Plagiatsaffäre der Bildungsministerin:"Schavans Verhalten fand ich skandalös"

Die Bildungsministerin steht im Verdacht, bei ihrer Doktorarbeit zumindest unsauber gearbeitet zu haben. Was bedeutet das für die Promovierenden in Deutschland? Norman Weiss, Vorsitzender des Netzwerks Thesis, über die Arroganz der Macht und die alltäglichen Probleme der Doktoranden.

Von Johanna Bruckner

Die einen schwingen sich zur Ehrenrettung der Bildungsministerin auf. Die anderen sehen dadurch die wissenschaftliche Unabhängigkeit in Gefahr und stärken der Uni Düsseldorf den Rücken. Vor der Entscheidung über den Doktortitel von Annette Schavan (CDU) haben sich die Wissenschaftsorganisationen und Vertreter der Hochschulen in Stellung gebracht. Was denken Doktorandinnen und Doktoranden über die jüngste Plagiatsaffäre? Norman Weiss ist Bundesvorsitzender des Netzwerks Thesis, das sich seit mehr als 20 Jahren für Promovierende und Promovierte einsetzt. Seine eigene Doktorarbeit hat der 35-Jährige über Roboterfußball geschrieben. Im Gespräch erzählt er, warum ihn Schavans Reaktion auf die Plagiatsvorwürfe schockiert hat - und appelliert dafür, im Zuge der jüngsten Affären nicht nur die Doktoranden in die Pflicht zu nehmen.

SZ.de: Guttenberg, Koch-Mehrin und jetzt Schavan: Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie die Plagiatsaffären?

Norman Weiss: Es gibt dieses berühmte Zitat von Herrn zu Guttenberg: Er habe ob der Belastungen mit Promotion, Politik und Familie irgendwann den Überblick über seine Quellen verloren. Ich glaube, diese Begründung haben damals viele Promovierende - mich eingeschlossen - als Hohn empfunden.

Haben für Sie die Vorwürfe gegen Annette Schavan als Bildungs- und Wissenschaftsministerin eine andere Qualität als die vorangegangenen Skandale?

Mir stößt vor allem ihr Verhalten zu Beginn der Geschichte übel auf. Da gab es von ihr die Aussage: Mit anonymen Anschuldigungen beschäftige sie sich gar nicht. Derjenige, der die Vorwürfe vorangetrieben habe, solle sich erst mal zu erkennen geben. Das fand ich skandalös. Als Wissenschaftsministerin, in ihrer Machtposition, hätte sie wissen müssen, dass selbst die Karriere eines Professors durch ein solches Outing erheblich hätte Schaden nehmen können. Und für einen Doktoranden wäre das schlicht der wissenschaftliche Tod gewesen! Da war für mich eine Arroganz und Abgehobenheit von den tatsächlichen Problemen der Promovierenden zu spüren, die mich erschüttert hat.

Befürchten Sie einen nachhaltigen Imageschaden für die Promotion durch die Plagiatsaffäre Schavan?

Diese Frage ist mir im Zuge des Falls Guttenberg oft gestellt worden: Ich glaube nicht, dass ein einzelner Skandal stark abfärbt. Die Leute wissen, dass der Großteil der Promovierenden ordentlich arbeitet. Betrug ist in jedem System möglich, schwarze Schafe gibt es überall. Mir macht allerdings die Häufung prominenter Plagiatsfälle schon Sorgen. Gerade Personen, die im Wissenschaftssystem unerfahren sind, sagen sich möglicherweise irgendwann: Wenn es so viele Betrugsfälle gibt, muss da doch was faul sein. Das gilt selbst für Akademiker, die die Uni nach dem Studium verlassen haben und deshalb nur grob wissen, wie eine Doktorarbeit funktioniert. Solche Zweifel schaden dem Ansehen der Promotion natürlich. Wobei ich die Hoffnung habe, dass die Menschen erkennen, dass das Problem im System liegt. Wir haben ein System, das es Leuten mit der entsprechenden Energie leicht macht, zu schummeln.

Damit meinen Sie Politiker, die ihren Doktor nicht um der Wissenschaft willen, sondern aus Prestigegründen machen?

Ich weiß nicht, ob Politiker besonders anfällig für Betrügereien sind. Schließlich bleiben 90 Prozent der Doktoranden nicht an der Uni, sondern gehen in die Wirtschaft, im weitesten Sinne, oder den öffentlichen Bereich. Und diese 90 Prozent promovieren nicht nur aus Prestigegründen - oder sind alle Plagiatoren. Das eigentliche Problem ist: Wer ab- oder umschreiben will, kann darauf hoffen, damit durchzukommen, weil das System zu viele Lücken hat.

