Studium:"Die hohe Frequenz im Bachelor setzt vielen Studierenden zu"

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Stress macht Studierende krank - daher sollten sie früh gegensteuern. (Foto: Catherina Hess)

Prüfungscoach Bettina Hafner erklärt, wie Studierende den Stresskreislauf an der Uni vermeiden und was bei der Klausurvorbereitung wichtig ist.

Interview von Matthias Kohlmaier

Bettina Hafner ist Organisationspsychologin und Systemischer Coach. Die studierte Romanistin hat für die TU München ein Prüfungscoachingkonzept entwickelt und betreut Studierende in schwierigen Studien- und Lebenssituationen. Zusammen mit Ursula Kronenberger hat sie den Ratgeber "Entspannt Prüfungen bestehen" veröffentlicht.

SZ.de: Frau Hafner, warum fühlen sich viele Studierende so gestresst, wie es nun wieder eine Studie der AOK herausgefunden haben will?

Bettina Hafner: Im Bachelor müssen jedes Semester sechs bis sieben Klausuren bestanden werden, sonst fällt man sofort zurück. Diese hohe Frequenz setzt vielen zu. Wer im Studium nicht von Beginn an optimal funktioniert, der häuft schnell einen Berg von Problemen an. Natürlich gibt es auch die, die dann sagen: "Hänge ich eben ein Semester hinten dran, wird schon irgendwie gehen." Aber manche haben nicht so ein dickes Fell und geraten in einen Stresskreislauf, wenn sie zwei oder drei Prüfungen nicht auf Anhieb bestehen.

Das Bachelor/Master-System begünstigt Stress.

Das Bachelor-Studium sieht vor, dass man in jedem Semester eine konstant gute Leistung abliefert. Das geben die restlichen Lebensumstände aber manchmal nicht her. Auch im Job ist man später nicht immer gleich gut. Es gibt Studierende, die erst große Schwierigkeiten hatten, später aber hervorragende Bachelor-Arbeiten abgeliefert und mit einem Master weitergemacht haben. Weil manchmal Unterstützung notwendig ist, haben wir an der TU München ein Beratungs- und Betreuungsangebot für die Studierenden eingerichtet.

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Fällt Ihnen ein konkreter Fall aus Ihrer Beratungspraxis ein?

Eine Studentin hat mich aufgesucht, sie war gerade im dritten Semester und kurz davor, das Studium hinzuschmeißen. Sie war eine super Schülerin gewesen, aber die Uni hat sie sehr verunsichert. Sie hat nicht mehr an sich und ihre Fähigkeiten geglaubt und immer mehr schlechte Noten kassiert. Wir haben ein Semester lang an ihrem Selbstwertgefühl gearbeitet und daran, dass sie sich Auszeiten gönnt. Kürzlich hat sie sich noch mal bei mir gemeldet: Sie hat ihre Bachelorarbeit mit 1,0 bestanden, einen Master drangehängt und nun eine Promotionsstelle in Aussicht.

Wer nimmt Ihr Coaching-Angebot ansonsten wahr?

Selten Erstsemester, weil da ja meistens noch nicht so viel schiefgelaufen ist. Danach aber Studierende aus allen Semestern, die zum Bachelor führen. Wer den gepackt hat, ist offenbar aus dem Gröbsten raus. Wir haben kaum Master-Studierende in unseren Veranstaltungen.

Welche Inhalte besprechen Sie in Ihren Seminaren?

Struktur und Lernplanung, Prüfungsnervosität, was zieht mich runter und wo stehe ich mir selbst im Weg. Das ist bei den Studierenden auf so großes Interesse gestoßen, dass mein damaliger Chef meinte, wir könnten doch ein kleines Seminarprogramm aufziehen. Das haben wir gemacht. Zusätzlich arbeiten wir viel in Kleingruppen. Insgesamt haben wir für unsere Veranstaltungen mehr Anfragen, als wir Studierende aufnehmen können. Gerade die Seminare haben lange Wartelisten.

Welchen Rat würden Sie einem Erstsemester geben, um den Stresskreislauf im Studium von vornherein zu vermeiden?

Wer ein Studium aufnimmt, sollte sich möglichst früh mit anderen zusammentun. Gemeinsam lernt es sich nicht nur angenehmer, man kann sich auch Dinge gegenseitig erklären. Und Neu-Studierende sollten sich von Beginn an bewusst machen, dass die Uni nicht funktioniert wie die Schule. Hier reicht es nicht, clever zu sein, die Stoffmengen sind dafür zu groß. Man muss konsequent lernen und dranbleiben. Wer einmal Lücken entstehen lässt, wird sich sehr schwer tun, diese wieder zu schließen.

