Hochschulpolitik:"Der Master wird überbewertet"

Studenten im Hörsaal

Viele Bachelor-Absolventen hängen direkt den Master an und ziehen einen Berufseinstieg nicht in Betracht.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Absolventen sollten sich den Berufseinstieg mit dem Bachelor trauen, sagt Irene Seling, die bei den Arbeitgeberverbänden für Hochschulpolitik zuständig ist: "Die Chancen sind gut."

Interview von Benjamin Haerdle

Als 29 europäische Bildungsminister im Jahr 1999 den Bologna-Prozess einläuteten, hatte dies für die deutschen Hochschulen gravierende Auswirkungen. Um einen einheitlichen europäischen Bildungsraum zu schaffen, mussten sie sich von lieb gewonnenen Traditionen wie dem Diplom- und dem Magister-Abschluss verabschieden und führten stattdessen Bachelor und Master ein.

Während der Master vor allem forschungs- oder anwendungsorientiert sein soll, sollen die Hochschulen mit dem Bachelor insbesondere wissenschaftliche Grundlagen und Methodenkompetenzen vermitteln - und die berufliche Qualifikation der Absolventen sicherstellen. Doch ob Bachelor-Absolventen nach drei Jahren Hochschule fit sind für den Berufseinstieg, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Irene Seling von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) vertritt die Ansicht, dass der Abschluss durchaus für den Berufseinstieg qualifiziert. Ob man gleich oder später ein Masterstudium draufsattelt, will laut der promovierten Forstwissenschaftlerin, die beim BDA für Hochschulpolitik zuständig ist, gut überlegt sein.

SZ: Fast 20 Jahre nach der Bologna-Reform herrscht immer noch Uneinigkeit, ob der Bachelor für den Berufsstart wirklich taugt. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Irene Seling: Der Bachelor ist die richtige Antwort auf die Entwicklung des Arbeitsmarktes. Es ist allerdings nicht mehr so wie früher, dass man mit einem Studium für das restliche Erwerbsleben vorbereitet ist. Heute muss es immer wieder Phasen des Lernens in der Berufstätigkeit geben. Der Bachelor kommt als Berufseinstieg sehr gut an. Das höre ich von Unternehmen, und das zeigen auch Studien.

In welchen Branchen werden Bachelor-Absolventen besonders gesucht?

Wir haben Engpässe zum Beispiel bei den Ingenieuren, dort fehlen Fachkräfte. Ich sehe mit Bedauern, dass sich immer mehr Bachelor-Absolventen für einen direkt anschließenden Master entscheiden. Die Übergangsquoten an den Unis liegen fast bei 100 Prozent. Dabei ist der Bachelor für den Berufseinstieg ausreichend, etwa als Vertriebsingenieur, in der Informatik oder als Wirtschaftsingenieurin.

Nicht überall genügt der Bachelor.

In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industrie braucht es den Master genauso wie in der Chemie, wo zudem die Promotion oft ein wichtiges Einstellungskriterium ist. Doch insgesamt gilt: Der Master wird überbewertet.

Weit verbreitet unter Studenten ist etwa die Meinung, dass Master-Absolventen für den gleichen Job ein höheres Gehalt bekommen als Bachelor-Absolventen.

Das stimmt so aber in der Regel nicht. Die Stelle hat eine bestimmte Vergütung, und der akademische Abschluss ist nicht das entscheidende Kriterium, wer welches Gehalt bekommt.

"Schon während des Bachelors Praktika absolvieren"

Haben Absolventen mit Bachelor-Abschluss beim Ringen um den Job geringere Chance als Master-Absolventen?

Das sehen wir vom BDA nicht so. Wir glauben vielmehr, dass Studierende schon während des Bachelors Praktika absolvieren sollten. Dann können sie erkennen, dass für bestimmte Tätigkeiten der Bachelor ausreicht. Und man sollte ein bisschen mehr Zutrauen in den Arbeitsmarkt haben, der momentan für Akademiker hervorragend ist: Die Arbeitslosigkeit unter Akademikern liegt bei 2,5 Prozent. Die Situation für Berufseinsteiger ist sehr gut, viele finden binnen kurzer Zeit einen Job. Aus unserer Sicht müssten die Hochschulen aber noch stärker für den Bachelor werben. Wichtig ist, dass sich in den Lehrplänen insbesondere der Universitäten die Arbeitsmarktorientierung wiederfindet.

Diese Forderung hat Tradition. Hat sich an den Universitäten nichts getan?

Doch, da gibt es Ansätze. Die TU Darmstadt etwa bietet in den Ingenieurwissenschaften und zunehmend in anderen Disziplinen im ersten Semester eine Projektwoche, in der Studierende an technischen Fragestellungen in Kleingruppen arbeiten.

Wie sieht es bei den Geisteswissenschaften aus?

Da könnte man den Hebel in der Akkreditierung von Studiengängen ansetzen, indem man die Themen Beruflichkeit und Fachlichkeit stärker in den Akkreditierungsverfahren verankert. Jeder Fachbereich, jede Hochschule sollte nachweisen, was er oder sie dafür unternimmt. Auch eine Fakultät, die etwa Sozialwissenschaftler ausbildet, sollte konkrete Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern ihrer Studierenden nachweisen. Das Berufsfeld in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist sehr weit, und Absolventen fällt es schwerer als Medizinern und Maschinenbauern, sich zu orientieren. Umso mehr sind die Hochschulen in der Pflicht zu helfen.

Eine andere Option für Hochschulen bestünde darin, dass sie nicht-konsekutive Masterprogramme ausbauen.

Dies sagen wir den Hochschulen schon seit Jahren. Diese entgegnen wiederum, die Nachfrage sei nicht so groß, weil sich viele lieber direkt nach dem Bachelor für einen konsekutiven Master entscheiden und nicht ein paar Jahre warten wollen. Das ist ein typisch deutscher Weg: Kein anderer Bologna-Staat unterscheidet zwischen konsekutiven und nicht-konsekutiven Masterprogrammen. Hochschulen haben natürlich auch die Möglichkeit, einen vierjährigen Bachelor samt Praxissemester und Auslandsaufenthalt anzubieten. Das macht aber kaum eine Hochschule. Bachelor und Master werden fast flächendeckend im Paket angeboten - und dieses darf nach den Regularien der Bundesländer nicht länger als zehn Semester dauern.

Wie lautet Ihr Appell an Bachelor-Absolventen?

Sie sollten sich den Berufseinstieg mit dem Bachelor trauen, die Chancen sind gut. Es wird sich dann zeigen, ob und in welchem Bereich ein Master sinnvoll sein kann.

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