Ingolstadt:Suizid in Untersuchungshaft

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Das viertgrößte Krankenhaus Bayerns mit 1132 Betten steht in Ingolstadt. Hier arbeiten 3000 Menschen, darunter 300 Ärzte. (Foto: Klinikum Ingolstadt)
  • Der frühere Geschäftsführer des Ingolstädter Klinikums hat sich in der JVA Gablingen bei Augsburg in seiner Zelle erhängt.
  • Der 63-Jährige befand sich wegen Verdachts der Untreue, Vorteilsannahme und Bestechlichkeit in Untersuchungshaft.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Im Verfahren um mutmaßliche Vetternwirtschaft am Ingolstädter Klinikum hat sich der Hauptbeschuldigte das Leben genommen. Der frühere Geschäftsführer des Krankenhauses wurde am Mittwochnachmittag in der JVA Gablingen bei Augsburg erhängt in seiner Zelle aufgefunden.

Der 63-Jährige befand sich in Untersuchungshaft, seit er Ende April wegen Verdunkelungsgefahr festgenommen worden war. Sein Anwalt hatte dies stets als rechtswidrig bezeichnet. Das Landgericht Ingolstadt wollte bis frühestens zum Jahresende entscheiden, ob das Hauptverfahren gegen den Beschuldigten eröffnet wird.

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Anfang November hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Ex-Geschäftsführer erhoben - wegen Verdachts der Untreue in 99 Fällen, Vorteilsannahme in drei Fällen und Bestechlichkeit. Ihm wurde unter anderem zur Last gelegt, Verwandte über Fremdfirmen zu unvertretbaren Konditionen angestellt und Aufträge gegen persönliche Vorteile vergeben zu haben.

Die hohe Zahl der Fälle von Untreue geht offenbar vor allem auf Vorträge zurück, die der Klinikchef gegen Honorar gehalten haben soll - ohne Urlaub zu nehmen oder die Einkünfte in der Dienstzeit seinem Arbeitgeber zuzuführen. Der Ombudsmann des Klinikums, das zu drei Vierteln von der Stadt getragen wird, war 2016 auf Unregelmäßigkeiten gestoßen. In der Folge war ein Ermittlungskomplex gegen mehr als ein Dutzend Personen entstanden, darunter leitendes Klinik-Personal.

Auch bei den noch nicht offiziell abgeschlossenen Ermittlungen gegen den Ingolstädter Alt-Oberbürgermeister Alfred Lehmann (CSU), bei denen es um mehrere Immobilien-Deals geht, führt ein Strang zum erweiterten Klinik-Komplex. Die Staatsanwaltschaft hatte das Verfahren gegen den Ex-Geschäftsführer wegen seiner Inhaftierung vorrangig behandelt. Die anderen Ermittlungen im mutmaßlichen System der Klüngelei laufen weiter, wie die Staatsanwaltschaft auf SZ-Anfrage bestätigte. Die Umstände des Suizids ermittelt die dafür zuständige Staatsanwaltschaft Augsburg.

Der Ex-Geschäftsführer war mehr als 30 Jahre am Klinikum tätig, von 2003 bis zu seiner Demission an dessen Spitze. Unter seiner Ägide schrieb das Haus schwarze Zahlen. Seine Familie erhebt laut Donaukurier den Vorwurf, der 63-Jährige sei "kaputtgemacht" worden. Sein Tod habe sich abgezeichnet, in Briefen habe er geschrieben, keine Kraft mehr zu haben.

Sein Rechtsanwalt, André Szesny aus Düsseldorf, teilte mit, in dem Freitod liege kein Schuldeingeständnis. Vielmehr habe sich der Mandant "bis zuletzt gegen die Vorwürfe gewehrt". So habe er sich Vernehmungen gestellt, Beweismittel wie Mail-Verkehr beigebracht und Stellungnahmen verfasst. In einem Schreiben vom späten Donnerstagnachmittag rügte der Anwalt, öffentlich sei dagegen kolportiert worden, der Beschuldigte beschränke sich auf das Bestreiten der Vorwürfe.

Außerdem sei die Anklage beim falschen Gericht erhoben worden; der Fall hätte seiner Ansicht nach vor einer Wirtschaftsstrafkammer landen müssen, weil zur Beurteilung der Vergabe von Großaufträgen besondere Kenntnisse nötig seien. Der zunehmende Eindruck seines Mandanten, er solle "allein den Kopf hinhalten für Vorgänge, die arbeitsteilig organisiert und transparent gehandhabt wurden, hat ihn zuletzt aber offenbar verzweifeln lassen".

Anmerkung der Redaktion: Wegen der wissenschaftlich belegten Nachahmerquote nach Selbsttötungen haben wir uns entschieden, in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Dann gestalten wir die Berichterstattung bewusst zurückhaltend und verzichten, wo es möglich ist, auf Details. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

© SZ vom 29.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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