Schule:Lehrer kämpfen gegen das Streikverbot

Lesezeit: 3 min

Der Streik als Mittel im Kampf um bessere Arbeitsbedingungen könnte bald auch beamteten Lehrern offenstehen. (Foto: imago/Christian Mang)
  • Das Bundesverfassungsgericht prüft, ob es nach dem Grundgesetz ein Streikrecht für Beamte geben muss.
  • Geklagt haben vier beamtete Lehrer, sie werden unterstützt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Von Wolfgang Janisch

Es ist erst einmal nur eine Anhörung. Aber weil man weiß, dass das Bundesverfassungsgericht selten und dann nur über wichtige Themen öffentlich verhandelt, dürfen die zuständigen Minister in Bund und Ländern etwas beunruhigt sein. Das hohe Gericht prüft, ob es nach dem Grundgesetz ein Streikrecht für Beamte geben muss, namentlich für Lehrer. Würde es die Frage mit Ja beantworten, wäre das eine Revolution des in Deutschland stets hoch gehaltenen Berufsbeamtentums. Vielleicht sogar dessen Ende.

Geklagt haben vier beamtete Lehrer aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, aber letztlich ist es die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die antritt, um ihren seit Jahrzehnten gehegten Plan vom Lehrerstreik in die Verfassungsgeschichte einzuschreiben. Gäbe es in der juristischen Welt nur die Urteile des Verfassungsgerichts, dann wäre das Vorhaben der Ritt auf einem toten Pferd. Der Beamte habe kein Recht, auf die Höhe seines Gehalts einzuwirken und "kollektive wirtschaftliche Kampfmaßnahmen zu ergreifen", schrieb das Gericht schon 1958. Dabei blieb es in den folgenden Jahrzehnten.

Schule
:Die Mint-Misere könnte sich verschärfen

Der Bedarf ist riesig, doch immer weniger angehende Lehrer studieren mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer.

Von Paul Munzinger

Doch dann setzte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Streikrecht für Beamte auf die Agenda. In zwei türkischen Fällen von 2008 und 2009 befand der Straßburger Gerichtshof, ein absolutes Streikverbot für Beamte verstoße gegen Artikel 11 der Menschenrechtskonvention. Beamten mit "nicht hoheitlichen" Aufgaben dürfe der Streik nicht rundweg untersagt werden. Und deutsche Lehrer haben nun mal überwiegend "nicht hoheitliche" Aufgaben, auch wenn Schüler das anders sehen mögen. Hoheitlich handelt, wer etwas verbindlich anordnen kann, wie der Polizist, der jemanden vorläufig festnimmt, oder der Finanzbeamte, der einen Steuerbescheid erlässt. Unterrichten zählt nicht dazu.

Es war, als hätte der EGMR einen Stein ins Wasser geworfen, nur dass die Wellen immer größer werden statt kleiner. 2010 entschied das Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, es sei "europarechtswidrig", einer warnstreikenden Lehrerin eine Disziplinarverfügung aufzuerlegen, 2011 folgte das VG Kassel. 2014 rollte die bisher höchste Welle an, aus Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht nahm die Vorgaben der Europarichter ernst, sinnierte über stärkere Beteiligungsrechte der Beamten bei ihren Arbeitsbedingungen und über ihr Recht, für mehr Sold zu streiken. "Wir haben einen Konflikt, wie es ihn in der Rechtsgeschichte noch nicht gab", sagt Rechtsanwalt Karl Otte, der einen der Lehrer vertritt.

Beamte gehören zur DNA des Staates - und sollen eben diesen Staat bestreiken dürfen? Man muss kein Feind des Beamtenwesens sein, um das für eine komplizierte Vorstellung zu halten. Der Deal, den Artikel 33 Grundgesetz bereithält, lautet bisher so: Der Beamte bietet seine volle Loyalität und Arbeitskraft, dazu einen Schuss politische Mäßigung und etwas Bereitschaft zur Mehrarbeit. Dafür bekommt er lebenslange Versorgung, die durch Begriffe wie Pension und Beihilfe zur Arztbehandlung an Strahlkraft gewinnt.

