Seehofers Erben:Herr, sende ein Zeichen

Vereidigung des bayerischen Kabinetts

Wirtschaftsministerin Ilse Aigner und Finanzminister Markus Söder (r.) wollen Horst Seehofer beerben.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Im Kampf um seine Nachfolge scheint sich Horst Seehofer auf Ilse Aigner festgelegt zu haben. Seither agiert Konkurrent Markus Söder immer häufiger gegen seinen Chef. Doch im CSU-Machtgerangel könnte es noch einen dritten Kandidaten geben.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Es ist 12 Uhr, Montagmittag auf dem Oktoberfest. Markus Söder kommt an seinen reservierten Tisch in der Direktionsboxe im Hofbräuzelt. Die Kapelle spielt den Defiliermarsch, das ist der Soundtrack der CSU-Chefs und der bayerischen Ministerpräsidenten. Zufall, natürlich. Es gibt ja so unglaublich viele Zufälle momentan in Bayern. Manche sind aufs Sorgfältigste geplant, anderes passiert wirklich einfach so. Einem wie Söder wäre der arrangierte Auftritt zum Defiliermarsch zwar jederzeit zuzutrauen. Allerdings würde er dann in der Lederhose durchs Hauptportal einziehen und nicht im Anzug durch die Nebentür kommen wie an diesem Montag.

Derzeit kann die komplette zweite Reihe von CSU-Politikern hinter Ministerpräsident Horst Seehofer praktisch keinen Auftritt absolvieren, ohne dass genau auf die Begleitbotschaften geschaut wird. Hat Söder im Rennen um die Seehofer-Nachfolge die Nase vorn, dreht ihm Ilse Aigner eine lange Nase, zieht Joachim Herrmann in fränkischer Gemütsruhe an allen vorbei?

Immer bereit zum Fight

Söder verheimlicht nie, dass er noch weiter nach oben will. Auf der Wiesn simuliert er mittags den Oberbayern. Abends spricht er mit Bankern im "Money-Club". In Franken ist er sowieso groß. Wenn er als Dienstherr zu Bayerns Beamten spricht, dann gerne mit dem Hinweis, dass er Boxhandschuhe im Büro habe. Immer bereit zum Fight. Seit ein paar Wochen schon führt er ganz offen den Kampf gegen Seehofer.

Als der nach den Wahlerfolgen für die AfD in ostdeutschen Landesparlamenten analysiert, die Union müsse einfach nur gute Arbeit abliefern, dann gehe die AfD schon wieder vorüber, stellt sich Söder vor die Kameras und skizziert Schreckensbilder. Wenn die CSU nicht aufpasse, könne sie in Bayern unter die 40-Prozent-Marke rutschen. Söder provoziert ständig. Seehofer sagt, es sei gerade nicht die Zeit für Steuergeschenke, prompt fordert Söder welche. Söder pusht, Seehofer stutzt zurecht. Was Söder an Entlastungen vorschwebe, sei unseriös, das könne niemand bezahlen. Söder aber bleibt einfach stehen. Von Seehofer hat er nichts Gutes mehr zu erwarten, das weiß Söder, seit Seehofer ihm 2012 auf der CSU-Weihnachtsfeier "zu viele Schmutzeleien" vorgeworfen hat. Also spinnt Söder seine Netzwerke in der Landtagsfraktion und kann sich darüber freuen, dass er zu Jahresbeginn in einer BR-Umfrage von den Bayern am häufigsten als Wunschnachfolger genannt wurde.

Aigner müht sich

In diesem Erbfolgekrieg belauert jeder den anderen und misst auf den Zentimeter genau nach, wie sich nach Erfolgen und Niederlagen die eigene Machtbasis und die der anderen vergrößert oder verkleinert.

Kabinettssitzung in München

Ministerpräsident Horst Seehofer hält Ilse Aigner für die optimale Lösung.

(Foto: dpa)

Auch Aigner misst. Aber sie lässt sich dabei nicht so zuschauen. Sie galt schon in dem Moment als Kronprinzessin, als Seehofer sie für den Landtagswahlkampf aus der Bundespolitik abzog und nach München holte. Nach der Wahl stutzte Seehofer auch sie erst mal zurecht. Sie bekam das Wirtschaftsressort und nicht den Fraktionsvorsitz, der ihr besser gelegen hätte. Und als große politische Aufgabe die Energiewende, mit der sie sich seit Monaten müht. Ihre Fachleute sagen ihr: Bayern braucht Stromtrassen. Seehofer sagt: Er will keine Stromtrassen. So geht das seit Monaten und das fürs vergangene Frühjahr versprochene Energiekonzept lässt auf sich warten.