Wie sehen die aus?

Ein Beispiel: Der Zweitgutachter der Doktorarbeit von Herrn zu Guttenberg hat mal in einem Interview gesagt: Vom Thema der Dissertation habe er nicht so viel Ahnung gehabt wie der Erstgutachter, der eine Koryphäe auf dem Gebiet gewesen sei. So habe er sich einfach dessen Gutachten angeschlossen. Das läuft dem Sinn des Vieraugenprinzips - mit zwei Gutachtern, die die Arbeit unabhängig voneinander bewerten - aber zuwider. Solche Dinge passieren immer wieder, weil guter Usus zwar existiert, aber nicht durch Leitlinien festgeschrieben wird.

"Die Gutachter werden nicht in die Pflicht genommen"

Beim Zentralabitur kennen sich Erst- und Zweitkorrektor nicht. Das soll die Unabhängigkeit der einzelnen Bewertungen gewährleisten. Erst- und Zweitgutachter bei Promotionen kommen dagegen häufig aus demselben Fachbereich einer Uni. Sind die Probleme da nicht programmiert?

Doktorarbeit Schavan

Promotion unter Verdacht: Bildungsministerin Annette Schavan wird vorgeworfen, bei ihrer Doktorarbeit zumindest unsauber gearbeitet zu haben.

(Foto: dpa)

Tatsächlich gibt es durchaus auch Meinungsverschiedenheiten zwischen Erst- und Zweitgutachter. Die Gründe sind ganz unterschiedlich: Konkurrenzverhalten zwischen den Professoren kann eine Erklärung sein. Oft stecken dahinter fachliche Differenzen. Es gibt wissenschaftliche Disziplinen, da stehen sich zwei Lager nahezu unversöhnlich gegenüber. Manchmal haben die Querelen aber auch zwischenmenschliche Gründe: Man mag den Kollegen einfach nicht, der den Prüfling anschleppt. Da gerät ein Doktorand schnell in die Mühlen höherer Mächte. Im Kommen ist momentan, dass zumindest für die Vergabe eines "Summa cum laude" ein drittes, externes Gutachten notwendig ist.

Im Zusammenhang mit den Plagiatsaffären ist oft von einer Nichteinhaltung der Zitierregeln die Rede. Allerdings hat fast jede Disziplin ihre eigenen Vorgaben - wäre es nicht sinnvoll, für eine Vereinheitlichung zu sorgen?

Ich glaube nicht, dass starre Strukturen der Weg sind. Dazu sind die Disziplinen zu unterschiedlich. Wenn Sie sich eine juristische Arbeit angucken: Da nehmen die Fußnoten manchmal mehr Platz ein als der eigentliche Text. In den Naturwissenschaften wiederum sind ganz andere Dinge entscheidend. Wichtiger finde ich, dass gesicherte Regeln klar kommuniziert werden und sich beide Parteien zur Einhaltung verpflichten. Was spräche dagegen, dass Betreuer und Doktorand quasi einen Vertrag abschließen mit gegenseitigen Verbindlichkeiten? Darin könnte beispielsweise festgehalten werden, dass sich der Promovierende an die vereinbarte Zitation zu halten hat. Idealerweise gibt es dann noch ergänzende Richtlinien der Universität, zum Beispiel, dass der Zweitgutachter nicht befangen sein darf.

Haben die Plagiatsaffären dazu beigetragen, nötige Reformen anzustoßen?

Ein ganz klares: jein. Ja, weil das Thema dadurch aufs Tableau gekommen und erfreulicherweise auch dort geblieben ist. So viele Einladungen zu Tagungen und Konferenzen zum Thema "Qualitätssicherung in der Promotion" wie in den letzten zwei Jahren habe ich noch nie bekommen. Nein, weil ich glaube, dass wir nicht dahin gucken, wo wir hingucken müssten. Als Folge aus den Plagiatsaffären werden den Doktoranden die Daumenschreiben angezogen - eidesstattliche Erklärungen, mehr Überwachung ... Aber die Gutachter werden nicht in die Pflicht genommen. Thesis und Deutscher Hochschulverband haben gemeinsam eine "Best-Practice-Vereinbarung zum Promotionsverhältnis" ausgearbeitet. Diese ist aber sowohl bei Promovierenden als auch bei Betreuern noch relativ unbekannt. Und viele Professoren sperren sich gegen festgeschriebene Prüfverfahren für Doktorarbeiten.

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