Verfassungsschutzbericht 2017:Hohe Gewaltbereitschaft bei Extremisten in Bayern

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Die "Soldiers of Odin" patrouillieren ungefragt auf Bayerns Straßen. Und werden selbst überwacht. (Foto: Sachelle Babbar/Imago)
  • "Die größte Bedrohung für unsere Demokratie geht vom islamistischen Terrorismus aus", sagt Bayern Innenminister Joachim Herrmann bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2017.
  • Etwa ein Viertel der in Bayern lebenden 730 Salafisten ist laut Herrmann gewaltbereit.
  • Die Zahl der Gewaltstraftaten von Rechten und Linken ist 2017 im Vergleich zu den beiden Vorjahren gesunken - eine hohe Gewaltbereitschaft gehe aber von allen Extremisten aus.

Von Lisa Schnell, München

Dreimal wird Innenminister Joachim Herrmann die gleiche Frage gestellt. Erst überhört er sie, dann wiederholt er den Satz, der bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2017 am Donnerstag bei einigen Zuhörern zunächst Verwunderung auslöst: "Die größte Bedrohung für unsere Demokratie geht vom islamistischen Terrorismus aus", sagt Herrmann. Die vielen Nachfragen erklären sich aus den Zahlen, die Herrmann dazu vorstellt.

Denn hinter ihm zeigen die Balken der Grafik zum Islamismus nicht nach oben, sondern nach unten. 2017 reisten fünf Personen aus Bayern in den Irak oder nach Syrien, um dort mutmaßlich für den "Islamischen Staat" zu kämpfen, und damit sehr viel weniger als noch 2015. Da waren es 19. Die von vielen befürchtete Rückkehrwelle von Ausgereisten lässt sich in den Zahlen nicht ablesen. Von den 70 Personen, die seit 2012 in Krisengebiete ausgereist sind, seien 26 wieder zurückgekehrt, 21 davon nach Bayern, sagt Herrmann.

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Die Anzahl von Flüchtlingen, bei denen ein gefährlicher dschihadistischer Hintergrund angenommen wird, liegt laut Verfassungsschutzpräsident Burkhard Körner im einstelligen Bereich. Auch bei den extremistisch motivierten Gewalttaten stehen die aus religiöser Ideologie verübten weit hinten. Es sind acht an der Zahl. Eine richtete sich gegen einen Christen, sagt Körner. Alle anderen seien innerhalb der muslimischen Gemeinde verübt worden.

Anschlagspläne habe es nicht gegeben. Ein anderer Balken schießt dagegen in die Höhe. Er ist passenderweise braun und beschreibt die Gewalttaten von rechts. 68 waren es 2017, 45 weniger als im Jahr zuvor, aber immer noch der höchste Wert der extremistisch motivierten Gewalttaten. 54 entfallen auf Linksextreme.

Warum er nicht den Rechtsextremismus als größte Gefahr ansehe, wird Herrmann gefragt. Er verweist auf all die Attentate, die in Europa von Islamisten begangen wurden. "Wir haben Gott sei dank und wegen des Vorgehens der Sicherheitsbehörden keinen Anschlag gehabt, aber wir sehen an den Anschlägen in anderen Ländern, dass die Gefahr weiter besteht", sagt er. Deutschland dürfe sich nicht "in falscher Sicherheit wiegen". Dass immer weniger Menschen aus Bayern nach Syrien ausreisen, will er nicht als Entwarnung verstanden wissen, da der IS seine Anhänger verstärkt dazu aufrufe, Anschläge in ihren Herkunftsländern zu begehen. Einzelkämpfer, die mit Messern oder Fahrzeugen Attentate verüben, seien zudem für die Sicherheitsbehörden besonders schwer zu enttarnen, da sie nicht in ein terroristisches Umfeld eingebunden sind. Etwa ein Viertel der in Bayern lebenden 730 Salafisten sei gewaltbereit. Das allerdings bedeute nicht, dass sie bereits gewalttätig geworden seien oder Anschläge planten, sagt Verfassungsschutzpräsident Körner.

Lange spricht Herrmann über den Islamismus, am Ende aber stellt er klar, dass von allen Extremisten, auch von Rechts- und Linksextremisten, eine hohe Gewaltbereitschaft ausgehe. So schlimm wie die zwei Jahre zuvor war 2017 nicht. Sowohl Linke, wie auch Rechte hatten 2015 und 2016 sehr viel mehr Delikte verübt. Derzeit liegt das Niveau mit 68 Gewaltstraftaten von rechts und 54 von links etwa auf dem von 2014. Linksextremisten warf Herrmann "Demokratiefeindlichkeit" vor. Diese zeige sich bei Übergriffen auf AfD-Veranstaltungen. "Für eine solche Einschüchterungsstrategie, die an dunkelste Zeiten in unserer Geschichte erinnert, ist in Bayern kein Platz", lässt sich Herrmann in der Pressemitteilung zitieren.

In der rechten Szene stellt er eine starke Veränderung fest. Rechtsextremistische Parteien wie die NPD oder die Rechte verlören an Akzeptanz. Dafür bekämen Akteure der neuen Rechten wie die Identitäre Bewegung (IB) mehr Aufmerksamkeit. Die Identitären konzentrierten sich vor allem auf Themen wie Terrorismus und Islamisierung und sind für ihre medienwirksamen Aktionen bekannt. So stürmten etwa Aktivisten in burka-ähnlicher Verkleidung eine Podiumsdiskussion der Uni Regensburg.

Neben den Identitären verweist Herrmann auf Bürgerwehren oder Nachbarschaftshilfen, die das Vertrauen der Bürger in staatliche Institutionen erschüttern wollten. Oft verwiesen sie auf erfundene oder auch tatsächliche Straftaten von Flüchtlingen und vermittelten den Eindruck, der Staat könne die Bevölkerung nicht mehr schützen. Zu ihnen gehören auch die "Soldiers of Odin", eine 2015 in Finnland als Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen gegründete Gruppe, die der Verfassungsschutz seit Dezember 2017 beobachtet. Sie geben vor, eine Nachbarschaftshilfe zum Schutz der Bürger zu sein und patrouillieren in Manier einer Bürgerwehr auch auf Bayerns Straßen. In Wirklichkeit aber stellten sie das Gewaltmonopol des Staates in Frage, sagt Herrmann.

Die AfD wird als Partei weiterhin nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Auf einzelne Personen, knapp unter zehn, darunter auch Funktionsträger, aber hat der Verfassungsschutz ein Auge. Aus der rechten Szene gebe es am meisten Überschneidungen mit den Identitären, da diese das bürgerliche Lager ansprechen, sagt Verfassungsschutzpräsident Körner.

© SZ vom 06.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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