Bachelor-Studiengänge:"Wir sind im Dauer-Reparaturbetrieb der Bologna-Reform"

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4500 verschiedene Bachelor-Studiengänge gibt es. Bernhard Kempen, Chef des Hochschulverbands, erklärt, wer für den Fächer-Wildwuchs verantwortlich ist und welche Versprechen die Bologna-Reform noch einlösen muss.

Von Marlene Weiss

Bernhard Kempen, 53, ist seit 2004 Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, der Berufsvertretung deutscher Wissenschaftler mit fast 30.000 Mitgliedern. Er ist Professor für Öffentliches Recht und Völkerrecht an der Universität Köln.

SZ: 4500 verschiedene Bachelor-Studiengänge gibt es in Deutschland, darunter Fächer wie "BWL für Spitzensportler", "Automation and Control Engineering" oder "Christliche Theologien in ökumenischer Perspektive". Mal ehrlich: Wer braucht das alles?

Bernhard Kempen: Es gibt Studiengänge, bei denen man sich ernsthaft fragen muss, wer damit etwas anfangen soll. Aber das ist auch eine Folge der Bologna-Reform: Die Hochschulen sollten ein eigenes Profil entwickeln, da fingen manche an, eigenartige Arabesken zu treiben.

Gibt es überhaupt einen Arbeitsmarkt für derart hochspezialisierte Bachelor-Absolventen?

Die Wirtschaft braucht umfassend gebildete Akademiker, nicht den Spezialisten, der vermeintlich genau in eine Lücke passt. Ich kann Studienanfängern nur raten: Lass dich beraten, rede mit Absolventen, schau, was aus denen geworden ist. Eigentlich ist es Aufgabe der Hochschulen, eine breite akademische Bildung zu vermitteln.

Ist dieses Ideal denn im Bologna-Prozess noch erwünscht?

Bologna hat es uns nicht leichter gemacht, wir sind im Modulhandbuch zu jedem Studiengang wie in einem Korsett gefangen. Aber wir stemmen uns dagegen, wir wollen umfassende Bildung vermitteln, und das ist auch möglich.

Trotzdem gibt es all die Bachelor-Studiengänge, die mit umfassender Bildung offenbar nicht viel zu tun haben. Versagen da nicht die Hochschulen?

Nein, dafür muss man sich bei den Akkreditierungsagenturen bedanken, die Studiengänge zulassen und so eigentlich die Qualität sichern sollten. Die haben uns das eingebrockt. Wenn man einen Bachelor-Studiengang akkreditieren lassen will, fragen die: Was ist das Alleinstellungsmerkmal? Als ob das schon ein Qualitätssiegel wäre.

Und die Professoren? Bei manchen Studiengängen drängt sich der Verdacht auf, dass ein Professor sein Spezialgebiet mit einem Studiengang adeln will.

Es wurden sicher Fehler gemacht, viele Professoren sind mit dem Strom geschwommen. Aber wir wurden an den Hochschulen auch von den Bundesländern erpresst. Wir müssen Zielvereinbarungen abschließen, im Bachelor so und so viele Studenten auszubilden. Die setzen uns die Pistole auf die Brust.

Verschlimmert sich die Situation?

Nein, es entwickelt sich zum Besseren. Wir sind im Dauer-Reparaturbetrieb der Bologna-Reform. Als vor drei Jahren die Studenten auf die Straße gegangen sind, haben die Kultusminister eingesehen, dass es so nicht weitergeht. Dass man nicht ins Modulhandbuch schreiben darf, wie viel Stoff ein Student zu bewältigen hat - ein Studium braucht auch Muße. Und dass man nicht jeden Studiengang in sechs Semester pressen kann. Wir sind jetzt guten Mutes, dass die Richtung stimmt.

Hat Bologna gar nichts Gutes gebracht?

Doch, es gibt Erfolge. Die Mentalitätsveränderung zum Beispiel: An den Universitäten wird jetzt intensiv darüber nachgedacht, was wollen wir, was sind die Ziele? Das verbuche ich auf der Haben-Seite.

Und die Soll-Seite?

Die wiegt schwerer. Wir haben nicht mehr Mobilität erreicht, im Gegenteil. Zwischen den Unis von Köln und Bonn liegen 50 Kilometer, aber es ist so durchmodularisiert, dass man kaum wechseln kann. Und es gibt in vielen Fächern keine Durchlässigkeit vom Bachelor zum Master, wegen Mangel an Plätzen. Die Mehrzahl der Bachelor-Studiengänge ist ordentlich, damit kann man etwas anfangen. Aber man muss sich immer fragen, ob man auch wirklich einen Master anschließen kann.

Ist es dann nicht doch naheliegend, einen sehr speziellen Bachelor zu wählen, um direkt als Fachmann in den Beruf einzusteigen?

Nein. Die Politiker haben immer davon geträumt, dass die Leute nach sechs Semestern in den Beruf gehen, aber das passiert kaum. Wir freuen uns sehr über den immensen Zuwachs an Studenten, aber man betrügt sie, wenn man sie nach dem Bachelor hängen lässt.

© SZ vom 08.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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