Landespolitik:Freie Wähler in der Existenzkrise

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Die Abgeordneten Felbinger und Pohl haben Ärger mit der Justiz, und mit ihren Themen dringt die Partei nicht mehr durch. Braucht es die Freien Wähler im Landtag überhaupt noch?

Von Wolfgang Wittl, München

Um deutliche Worte ist Hubert Aiwanger selten verlegen. Es ist Dienstagnachmittag, soeben sickert die Nachricht durch, dass der Landtagsabgeordnete Günther Felbinger Geld aus seinem Mitarbeiter-Etat zu Unrecht in andere, vielleicht sogar seine eigenen Kanäle gelenkt haben soll. Von Aiwanger wird nun Klartext erwartet.

Natürlich sei es nicht schön, wenn "zwei gute Leute einen Kopf kürzer gemacht" würden, sagt der Chef der Freien Wähler (FW). Erhellendes zum Fall seines Fraktionskollegen Felbinger kann er aber nicht beitragen, zu frisch sei das alles. Stattdessen Durchhalteparolen: Jammern helfe nichts. So sei das halt in der Politik. Mit solchen Geschichten müsse man sich arrangieren. Da müsse man jetzt durch.

Die "Rieseneuphorie" von 2008 ist verflogen

Die Geschichten, durch die die Freien Wähler durchmüssen, häufen sich in letzter Zeit. Schön ist keine von ihnen. Von schweren Schlägen ist in der Fraktion vielmehr die Rede, von Schock und tiefen Tälern, die man im Moment durchschreite. Von der "Rieseneuphorie" durch den Landtagseinzug von 2008, an die sich ein Mandatsträger noch gut erinnert, will jedenfalls keiner mehr sprechen. Eher über die Sorge, wie es weitergehen soll.

In der Politik ist es wie im Sport. Manchmal hat man einen guten Lauf, dann einen schlechten. Für die Freien Wähler läuft es seit Monaten nur in eine Richtung: steil nach unten. In Umfragen sackt die Gruppierung kontinuierlich ab, die Fünf-Prozent-Marke rückt bedrohlich nahe. Seit die Politik vom Flüchtlingsthema beherrscht wird, fällt es den Freien Wählern schwer, mit eigenen Positionen durchzudringen.

Nicht, dass Aiwanger seine Angriffslust abhanden gekommen wäre: Manches von dem, womit er die CSU im Landtag piesackt, wird von der Regierungspartei als richtig angesehen. Manchmal schmerzt es sie sogar, wenn Aiwanger den Finger in die Wunde legt, wie mit der Aufforderung an Ministerpräsident Horst Seehofer, er solle der Frau Merkel doch endlich zeigen, "wo der Hammer hängt". Allein: Die Umfragewerte bröckeln weiter.

Wofür braucht es die Freien Wähler noch?

Die Freien Wähler sind Fleisch vom Fleische der CSU, in der Landespolitik starteten sie erst durch, als die Stoibersche Zwei-Drittel-Mehrheitspolitik vielen Wählern als zu selbstherrlich aufstieß. In den großen Grundsatzfragen unterschieden sich Freie Wähler und CSU nie sonderlich voneinander. Aber wofür wird man dann überhaupt gebraucht, wenn Studiengebühren und das achtstufige Gymnasium keinen mehr interessieren, weil alle Welt nur noch über die Asylpolitik debattiert?

Erwin Huber kennt die Freien Wähler aus nächster Nähe. Huber kommt wie Aiwanger aus dem FW-Stammland Niederbayern, er war Chef der CSU, als die Freien Wähler sie mit ihrem Einzug ins Parlament in eine existenzielle Krise stürzten. Huber musste als Parteivorsitzender abtreten, man könnte ihm unterstellen, dass sein Blick von Rache getrübt ist.

Abgeordneter Bernhard Pohl
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Eindeutig eine Straftat: Der Landtagsabgeordnete Bernhard Pohl war bei seiner Trunkenheitsfahrt "absolut fahruntüchtig", teilt die Staatsanwalt mit. Dem Politiker droht nun richtiger Ärger - auch mit den Freien Wählern.

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Vielleicht steckt in seiner Sicht von außen aber auch ein wahrer Kern: Die Freien Wähler würden zwischen CSU und AfD zerrieben, die versuchte Ausdehnung nach Berlin habe nichts gebracht, ebenso der Weg nach Brüssel mit nur einer Abgeordneten, im Landtag falle ihnen auch nicht mehr viel ein. "Jeder Protestpartei geht einmal die Luft aus", sagt Huber: "Für die Freien Wähler ist jetzt der Zeitpunkt gekommen."

Dass die Freien Wähler eine Protestpartei sind, das bestreiten sie schon wegen ihrer kommunalen Verwurzelung. An Protesten mangelt es derzeit trotzdem nicht: Sie richten sich gegen zwei eigene Abgeordnete, die Ärger mit der Justiz haben und das Dilemma verschärfen. Vergangene Woche erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Fraktionsvize Bernhard Pohl, der im Sommer mit 1,29 Promille Alkohol auffiel - nicht sein erstes Verkehrsdelikt. Pohl, zugleich schwäbischer FW-Bezirkschef, lässt seine Ämter inzwischen ruhen. Das Krisenmanagement, bis es dazu kam, wurde jedoch als verbesserungswürdig angesehen.

Und nun die Sache mit Felbinger, dem zweiten der beiden guten Leute, die laut Aiwanger ihren Kopf verloren haben. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil er Geld aus seinem Mitarbeiter-Etat unerlaubt an FW-Parteigliederungen weitergereicht - oder womöglich sogar in die eigene Tasche gewirtschaftet haben soll.

Wie Pohl war auch der Unterfranke Felbinger Bezirkschef und eine von Aiwangers wichtigsten Stützen in der 19 Köpfe zählenden Fraktion, als bildungspolitischer Sprecher übt er eine Schlüsselrolle aus. Um weiteren Schaden abzuwenden, trat er als Bezirksvorsitzender und Ausschuss-Vize im Landtag zurück. Doch der Schock wirkt nach.

Fraktionskollegen sind "tief enttäuscht"

Fraktionskollegen schimpfen erbost über "Betrug", zeigen sich "erschüttert" und "tief enttäuscht" von Felbinger. Man müsse in der Fraktion schnell das Gespräch suchen, fordert ein Abgeordneter. Er meint: über mehr Aufrichtigkeit. Noch ist von zwei Einzelfällen die Rede. Die größte Angst ist daher, dass weitere böse Überraschungen lauern. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) soll Aiwanger in einer Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden sinngemäß ermahnt haben, Ordnung in seinem Laden zu schaffen.

Im Landtag gehört Aiwanger zu denen, die den "CSU-Filz" stets am schärfsten geißelten. Nun muss er sich Witze gefallen lassen, dass auch seine Freien Wähler im Parlament angekommen seien - mit allen Begleiterscheinungen. Sieben Jahre sitzen die Freien Wähler im Maximilianeum. Routine könne manchmal einschläfernd sein, sagt ein FW-Mann, diesen Punkt habe man jetzt offenbar erreicht. Daher müsse dringend die Frage geklärt werden: "Wofür stehen wir eigentlich?"

© SZ vom 09.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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