Handys in der Schule:Tippen ohne Tabu

Schülerin mit Telefon

Normalerweise sind Handys im Unterricht nicht gerne gesehen. 

(Foto: dpa)

Abschied vom Handy-Verbot im Unterricht: Im Rahmen eines Pilotprojekts sind Smartphones im Klassenzimmer ausdrücklich erlaubt. Damit nähern sich die teilnehmenden Schulen der Lebenswelt ihrer Schüler und sparen Geld.

Von Alexandra Straush

Papier und Stift sieht man hier nicht, im Projektunterricht der Neuntklässler. Stattdessen surft Jan Winkelmann mit seinem Smartphone, während ihm sein Lehrer wohlwollend über die Schulter blickt. In dieser Klasse an der Walter-Bader-Realschule in Xanten am Niederrhein ist die Nutzung des eigenen Handys - an normalen Schulen strengstens untersagt oder gar mit Abnahme des Geräts bestraft - nicht nur erlaubt. Sondern Programm.

Jan arbeitet an einer Präsentation über Ausbildungen bei einem großen Salzhersteller in der Region - für ein Berufswahlprojekt. Um eine Powerpoint-Präsentation zu erstellen, füttert er ein Notebook der Schule mit Daten, recherchiert sie aber mit seinem eigenen Handy. Das sei schon praktisch, meint er. Zumal der PC-Pool auf der anderen Seite des Flurs gerade besetzt ist, dort findet gerade eine Informatikstunde statt.

Für Schulleiterin Regina Schneider ist der Handy-Einsatz im Unterricht nur konsequent. "Es geht darum, die Lernmöglichkeiten zu erweitern. Unser Denken muss sich verändern, weg von dem was verboten ist, hin zu dem was nützt." Deshalb ist die Schule Partner im europäischen Förderprojekt "School IT Rhein Waal" des Lehrstuhls für Mediendidaktik und Wissensmanagement der Universität Duisburg-Essen.

Klappt die Idee aus der Wirtschaft in Schulen?

Die Idee stammt aus der Wirtschaft: Anstatt Mitarbeiter mit Technik auszustatten, erlaubt der Arbeitgeber die Nutzung eigener Geräte. "Bring Your Own Device" (BYOD), lautet das Motto - weil Arbeit damit schneller und besser von der Hand gehe, außerhalb des Büros möglich sei; und weil eine Firma dann weniger in Geräte investieren muss.

Die Forscher erproben jetzt, mit zwei deutschen und zwei niederländischen Schulen, wie sich das Konzept auch auf den Unterricht übertragen lässt. So hat das Handy in Xanten sowie in Moers, ebenfalls in Nordrhein-Westfalen, Einzug in die Schulen gehalten. Hoch offiziell.

Dahinter steht die Überlegung, dass viele Schüler heutzutage privat ohnehin über ein internetfähiges Gerät verfügen. Studien etwa des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest besagen, dass inzwischen 100 Prozent aller Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren in ihrem Haushalt einen Zugang zu Computer oder Laptop haben, 97 Prozent besitzen ein eigenes Handy.

"Die Ausstattung der Schüler ist also gut, wird aber durch das Handy-Verbot an Schulen systematisch ausgeklammert", bemängelt der Mediendidaktiker Richard Heinen, der das Projekt an der Uni betreut. Stattdessen müssen sich nach einer Erhebung seines Teams Jugendliche in der Schule im Schnitt immer noch einen Computer mit zehn anderen Schülern teilen.

Schüler-Handys sparen Kosten

Auch das Moerser Gymnasium Filder-Benden stellte sich unter diesem Gesichtspunkt die Frage, ob ein Handy-Verbot eigentlich sinnvoll ist. Nein, erklärt der stellvertretende Schulleiter Wilhelm Derichs, "denn es gehört zum Alltag der Schüler, auf dem Schulhof und im Gebäude". Unschlagbar ist aus seiner Sicht auch das Kostenargument: Zurzeit verfügt die Schule über drei PC-Pools, kommt damit auf einen Computer für 16 Schüler und sei "am Limit der Finanzierung" angekommen.

Didaktisch sinnvoll wäre Derichs zufolge ein Computer für vier Schüler, was mit festinstallierten Geräten quasi nicht bezahlbar ist. Bis zum Sommer soll die Oberstufe einen drahtlosen Online-Zugang für eigene Geräte bekommen, in der Schlussphase des Projekts alle 1100 Schüler. Inklusive Begleitunterricht: Auch wenn die Geräte zum Alltag der Schüler gehören, sagt Marc Lachmann, Lehrer für Medienerziehung in Moers, "heißt das noch lang nicht, dass sie sich wirklich damit auskennen".

Spielen, Facebook, Youtube-Videos - das kann jeder aus der Netzgeneration. Präsentationstechniken und derlei aber kaum.

Schüler helfen Schülern

In Xanten gibt es dafür "Medienscouts", eine Schüler-AG, die sich um Beratung und technische Hilfe kümmert. "Wir klicken nicht weg", heißt ihr Slogan. Er steht auf einem Transparent über der Ausleihe, einem Raum mit Regalen voller schuleigener Notebooks, in dem die Scouts in jeder großen Pause Dienst schieben.

Das Argument, wegen einer eher mauen IT-Ausstattung am BYOD-Projekt teilzunehmen, gilt hier offenbar nur bedingt. Fast immer herrscht Hochbetrieb, Schüler leihen Hardware aus oder bringen sie zurück, manche stellen Fragen. Die Scouts leisten noch mehr: In der Unterstufe werden sie von Lehrern angeheuert, um den Kindern beim Einstieg in das Arbeiten mit Computern zu helfen.

"Die tägliche Medienwirklichkeit von Jugendlichen und die schulische Arbeit mit digitalen Medien klaffen immer weiter auseinander", meinen die BYOD-Forscher aus Duisburg. Das Potenzial ihres Konzepts liege weniger in der Debatte um schulische IT-Ausstattung, sondern betreffe die Weiterentwicklung von Schulalltag und Unterricht generell.

Auch wenn in Xanten erst ein Bruchteil der Schüler durchgängig Handys im Unterricht einsetzt, hat der Wegfall des Handy-Verbots die Atmosphäre verändert. Man gehe entspannter miteinander um, sagt die Schulleitung. Und: Ärger um Handy-Missbrauch im Unterricht sei fast kein Thema mehr.

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