Furcht vor Prüfungen:"Angst kann eine treue, eifersüchtige Freundin sein"

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Prüfungsangst kann zu schlechten Noten und im schlechtesten Fall zum Studienabbruch führen, sagt der Experte. (Foto: lassedesignen - Fotolia)
  • Viele Studenten leiden unter Prüfungsangst. Besonders betrifft sie angehende Juristen - vor allem Frauen.
  • Hinter schwerer Prüfungsangst können ernstzunehmende Angststörungen stecken.
  • Einige Universitäten bieten mittlerweile Beratungsstellen an, wo sich betroffene Studenten Hilfe holen können.

Von Jannis Brühl, Düsseldorf

Jürgen Riemer sitzt in seinem Büro und klatscht. Im Rhythmus des Klatschens spricht er als Beispiel ein Wort mit: "Uni-ver-si-täts-klinikum Düssel-dorf". Das, erklärt er, sei eine alternative Methode für Studenten, um Dinge auswendig zu lernen. "Rhythmisches Lernen" nennt er das. Ein kleiner Rap gegen die Prüfungsangst.

Der 56-jährige Sozialpädagoge ist auch Konfliktberater, in seiner psychosozialen Beratungsstelle auf dem Gelände der Uniklinik hilft er jungen Menschen bei einem ganz bestimmten inneren Konflikt: Die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität schickt ihm Studenten, die vor Prüfungen Herzklopfen bekommen, schweißnasse Hände, das Gefühl der Atemnot. Die panisch auf Situationen reagieren, in denen sie beurteilt werden.

Studentinnen sind von Prüfungsangst deutlich häufiger betroffen als ihre männlichen Kommilitonen - oder geben es zumindest öfter zu. Mehr als ein Drittel der befragten Frauen klagt, Angst vor Prüfungen zu haben, so steht es im großen Studentensurvey des Bildungsministeriums von 2014. Bei den Männern sind es nur 16 Prozent, weniger als halb so viele. Auch in den Studiengängen gibt es Unterschiede: 37 Prozent der angehenden Juristen geben an, Prüfungsangst zu haben. Bei den Wirtschaftswissenschaften sind es zum Beispiel nur 22 Prozent.

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Ein bisschen Lampenfieber sei normal und mache bereit für die Herausforderung, sagt Riemer. Aber ernsthafte Prüfungsangst kann zu schlechten Noten, verlorenen Semestern, gar Studienabbrüchen führen. In fünf bis sechs einstündigen Gesprächen sollen Studenten Fortschritte machen, sagt Riemer: "Wichtiges Merkmal eines Fortschrittes ist die Bereitschaft, sich den Prüfungen zu stellen - selbst wenn sich nicht alles bestens anfühlt."

Weg von der Familie, krank in der ersten Woche und dann auch noch Westdeutschland. Riemer schildert den - fiktiven, aber auf seinen Erfahrungen basierenden - Fall der Studentin "Lisa", die aus Thüringen nach Düsseldorf kommt, um Geschichte und Romanistik zu studieren. Die 23-Jährige kämpft um Anschluss in der fremden Umgebung, lernt viel, nur um dann mit Blackout in der Prüfung zu sitzen. Riemer erzählt, wie ihm Studenten das Phänomen beschreiben: "Ich bin außer Rand und Band, mir fällt nichts mehr ein, ich fühle mich fehl am Platz und bin mehr mit mir selbst beschäftigt als mit der Prüfung." Das ist demotivierend, und kann Studenten in Angstspiralen stürzen. In einer Beratungsstelle, wie sie mittlerweile viele Unis anbieten, sollen Menschen wie Lisa lernen, mit der Angst umzugehen.

Geschichten von Panik hört Riemer oft. Er erzählt, was ihm Studenten berichten: "Sie könnten in mündlichen Prüfungen nicht mehr reden, Aufgaben nicht mehr logisch nachvollziehen. Das führt dazu, dass sie einfach nur noch irgendetwas ankreuzen oder irgendetwas schreiben. Sie reagieren mechanisch und panisch."

