Erster Weltkrieg:Ein Popstar unter Kaiser Wilhelm II.

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Held der Marine, Pirat des Kaisers: Nikolaus zu Dohna-Schlodien. (Foto: Anna Günther)

Nikolaus zu Dohna-Schlodien galt als Held der Marine, Hitler zeigte er die kalte Schulter - heute hat er seine eigene Webseite.

Von Anna Günther, Baierbach

Er war ein Held der Marine, kreuzte den Atlantik und versenkte Dutzende feindliche Schiffe. Nikolaus zu Dohna-Schlodien wurde im Ersten Weltkrieg gefeiert wie ein Popstar - nur schwimmen lernte er nie. Selbst als der schlesische Graf später in Bayern nur noch Forellen aus dem Teich zog und in seiner Jolle über den Chiemsee segelte. "Er ist immer abgesoffen, bei Gewitter war das heikel", erzählte Dohnas Tochter Maria Oberländer und kicherte.

Häschen, Hilili und ein Bananenfrachter

Wie ihr Vater gefeiert wurde, erlebte sie als kleines Mädchen und fand es großartig. Auch wenige Monate vor ihrem Tod schwärmte die alte Dame mit den hellwachen Augen noch wie ein Mädchen: "Ich nannte ihn Häschen, er nannte mich Hilili, und wir liebten uns wie Pech und Schwefel." Im Sommer starb sie mit 93 Jahren. Sie ruht in Baierbach am Simssee, nur wenige Meter von ihrem Vater entfernt.

Am 10. Januar ist es genau hundert Jahre her, dass Korvettenkapitän Dohna mit dem umgebauten Bananenfrachter Möwe (auch Möve ; Anm. d. Red.) auf Kaperfahrt für den Kaiser ging. Hilfskreuzer, als Handelsschiffe getarnte Frachter, sollten feindliche Schiffe versenken, um Großbritannien, Frankreich und die anderen Alliierten zu schwächen. Weil Dohna geschickt navigierte, wurde die Möwe nie gestellt.

Für seine Erfolge ehrten ihn die Länder des Kaiserreichs mit höchsten Orden. Wilhelm II. ernannte Dohna zum Flügeladjutanten. Sogar die Gegner achteten den Grafen, weil er Besatzung und Passagiere gekaperter Schiffe rettete, statt sie ertrinken zu lassen.

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Früher Kino-Kassenschlager, heute eine eigene Webseite

Die Propaganda schlachtete Dohnas Fahrten voll aus. Er war ein Held, wie man sich ihn wünschte. Die Kriegsfahrten der Möwe wirkten ein bisschen wie Abenteuerurlaub, der so gar nichts mit dem massenhaften Sterben an der Westfront zu tun hatte. Dohnas Erinnerungen verkauften sich 200 000-mal, die Dokumentation lockte Tausende in die Kinos.

Posthum hat Dohna im 21. Jahrhundert sogar seine eigene Webseite erhalten: "Count Dohna and his Seagull." Seine Tochter trugt die Erinnerungen an den Vater bis zum Schluss mit sich - auch im Altenheim in Rimsting. In ihrem Zimmer hingen seine Zeichnungen an den Wänden, Fotoalben zierten die Regale. Vor ihrem Schreibtisch stand die Nachbildung des Kapitänstuhls, auf dem der Vater an Bord der Möwe saß.

Aus dem Ruhm habe er sich nie viel gemacht, sagte Oberländer. Noch auf dem Sterbebett habe er die Schwärmerei einer Nichte abgetan: "Quatsch, ich hatte einfach Glück." Geboren 1879, war der Graf ganz ein Kind seiner Zeit. Er entstammte altem schlesischem Adel, wuchs auf einem Schloss in Mallmitz im heutigen Polen auf und war kaisertreu.

Schließlich jagte Wilhelm II. in den Wäldern der Familie. Die Seefahrt war für ihn nie vorgesehen. Weil sein älterer Bruder sich strikt weigerte und der Vater tobte, ging eben er zur Marine. "So ist er, der große Held, aus Versehen dazugekommen", sagte seine Tochter.

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"Stolze Freude empfand ich und weiter nichts"

Doch Dohna hatte Talent, er wurde mit Anfang 30 zum Korvettenkapitän befördert. Und langweilte sich in Nord- und Ostsee. Ein Brief änderte im September 1915 alles: Die Hochseestreitkräfte suchten einen Kommandanten, der "die Sache mit Lust und Liebe in die Hand nimmt". Der Kreuzerkrieg war zu Beginn des Weltkriegs nicht effektiv.

Nun sollten, hochgeheim, Handelsschiffe einspringen. Dohna schreibt in seinem Buch "Der Möwe Fahrten und Abenteuer": "Endlich die lang ersehnte Gelegenheit, mitzuarbeiten an dem größten Werk, welches es für unser Volk durchzuführen galt gegen eine Welt von Feinden. (. . .) Jetzt kam endlich also auch ich an die Reihe. Stolze Freude empfand ich und weiter nichts."

