NS-Vergangenheit:Frankens braune Wallfahrt

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Der Ausblick vom Hesselberg, mit 689,4 Metern die höchste Erhebung Mittelfrankens, ist bei schönem Wetter famos. (Foto: N/A)
  • Julius Streichers "Frankentage" auf dem Hesselberg entwickelten sich seit 1930 zu einer Heerschau.
  • Auf der Ebene der NS-Gaue gab es im Reich kein vergleichbares völkisches Volksfest.
  • Jedes Jahr pilgerten bis zu 100 000 Besucher den Hügel hinauf, den Streicher zum "heiligen Berg der Franken" erkoren hatte.

Von Olaf Przybilla, Hesselberg

Die beiden Damen im Café, die auf dem Hesselberg einen leckeren Cappuccino ausschenken, fassen die Sachlage offenbar richtig zusammen. Auf die Frage, ob hier oben irgendwo die Ausstellung zu sehen ist, die dokumentiert, wie der "Frankenführer" Julius Streicher den Berg zu einer NS-Kultstätte umfunktionierte, antworten sie: "Dafür hat's hier keinen Platz." So jedenfalls habe man das gehört.

Das kann man merkwürdig finden, immerhin ist es ein evangelisches Bildungszentrum, das den Berg dominiert, ein geräumiges zumal. Und ein paar Informationen über Streicher würden der Bildung ja grundsätzlich keinen Abbruch tun. Zumal die Liaison zwischen Kirche und Nationalsozialismus in dieser sehr früh sehr braunen Region historisch längst belegt ist.

Rainer Büschel sieht das genauso. Er ist einer der Ausstellungsmacher, die 2010 in Nürnberg dokumentierten, wie die Nazis den Hesselberg-Mythos schufen. "Frankens braune Wallfahrt", wie der Historiker Thomas Greif das in seinem Standardwerk über den Berg genannt hat.

Streichers "Frankentage" entwickelten sich seit 1930 zu einer Heerschau, auf der Ebene der NS-Gaue gab es im Reich kein vergleichbares völkisches Volksfest. Die Ausstellung zeigte, wie die Nazis auf dem Berg immer zur Sonnwendfeier eine Art NS-Rummel mit Kulturprogramm zelebrierten.

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Konkurrierende Nazis erlebten Streichers Peitschreden als notorisches Gebrüll

Jedes Jahr pilgerten bis zu 100 000 Besucher den Hügel hinauf, den Streicher zum "heiligen Berg der Franken" erkoren hatte. Sogar konkurrierende Nazis erlebten Streichers Peitschreden dort als notorisches Gebrüll.

Goebbels notierte in sein Tagebuch: "Streicher spricht. Saumäßig. Aber dennoch, die Stimmung ist da." Wie die NS-Feste auf die Menschen in der ländlich geprägten Region wirkten, las sich in der Lokalpresse 1935 so: "Seit rings um den Berg die Hitlerfahna uns winka / viel besser als sunscht das Brot is' und der Schinka."

Könnte man sich dafür auf dem Hesselberg, dem höchsten Berg in Mittelfranken, nicht durchaus interessieren? Büschel findet das auch, er hätte die Ausstellung schon 2010 am liebsten auf dem Berg eröffnet, nicht in Nürnberg. Seither hofft er, dass sie "da wenigstens irgendwann mal zu sehen sein wird", womöglich sogar dauerhaft.

Eine Stiftung könnte sich künftig darum kümmern. Büschel hat auch noch Hoffnung, dass das Argument "kein Platz" irgendwann nicht mehr zieht. Immerhin fiel den nationalprotestantisch gesinnten Ortspfarrern eine entscheidende Rolle zu für die Tatsache, dass sich die Nazis schon vor 1933 in Westmittelfranken ausbreiteten wie sonst kaum irgendwo.

Vorläufig hängt im Café nur eine Wand mit einer groben Geschichte des Hesselbergs, die braunen Jahre sind dort immerhin erwähnt. Ein Besuch dort oben lohnt trotzdem. Es zieht zwar ziemlich, ringsherum ist die Landschaft überwiegend flach. Dafür hat man bei schönem Wetter eine famose Aussicht. Manchmal, heißt es, sogar bis zu den Alpen.

© SZ vom 22.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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