Pliening:"Reichsbürger" gründen eigene "Regierung" in Oberbayern

Bürgerversammlung Pliening

Plienings Bürgermeister Roland Frick bei einer Bürgerversammlung.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)
  • Aus einem normalen Einfamilienhaus im oberbayerischen Pliening regieren sogenannte Reichsbürger ihren eigenen "Bundesstaat Bayern".
  • Bürgermeister Roland Frick kennt sie, drei mal hatte er schon Vertreter der "administrativen Regierung" bei sich im Büro sitzen.
  • Wie viele "Reichsbürger" im Umfeld aktiv sind, weiß auch die Polizei nicht.

Von Anselm Schindler, Pliening

Der Sitz der "administrativen Regierung" im oberbayerischen Pliening wirkt unscheinbar. Ein normales Einfamilienhaus, im Garten ein paar Bäume, am Briefkasten die Aufschrift "Keine Werbung" - und eine weitere: "Zentrale Verwaltung Bundesstaat Bayern". An einem vor dem Haus geparkten Auto prangt ein Wappen des "Bundesstaates Bayern".

Monika S. ist in der selbsternannten Regierung für den Bereich "Inneres" zuständig und damit auch für Presseanfragen, wie sie selber sagt. Doch Auskünfte will sie am Telefon nicht geben, "wegen den Lügen", welche die Medien verbreiteten, sagt sie. Nachfrage bei einer Nachbarin: "Am Anfang hab ich mich ja schon gefragt was das alles soll, aber die sind harmlos", sagt die Frau. Mehr will sie nicht sagen, sie wendet sich ab, die Haustür geht zu.

Die Polizei zählt die scheinbar harmlosen Nachbarn zu den sogenannten Reichsbürgern, jenen Menschen also, die Legitimität und sogar Existenz der Bundesrepublik infrage stellen und sich nicht an deren Gesetze gebunden fühlen. Im Oktober hat ein Reichsbürger im mittelfränkischen Georgensgmünd auf Polizisten geschossen, einer starb, mehrere wurden zum Teil schwer verletzt.

Bei Monika S. in Pliening können sich Sympathisanten für "Reichsbürger"-Treffen in Bayern anmelden, viele sogenannte Dekrete und Anordnungen der "administrativen Regierung" sind von S. unterschrieben. Erst kürzlich trafen sich Anhänger der "administrativen Regierung" im Raum Freising, auch in Kaiserslautern, im pfälzischen Landau und in der Gegend von Mannheim kamen in diesen Tagen Gleichgesinnte zusammen.

Öffentlich sind die Versammlungen freilich nicht, die Anhänger bekommen wenige Stunden vor dem Treffen mit einer E-Mail oder einem Anruf den Treffpunkt mitgeteilt. Was bei den Zusammenkünften passiert, erfahren nur die Teilnehmer.

"Das wüssten wir auch gerne", sagt Hans-Peter Kammerer vom Polizeipräsidium Ingolstadt auf die Frage, wie viele Reichsbürger im Umfeld der "administrativen Regierung" von Pliening aktiv seien. Die Erkenntnisse sind bislang dünn, die Polizei sei gerade dabei, ein Lagebild zu erstellen und Informationen zusammenzutragen, sagt Kammerer.

Pliening ist eine überschaubare Gemeinde im Osten von München, halb Einzugsgebiet der bayerischen Metropole, halb Dorf. Durch den Ort brettern Lastwagen Richtung A 99, im Bierzelt wird gefeiert wie vor hundert Jahren. "Hier kennt man sich", sagt Bürgermeister Roland Frick. Dass in seinem Ort eine selbsternannte Regierung ihren Sitz habe, wisse er.

Drei Mal hatte der Bürgermeister bereits Vertreter der "administrativen Regierung" bei sich im Büro sitzen. Bücher hätten sie ihm vorbeigebracht, lange Zitate vorgelesen, um ihm ihre Weltsicht darzulegen. Und auch ihre Ausweisdokumente wollten die Mitglieder der selbsternannten Regierung abgeben. Angenommen habe er die Dokumente nicht, sagt Frick, und als Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung die Papiere eines Tages im Briefkasten des Rathauses fanden, hätten sie diese an ihre Besitzer zurück geschickt.

Im zuständigen Landratsamt Ebersberg kennt man die Plieninger Reichsbürger ebenfalls, sie sind nicht die einzigen im Landkreis. In ganz Bayern wird ihre Zahl auf 1700 geschätzt, sagte kürzlich Innenminister Joachim Herrmann. Einige "Reichsbürger" hätten versucht, ihre Ausweisdokumente abzugeben, erklärt Norbert Neugebauer, ein Sprecher des Landratsamtes. Teilweise gehe das Amt wegen Verstoßes gegen die Ausweispflicht gegen diese Menschen vor. Und: Allein in diesem Jahr seien etwa 30 Anträge auf Staatsangehörigkeitsausweise eingegangen, sagt Neugebauer. Viele Reichsbürger glaubten, dass "staatenlos" sei, wer lediglich einen Personalausweis besitze.

Auch im Ebersberger Amtsgericht sind die "Reichsbürger" bekannt

Auch am Ebersberger Amtsgericht sind die sogenannten Reichsbürger schon aufgefallen, "das ist nicht nur eine skurrile Randerscheinung", sagt Richter Markus Nikol. In ganz Bayern gibt es Vorfälle, dass solche Leute die Richter angehen, den Prozess zu stören versuchen oder trotz Vorladung gar nicht erst vor Gericht erscheinen.

Deswegen wird im Justizministerium gerade ein Leitfaden für den Umgang mit "Reichsbürgern" erarbeitet, sagt eine Sprecherin. Im Frühjahr seien außerdem Fortbildungsmaßnahmen für die Mitarbeiter von Gerichten geplant.

Die meisten Organisationen, die den "Reichsbürgern" zugerechnet werden, bezeichneten sich selbst nicht so, betont Polizeisprecher Kammerer. Sie gehören keiner einheitlichen Bewegung an, auch selbsternannte Regierungen gibt es mehrere im Freistaat. Alle eint sie aber mindestens, dass sie die Bundesrepublik und ihre Gesetze nicht anerkennen. Dieses Kriterium erfüllt auch die selbsternannte Regierung in Pliening - sie bezieht sich auf die Verfassung Preußens vom 30. November 1920. Das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland liege in Wirklichkeit in der Antarktis heißt es in einer "Anordnung", der Organisation.

In der "Anordnung", welche die "administrative Regierung" im November an öffentliche Einrichtungen verschickte, wird "BRD-Bediensteten" mit Strafen gedroht, sollten sie auf bayerischem Territorium weiter "hoheitlichen Verwaltungsakten" nachgehen. Gemeint ist damit die Arbeit von Polizei, Gerichten und anderen Behörden. Tatsächlich werden solche Drohungen immer wieder in die Tat umgesetzt: In Sachsen hatten bereits 2012 "Reichsbürger" in gefälschten Polizeiuniformen einen Gerichtsvollzieher mit Kabelbindern gefesselt.

Bürgermeister Frick klingt ein wenig genervt, wenn er auf die "administrative Regierung" angesprochen wird. Abwimmeln wollte er die Mitglieder der Organisation aber nicht, "man nimmt sich die Zeit", sagt Frick. Als "höflich und selbstbewusst" beschreibt er die Mitglieder der Organisation. Dann fällt das Wort "Reichsbürger": Frick seufzt, "schwierig, sehr schwierig", sagt er. Schließlich war er selber mal bei der Polizei, früher. Wie die ehemaligen Kollegen, auf die ein "Reichsbürger" geschossen hat.

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