Aigner macht keine Politik gegen Seehofer. Noch nicht jedenfalls.

Balance der Kandidaten

Während Söder auf der Wiesn sitzt und eineinhalb Stunden lang an einer alkoholfreien Radlermass nippt, müht sich Aigner mit Pumpspeicherkraftwerken, die Seehofer erst super und dann ungeeignet fand. Aigner muss das in Politik gießen. So reihen sich bei ihr interne Besprechungen aneinander. Bei Parteiklausuren wie der von Banz vergangene Woche sucht sie den Schutz der Klostermauern, während Söder draußen die Journalisten findet. Nur einmal scheint sie öffentlich auf, natürlich wieder ganz in der Nähe von Seehofer. Der lobte sie dann auch in seiner großen Ansprache in der Fraktion. Söder erwähnte er nicht mal beim Namen, sagen Teilnehmer.

Über lange Zeit hat Seehofer versucht, seine Nachfolgekandidaten in einer Balance zu halten: Keiner sollte sich zu sicher fühlen, keiner ausgegrenzt werden. So gab es eine Handvoll angeblich gleichgewichtiger, möglicher Varianten, inklusive eines geheimen Bewerbers in der Hinterhand, einen "Mister X", wie Seehofer sagte.

Niemand soll sich zu früh freuen

Doch seitdem Seehofer es offenbar als Hauptaufgabe betrachtet, Söder zu verhindern, verschieben sich die Gewichte, und zwar ins Groteske. Neuerdings betet Seehofer fast das ganze Partei-Telefonbuch herunter, wenn er nach Nachfolgekandidaten gefragt wird. Und bevor sich jemand zu früh freut, taucht regelmäßig der Name Karl-Theodor zu Guttenberg auf. Der Sinn dieser Show dürfte sein: zu vertuschen, dass er sich selbst längst auf Aigner festgelegt hat. Ihr ließ er auch weitgehend freie Hand bei der Nachbesetzung der zurückgetretenen Christine Haderthauer.

Auch wenn Aigner Startschwierigkeiten in Bayern hatte und immer noch hat, die Frau weiß, was sie will. Sie will der Gegenentwurf zu Machttaktikern wie Söder sein. Warmherzig, heimatverbunden. Eine Wohlfühlpolitikerin. Der Anti-Söder-Typ. Gut möglich, dass sich die Partei nach den Seehofer-Jahren genau danach sehnt. Seehofer weiß auch, dass Söder im Grunde die Fortsetzung von Seehofer wäre. Er kann genauso verletzend sein. Söders politisches Ordnungsprinzip sind ebenfalls Stimmungen. Er ist ein großes Talent, ein Phänomen. Aber er wird nicht wirklich gemocht.

Die Fraktion will keine Zerreißprobe

Ein anderer schöner Herbsttag. Innenminister Joachim Herrmann sitzt vorne in einem Reisebus und zeigt Journalisten sein Franken. Der Bus kurvt durch Erlangen, Herrmann sagt, wo es langgeht. Er ist jetzt 58 Jahre alt. Er ist kein Hallodri wie Söder. Ihm fliegen aber auch die Herzen nicht so zu wie Aigner. Dafür macht er so solide seinen Job, dass er immer mehr Leuten in der Partei als Alternative zu den beiden erscheint. Herrmanns Aktien gingen nach oben in der Fraktion, sagt einer der Einflussreichen dort. "Unaufgeregt und verlässlich", sei Herrmann. "Er kann es." Auf seiner Frankentour lässt er die Journalisten auch mal lange warten, weil er mit Berlin Kompromisslinien beim Asyl ausloten muss. Die Botschaft ist klar: von wegen, der Herrmann kann nur Provinz!

Bayerische Kabinettssitzung

Joachim Herrmann ist aus Sicht seiner Fans die wahrhaft optimale Lösung.

(Foto: dpa)

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer ist die Nachfolge-Debatte lästig. Söder? Aigner? Keiner von beiden werde es vielleicht am Ende, raunzte er vergangene Woche. Weiß er mehr? Es weiß in jedem Fall, dass die Fraktion keine Zerreißprobe will, vor die ein Machtkampf die Partei stellen könnte. Andererseits: In dieser Partei muss man sich nehmen, was man will. Das war nie anders.

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