Die Menge des Lernstoffs überfordert viele Studierende?

Zu uns kommen Leute und sagen: "Ich verstehe das nicht! Ich war doch immer so gut in Physik und jetzt sitze ich in der Vorlesung und checke gar nichts." Die meisten müssen sich erst auf die höhere Geschwindigkeit an der Uni einstellen. Wer sich aber in dieser Phase keine Hilfe holt, sei es beim Lernen mit Kommilitonen, in Tutorien oder Sprechstunden von Assistenten oder Doktoranden, der kriegt oft schon bald ein Problem.

Wie sieht für Sie eine möglichst stressfreie Prüfungsvorbereitung aus?

Man sollte früh einen Blick auf den Prüfungsplan werfen, gerade wenn man Klausuren nachholen muss. Immer wieder probieren Studierende, zwei Prüfungen an einem Tag zu schreiben - die allermeisten scheitern. Die wollen aufholen, klar. Ich rate trotzdem: Eine Klausur pro Tag genügt. Bei den intensiven Fächern sollte man regelmäßig mitarbeiten und in einem Wintersemester mit der Prüfungsvorbereitung vor Weihnachten beginnen. Noch ein Tipp: Niemals den ganzen Tag lang nur ein Fach lernen, das Gehirn braucht Abwechslung! Wer variiert, kann auch problemlos drei oder vier Fächer parallel lernen.

Plädieren Sie für einen zeitigen Studienabbruch oder -fachwechsel, wenn es früh im Studium schon hakt?

Nein, man braucht auch die Souveränität, nicht gleich in Panik zu verfallen. Es ist ja völlig in Ordnung, den Bachelor erst nach acht Semestern zu packen. Wenn ich aber eine Grenze definieren müsste, würde ich sie nach dem zweiten Semester ansetzen. Wer bis dahin mit seinem Studienfach noch nicht warm geworden ist, sollte sehr ernsthaft darüber nachdenken, ob er dort am richtigen Platz ist.

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Wer diesen Punkt verpasst hat oder trotz großer Schwierigkeiten zu Ende studieren will, wie kann der den Stresskreislauf brechen?

Wenn es so weit ist, dass Symptome wie Prüfungsangst, depressive Verstimmung oder Schlaflosigkeit auftreten, ist der Gang zum Arzt oft wichtig und richtig. Dort kann man sich das attestieren lassen und in der Folge ein Urlaubssemester beantragen, um aus dem Hamsterrad herauszukommen. Eine Auszeit ist kein Eingeständnis von Schwäche. In der Zeit kann man ein Praktikum machen oder hat manchmal auch die Möglichkeit, einige wenige Prüfungen zu schreiben, wenn man sich gut genug fühlt.

Welche Tipps haben Sie für Studierende, die noch halbwegs im Studienplan sind, aber merken, dass sie trotz großen Aufwands gegenüber Kommilitonen zurückfallen?

Man muss gucken, was in deren Leben sonst noch so los ist. Muss der Nebenjob oder das Ehrenamt zum Beispiel wirklich unbedingt sein? Bei einem Vollzeitstudium sind für mich zehn Stunden Nebenjob pro Woche das absolute Maximum, das noch leistbar ist. Wenn wir Lernpläne mit Studierenden machen, sagen wir immer, ein Tag pro Woche sollte komplett frei sein. Dann hören wir nicht selten: "Das geht nicht! Von Montag bis Freitag muss ich studieren, samstags arbeiten und sonntags lernen." Ich habe eine Studentin kennengelernt, die als Babysitterin rund um die Uhr abrufbar sein musste, die konnte von ihren Auftraggebern aus der Vorlesung geholt werden. Das war auf Dauer ein unmöglicher Zustand.

Wenn es nicht an den Nebenbeschäftigungen liegt, was raten Sie dann?

Wir haben oft mit Leuten zu tun, die sich sehr intensiv auf das Studium konzentrieren, den ganzen Tag nur lernen und sich dann wundern, warum sie ständig durch Klausuren fallen. Die sind völlig überarbeitet, aber denken trotzdem, man müsste von 8 bis 22 Uhr am Schreibtisch sitzen. Die vom Gegenteil zu überzeugen, ist sehr schwierig. Bei der Erstellung von Lernplänen verhandele ich teilweise um halbe freie Tage, die sich jemand nicht zugestehen will.

Am 17. Oktober beginnt in Bayern das Wintersemester. Wie sieht für Sie der ideale Studierende aus?

Der ist strukturiert und hat neben dem Lernen noch Zeit für Freunde und Hobbys. Erfolgreiche Studierende haben eine gute Balance und ein ausgeglichenes Leben. Wenn das nicht möglich ist, muss man genau gucken, was es verhindert.

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