Bei etwa drei Prozent aller Studenten, die an Prüfungsangst leiden, liege dieser eine Phobie im pathologischen Sinne zugrunde, sagt die Psychologin Neele Reiß von der Goethe-Universität Frankfurt. Allein die Möglichkeit zu versagen sei den Betroffenen so unerträglich peinlich, dass sie der Situation nicht gewachsen seien. Aber egal ob klinisch diagnostizierte Phobie oder eine alltäglichere Form der Prüfungsangst, die Strategien dagegen seien oft dieselben: Negative Gedanken durch positive ersetzen - eine Art Neuprogrammierung. In Rollenspielen üben, wie man sich verhält. Oder sich Karten schreiben, die an Erfolge erinnern.

Wenn der Berater Riemer nicht weiterkommt, verweist er den Patienten ein paar Türen weiter. Dort sitzen im selben Institut für Psychosomatik Ärzte, die sich mit psychosomatischer Medizin und Psychotherapie auskennen. Die sollen dann herausfinden, ob Psychotherapie oder Medikamente eingesetzt werden sollten. Denn hinter der Furcht vor Prüfungen kann eine grundsätzliche Angststörung liegen. Eine von Riemers wichtigsten Fragen an die Studenten lautet deshalb: "Wie läuft es denn in anderen Lebensbereichen?"

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"Tunnelblick ist ja typisch für Angst"

Riemer setzt darauf, dass die Studenten ihre Angst reflektieren. Eine Rückmeldung, wie es in Klausuren besser läuft, bekommt er immer wieder: "Sie beantworteten erst die Fragen, deren Antworten sie kannten und dann die schwierigeren." Er setzt auch auf Rollenspiele. Dann spielt er den Dozenten, lässt den Studenten immer wieder ins Zimmer kommen: "Ich weise darauf hin, dass der Student sofort den Dozenten fixiert und ins Stocken kommt. Ich empfehle dann, vielleicht erst einmal den Blick durch den Raum schweifen zu lassen. Tunnelblick ist ja typisch für Angst." Wer sich erst einmal in Ruhe orientiere, fühle sich weniger, als sei er auf der Flucht. Und wer die Strenge des Prüfers fürchte, solle sich doch zunächst einmal vorstellen, der Prüfer sei ihm wohlgesonnen.

Bei vielen, erklärt Psychologin Reiß, stehe hinter Prüfungsangst ein Trauma: "Professoren, die Studenten kleinmachen - das gibt es ja tatsächlich. Bei manchen ist es der Grundschullehrer, der einen vor der Klasse zur Schau gestellt hat." Sie untersucht gerade unter anderem, wie Therapien helfen, bei denen sich Studenten an die traumatisierende Situation erinnern. Eine vielversprechende Strategie könne sein, sie in Gedanken positiv enden zu lassen statt negativ, etwa mit der Bewältigung der Aufgabe und ohne Spott des Dozenten.

Reiß sagt, dass die Bologna-Reform das Problem verschärfe. Dass ein Student wegen einer Angststörung in Behandlung müsse, könne im neuen System böse enden: "Bei drei bis sechs Monaten Wartezeit auf einen Therapieplatz, wie in vielen Gegenden üblich, sind sie aus einem Bachelor-Studium einfach raus. Und das bedeutet auch den sozialen Drop-out, weil sie nicht mehr in ihrer Jahrgangsstufe sind."

Jürgen Riemer hat in jahrelanger Erfahrung eine Metapher für die Angst gefunden: "Angst kann eine treue, eifersüchtige Freundin sein, die sich ständig in mein Leben einmischt, ohne dass ich sie danach gefragt habe. Wenn ich ihr sage: 'Du, es passt mir jetzt gerade nicht', bleibt sie erst recht."

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