viele, vor allem zu viele dürftige Arbeiten verfasst werden.

Vor 50 Jahren gab es in der alten Bundesrepublik nur gut 6000 Doktorarbeiten pro Jahr, 20 Jahre später schon fast doppelt so viele. Seit 2000 liegen die Zahlen bundesweit jedes Jahr um die 25.000 auf einem konstant hohen Niveau. Ein Blick in die Stellenmärkte zeigt, dass für Führungspositionen in der Industrie und selbst für die Leitung manches Heimatmuseums eine Promotion "erwünscht" ist. Bei Chemikern und Medizinern ist der Doktor de facto der Regelabschluss.

Kritikern gilt das Promotionssystem als eine Art Karriere-Durchlauferhitzer, in dem sich zu viele externe Doktoranden tummeln, von denen viele gar nicht mit Feuereifer für die Wissenschaft brennen. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) hat vor "Titelhuberei" gewarnt, der SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz sprach spöttisch von einem "Adelstitel für Bürgerliche".

Die Wissenschaft, besorgt um ihren Ruf, versprach zu handeln. Doch die Veränderungen sind bisher sehr überschaubar. Maßgebliche Organisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Wissenschaftsrat hatten sich in den ersten Wochen der Guttenberg-Debatte eher defensiv verhalten. Sie machten lediglich deutlich, dass es bei Fehlverhalten keinerlei Toleranz geben dürfe; das war angesichts der anfänglichen Bagatellisierung der Affäre auch nötig. In schlechter Erinnerung bleibt vielen Akademikern der dreiste Satz der Kanzlerin über Guttenberg, sie habe ja keinen "wissenschaftlichen Assistenten" zum Minister berufen.

Unter DFG-Federführung widmete sich schließlich Ende vorigen Jahres die Allianz der Wissenschaftsorganisationen den Richtlinien für eine saubere Wissenschaft. Da Promotionen im Umfeld dieser Organisationen aber ohnehin meist in Graduiertenschulen stattfinden, forschungsintensiv und meist intensiv betreut, brachte dies wenig Impulse für das Promovieren in der Breite.

Der Wissenschaftsrat verabschiedete ein Positionspapier: Externe Doktoranden, heißt es darin, seien "nicht prinzipiell abzulehnen", wegen der Ferne zum Forschungskontext bestehe aber die Gefahr einer "qualitativ minderwertigen Leistung". Der Rat plädiert für eine bessere Anbindung, zudem für Stichproben mit Plagiatssoftware. Auch die Notenskala würde der Rat gerne auf "bestanden" und "nicht bestanden" reduzieren. In der Praxis würden schlechte Noten ohnehin nur selten vergeben.

Die Fakultäten wollen sich auf größere Reformen aber offenbar kaum einlassen. Landauf, landab wurde und wird derzeit zwar an den Promotionsordnungen gebastelt; im Mittelpunkt steht dabei aber meist die Betrugsabwehr, weniger die offene Debatte über allgemeine Qualitätsprobleme. So wollen die meisten Universitäten in Zukunft von ihren Doktoranden eine eidesstattliche Versicherung verlangen statt einer rechtlich unverbindlichen ehrenwörtlichen Erklärung. Für Plagiatssoftware gaben zuletzt viele deutsche Unis Geld aus, und vielerorts bemühen sich Studiendekane und Professoren darum, ihre Studenten noch besser für Fragen der wissenschaftlichen Redlichkeit zu sensibilisieren.

Im Zuge der Plagiatsaffäre war allerdings auch deutlich geworden, dass es etwa in Medizin und Jura viele Arbeiten gibt, in denen die Kandidaten zwar sauber zitieren - in denen jedoch der eigenständige Beitrag zur Forschung gegen null tendiert. Stattdessen wird wiedergekäut, was an anderer Stelle längst publiziert ist - eine Arbeitsweise, die professionellen Ghostwritern entgegenkommt, die weiterhin ungerührt auf dem Promotionsmarkt agieren. Dem Problem des Ghostwriting stehen die Universitäten nach wie vor völlig hilflos gegenüber.

Ernst Dieter Rossmann, forschungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, befürchtet, dass nach dem Guttenberg-Skandal zu wenige Konsequenzen gezogen werden: "Es besteht die Gefahr, dass das Problem nach den prominenten Plagiatsfällen wieder zu den Akten gelegt wird." Bei einer Expertenanhörung sei deutlich geworden, dass derzeit nicht einmal belastbare Zahlen darüber existieren, wie viele Promovierende es aktuell gibt. Die Statistik erhebt bisher nur die abgeschlossenen Promotionen. Wie viele Akademiker im stillen Kämmerlein an einer Dissertation werkeln und sie womöglich irgendwann aufgeben, kann niemand sagen.

Die Universität Erlangen-Nürnberg hat jüngst ihre Doktoranden erstmals explizit als Mitglieder der Hochschule in ihrer Grundordnung ausgewiesen. Dies hatte auch der Wissenschaftsrat gefordert: Wenn die Universität am Ende der Promotion nur als Prüfungsinstanz in Erscheinung trete, werde sie ihrer "Verantwortung als alleinige Inhaberin des Promotionsrechts" nicht gerecht.

Eine hohe Zahl an Promovierenden wirkt sich für Professoren in der Regel positiv aus. Sie kann Zulagen in der (jetzt vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten) Leistungsbesoldung und bei der Mittelvergabe an die Unis bringen. Alfred Kieser, emeritierter Betriebswirtschaftler an der Uni Mannheim, fordert die Abschaffung solcher Anreize. "Ich kann Kollegen nicht verstehen, die sich ihrer 20 und mehr Doktoranden rühmen", sagt Kieser. In seiner viel beachteten Abschiedsvorlesung rügte er, dass beim Urteil über wissenschaftliche Leistungen mittlerweile vor allem quantitative Kriterien angelegt würden. Der Doktortitel müsse "das Eintrittsbillet für die Forschung sein, nicht für das Berufsleben" - auch wenn nicht ausgeschlossen werde, dass manch einer dann doch nach der Promotion in die Praxis gehe.

Wenn ein beträchtlicher Teil der Doktoren gar keine Forschungstätigkeit anstrebt, sondern den Titel für eine Karriere außerhalb der Uni benötigt - sind dann nicht deutlich größere Reformen nötig? In den Niederlanden gibt es "Professional Doctorates", auf die Berufspraxis bezogene Titel. In Großbritannien wird Ärzten auch ohne Promotion der Titel MD verliehen, "Medical Doctor" - für das Klingelschild an der Praxis.

Gerade für die deutsche Medizin, wo Schmalspurpromotionen nicht selten sind, halten Experten so ein Modell für denkbar. Oder wäre gar ein Verzicht auf die Titel möglich? Vor allem in naturwissenschaftlichen Fächern hat sich neben der Promotion längst ein Parallelsystem für wissenschaftliche Qualifikation eingebürgert; dort geht es um Publikationen in angesehenen Fachjournalen.

Die Frage ist, ob Professoren und Universitäten den Mut haben, effektiv gegen die Titelhuberei bei Politikern, Managern und Ärzten vorzugehen. Die Universitäten schmücken sich ja selbst gern mit prominenten und mächtigen Absolventen. Sie müssen nur aufpassen, dass der "Dr." dabei nicht zu einer billigen Serviceleistung verkommt.

© SZ vom 20.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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