Als Kommandant durfte er sich das Schiff aussuchen. Der Bananenfrachter Pungo sollte es sein, denn das Schiff war schneller als andere Dampfer. Es bekam den Namen Möwe. Auf der ersten Fahrt versenkte Dohna in zweieinhalb Monaten mehr als ein Dutzend Schiffe. Besonders lukrativ war die Appam, ein britisches Passagierschiff: Freiwillig geschlagen gab sich deren Besatzung nicht. Dohna schrieb: "Hatten sie wirklich die Absicht, auf uns zu feuern, so konnte man das nicht als Mut, sondern nur als tollkühne Dreistigkeit bezeichnen; denn die Leute mussten doch einsehen, dass sie mit ihren Kanönchen (. . .) nichts auszurichten vermögen."

"54 Gefangene und 103 Inder" nahm die Möwe an Bord. Und eine Kiste mit Gold. Die Beute gab der Kapitän ab. "Zum Dank bekam er ein Schreiben und die leere Kiste zurück", sagte Oberländer. "Das waren Millionen Mark in purem Gold!" Die Kiste stand in Baierbach neben der Haustür, als Depot für die Spazierstöcke.

Dohnas Ehefrau Hilda von Reichenau während der Hochzeitsreise 1918, mit Bergführer. (Foto: Anna Günther)

Bis März 1917 kreuzte Dohna durch den Atlantik. Auch unter seiner Mannschaft gab es Tote und Verwundete. Als die Möwe schließlich 800 Gefangene an Bord hatte, kehrte er nach Kiel zurück. Er verließ das Meer und bildete ein Freikorps, um Schlesien gegen polnische Truppen zu verteidigen.

Mit der Weimarer Republik begann eine neue Zeit, für das Land und für Dohna. "Mit der SPD-Regierung konnte er nichts anfangen, er war viel gebundener in seiner Gesellschaftsklasse als ich", sagte seine Tochter. Kaufleute holten den Helden nach Hamburg und boten ihm "ein Auskommen". Doch wie bei vielen Helden ihrer Zeit, war auch beim Korvettenkapitän Ruhm nicht gleich Reichtum.

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Dohna verkehrte zwar in besten Kreisen, die drei Mädchen gingen in eine Schule für höhere Töchter. Doch die Familie lebte in einer kleinen Wohnung. "Die wussten alle, dass wir kein Geld hatten, aber wir zählten halt zur upper class", sagte Oberländer. Der Held musste in einem Autohaus Kunden anlocken. "Bis er ein Auto gegen einen Baum setzte." Dohna arbeitete im Straßenbau, bei einer Ölfirma und in einer Bank. Er habe spekuliert und viel Geld verloren, sagte Oberländer.

Schreiben, Malen - und die ewige Sehnsucht nach dem Schiff

Einmal noch fuhr Dohna mit der Möwe. Eine Reederei lud die Familie 1934 zur Seereise nach Honduras ein. Da war Maria zwölf Jahre alt. 1936 zog die Familie in den Chiemgau, die Mutter hatte ihr Erbe versilbert. Schon auf der Hochzeitsreise 1918 hatten sich Dohna und seine Frau in die Gegend verliebt und beschlossen, dort zu leben, sobald sie es sich leisten konnten.

Aus Sicht der Tochter war der Weltkriegsheld auch ein Träumer. Dohna wollte Theosophie studieren, für seine Eltern kam das nicht infrage. Die Bücher versteckte er in der hintersten Ecke des Mallmitzer Gewächshauses. In Baierbach las er wieder Philosophen, ging auf die Jagd oder kümmerte sich um den Garten. Aus dem öffentlichen Leben hatte Dohna sich zurückgezogen, er wollte sich nicht instrumentalisieren lassen.

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Langweilig sei ihm aber nie gewesen, sagte die Tochter. Er habe viel gemalt und noch in Hamburg bei Emil Nolde einen Malkurs besucht. Dohna hatte einen "Pseudoberuf" als Präsident des Bridge-Verbandes und schrieb Artikel über Bridge. "Aber wäre der Ruf gekommen, wieder ein Schiff zu führen, hätte er das sofort gemacht", sagte Maria Oberländer.

Von jedem versenkten Schiff ein Suppenteller

Hitler war mit einem Versuch gescheitert, Dohna für sich zu gewinnen. In einem Berliner Salon hatten die Männer sich kennengelernt. Der Kapitän kam voller Abscheu zurück in den Chiemgau: "Er sagte, es war schrecklich. Mit diesem ekelhaften Menschen wollte er nichts zu tun haben."

Und sie? Die Frau, die später Religionslehrerin und Pazifistin war? Die Anfang der Achtzigerjahre gegen die Nachrüstung demonstrierte und mit 80 noch Sozialstunden ableisten musste, weil sie nach einer Demo ihre Strafe nicht zahlen wollte? Sie gab offen zu: "Ich war begeistert von der Hitlerjugend." Nicht etwa deshalb, weil sie die Nazis gut fand. Sondern deshalb, weil sie bei den Jungmädels Menschen kennenlernte, die nicht den besseren Kreisen angehörten.

Nikolaus zu Dohna-Schlodiens Aquarell vom Friedhof in Baierbach, wo er, seine Frau und seine Tochter begraben sind. (Foto: oh)

Als junge Frau ging sie an die Schauspielschule nach Berlin, spielte in Bochum und Potsdam Theater. Erst als ihr Vater 1956 starb, kehrte sie mit Mann und vier Töchtern an den Simssee zurück.

Von den Heldenfahrten des Nikolaus zu Dohna-Schlodien blieben ihr Geschichten. Und etliche Suppenteller. Das war sein Tick. Von jedem Schiff, das er versenkte, nahm er einen mit.

© SZ vom 05.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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