Dass er bisher nicht selbst um höhere Löhne kämpfen darf, wird kompensiert durch den Anspruch auf "amtsangemessene" Alimentation, der gerichtlich durchsetzbar ist. Das Verfassungsgericht hat - als eine Art Verdi-Ersatz in roten Roben - diesen Anspruch mehrmals untermauert. Hier ein Streikrecht draufzupacken hieße, das Beste aus beiden Welten zu fordern, sagt etwa der Deutsche Beamtenbund, einer der schärfsten Kritiker des GEW-Vorstoßes.

Wie aber könnte das Bundesverfassungsgericht an den Urteilen der Straßburger Kollegen vorbeikommen? Der Zweite Senat steckt in einem Dilemma. Berichterstatter in dem Verfahren ist ausgerechnet Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle, der seit Jahren die Vorzüge des "europäischen Gerichtsverbundes" preist - geprägt von wechselseitiger Rücksichtnahme. Zwar sind die Urteile dann doch manchmal konfliktreicher, als es die zugewandte Rhetorik vermuten lässt. Aber dem Menschenrechtsgerichtshof seine türkischen Beamtenurteile einfach wieder vor die Füße zu werfen, wäre schon ein Affront.

Lehrer
:Vom Schönling bis zur Fast-Pensionärin

Streng oder locker, organisiert oder verplant: In der Schule trifft man auf die unterschiedlichsten Lehrertypen. Zum Weltlehrertag an diesem Samstag stellen wir die wichtigsten vor.

Von Larissa Holzki und Matthias Kohlmaier; Illustrationen von Jessy Asmus

Rein formal wäre das denkbar. Denn die Europäische Menschenrechtskonvention, der 47 Staaten angehören, hat in Deutschland nur den Rang eines einfachen Gesetzes. Sie rangiert also unter dem Grundgesetz, in dem das Berufsbeamtentum verankert ist. Straßburger Entscheidungen müssen in Deutschland "berücksichtigt" werden, schrieb Karlsruhe 2004. Bisweilen wird die Menschenrechtskonvention auch als "Auslegungshilfe" charakterisiert. Eine harte Gehorsamspflicht ist das nicht.

Trotzdem dürfte der Zweite Senat kaum die Konfrontation suchen. Das hat er nicht einmal beim Thema Sicherungsverwahrung getan, obwohl das damals ein echter Clash zwischen den beiden Gerichtshöfen war. Das Menschenrechtsgericht hatte das deutsche System der Verwahrung gefährlicher Straftäter über die eigentliche Haft hinaus infrage gestellt, und in Karlsruhe war man zunächst wirklich ärgerlich. Trotzdem fand das Gericht 2011 einen eleganten Weg, die deutsche Sicherungsverwahrung bestehen zu lassen und dabei dennoch eine höfliche Verbeugung vor der Menschenrechtskonvention zu machen.

Sind türkisches und deutsches Beamtenrecht vergleichbar?

Gut möglich, dass es beim Streikrecht ähnlich läuft. Die Richter könnten prüfen, ob türkisches und deutsches Beamtenrecht überhaupt vergleichbar sind. Oder ob die Straßburger Urteile, in denen es nicht explizit um Lehrer ging, sondern zum Beispiel um Beamte aus dem Kataster- und Straßenwesen, wirklich eins zu eins auf Lehrer übertragbar sind. Oder ob die "nicht hoheitlich" agierenden deutschen Lehrer für ein Land, das seine Zukunftsfähigkeit an den Bildungserfolg knüpft, nicht genauso wichtig sind wie "hoheitlich" handelnde Polizisten.

Womöglich sei eine gesellschaftliche "Edukationsoffensive" erforderlich, um die Grundlagen der Demokratie in der Krise westlicher Verfassungsstaaten zu festigen, schrieb Ex-Verfassungsrichter Udo Di Fabio in einem Gutachten für den DBB. Wobei: Das wäre vielleicht doch ein schwieriges Argument. Fast 200 000 der mehr als 800 000 Lehrer sind laut GEW keine Beamten. Die dürfen so oder so streiken.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: