Gymnasien:Seehofer liebäugelt mit dem G 9

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"Ein Billigabitur wird es mit mir nicht geben", erklärte Seehofer. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Mindestens zwei Drittel aller Siebtklässler haben sich für den Pilotversuch Mittelstufe Plus angemeldet.
  • Er sehe sich dadurch in seinem Gefühl bestätigt, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer.
  • Eine Entscheidung über die Zukunft des Gymnasiums wird voraussichtlich bei der Kabinettsklausur Ende Juli fallen.

Von Anna Günther und Wolfgang Wittl, München

Der immer stärker werdende Wunsch von Eltern und Schülern nach einem neunstufigen Gymnasium lässt eine Rückkehr zum G 9 wahrscheinlicher werden. Mindestens zwei Drittel aller Siebtklässler haben sich für den Pilotversuch Mittelstufe Plus angemeldet, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergeben haben. Diese Schüler sollen die Mittelstufe in vier statt in drei Jahren absolvieren.

Die nun nochmals gestiegenen Anmeldezahlen werden kaum ohne politische Folgen bleiben. Er sehe sich dadurch in seinem Gefühl bestätigt, sagte Ministerpräsident Horst Seehofer der SZ. Er vertrete seit jeher die Ansicht, "nach den Bedürfnissen der Kinder und Eltern zu handeln", ohne allerdings die Qualität an den Schulen zu vernachlässigen. "Ein Billigabitur wird es mit mir nicht geben", erklärte Seehofer.

Die Aussagen lassen darauf schließen, dass der Regierungschef sich durchaus eine Rolle rückwärts vorstellen kann, ohne sie freilich so zu bezeichnen. Zu Seehofers Credo gehört, dass die CSU bei den Landtagswahlen 2008 nicht nur aus personellen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen die absolute Mehrheit verloren hat.

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Der Pilotversuch zur Mittelstufe Plus am Gymnasium zeigt, dass Eltern und Kinder mehr Zeit wollen. Kultusminister Spaenle deutet erstmals an, dass die Schulen künftig selbst entscheiden könnten.

Von Anna Günther

Dazu zählt die überstürzte Einführung des achtstufigen Gymnasiums. Seither ist bei dem Thema keine Ruhe mehr eingekehrt - sehr zu Seehofers Missfallen. Er sieht es als "Pflicht des Ministerpräsidenten, zur Befriedung beizutragen".

Seehofer hält Pilotversuch für gerechtfertigt

Eine Entscheidung über die Zukunft des Gymnasiums wird voraussichtlich bei der Kabinettsklausur Ende Juli fallen. Seehofer hat "die Verlässlichkeit im Bildungs- und Schulbereich" bereits zu den Schwerpunkten der Klausur erklärt. Vorher soll es ein schon vereinbartes Gespräch zwischen Seehofer und Kultusminister Ludwig Spaenle geben.

Spaenle hatte am Dienstag vorgeschlagen, es den Schulen selbst zu überlassen, ob sie in acht oder neun Jahren zum Abitur führen möchten. Ob es wirklich dazu kommt oder ob die neun Jahre wieder zur Regel und nur in Ausnahmefällen abgekürzt werden, das werden die Beratungen zwischen Staatskanzlei und Kultusministerium ergeben. Schon jetzt zeige sich allerdings, dass der Pilotversuch gerechtfertigt gewesen sei, sagte Seehofer. Man wisse nun, was bei der Lernzeit erwünscht sei.

Es sei schon lange klar, dass nur 25 Prozent der Schüler gut mit der Geschwindigkeit des G 8 zurecht kommen, sagte dagegen Martin Güll, der SPD-Bildungsexperte. Drei Viertel der Gymnasiasten bräuchten mehr Zeit. "Wenn das so ist, dann darf man nicht auf halber Strecke stehen bleiben und nur die Mittelstufe entschleunigen."

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Die Staatsregierung sollte endlich über ihren Schatten springen. Eine weitere Hopplahopp-Lösung, an der dann wieder herumgedoktert wird, kann sie sich nicht mehr leisten.

Kommentar von Anna Günther

Die SPD habe bereits einen eigenen Gesetzentwurf für ein modernes neunjähriges Gymnasium in Arbeit. Dem Elternwillen ohne neues Konzept nachzugeben und den Schulen die Entscheidung zu überlassen, wäre für Güll eine "Katastrophe". Damit öffne die CSU "dem Chaos Tür und Tor".

Auch die Grünen fürchten eine erneute Hopplahopp-Lösung und vertrauen auf neutrale Experten: Ein wissenschaftlicher Beirat solle eine Empfehlung zur "Weiterentwicklung des bayerischen Gymnasiums" erarbeiten. "Wir müssen uns Zeit nehmen und das durchdiskutieren, statt abzuwarten, was passiert", sagte Bildungspolitiker Thomas Gehring.

Die Ideallösung seiner Partei, eine gemeinsame Schulzeit aller Kinder bis zur zehnten Klasse, dürfte in Bayern aber Illusion bleiben. Die Freien Wähler fühlen sich dagegen bestätigt: "Wir lagen beim Volksbegehren richtig, die Schulen sollen frei entscheiden, sie wissen am besten, was ihre Schüler wollen", sagte der FW-Bildungsexperte Günther Felbinger.

Das Volksbegehren war 2014 allerdings wegen zu geringer Beteiligung gescheitert. Besonders in Bayerns Grenzregionen seien wegen der Konkurrenz in den anderen Bundesländern flexible Schulmodelle nötig, sagte Felbinger.

Die Lehrerverbände halten von einer Entscheidungsfreiheit für jedes Gymnasium wenig. "Den Schulen wird so der schwarze Peter zugeschoben", sagte Karl-Heinz Bruckner, der Vorsitzende der Direktorenvereinigung. Er fordert eine Entscheidung zwischen G 8 und G 9.

Zwei Geschwindkeiten führen zu Zweiklassenabitur

Beide Geschwindigkeiten parallel würden in Bayern zu einem Zweiklassenabitur führen, fürchtet Bruckner. Und ohne ein neues Konzept für das neunjährige Gymnasium blieben die Probleme des Systems Mittelstufe Plus: Den mittleren Schulabschluss bekommen Gymnasiasten in der Mittelstufe Plus durch das Zusatzjahr erst nach elf Jahren, Real- und Mittelschüler schon nach der zehnten Klasse.

Ein weiteres Problem sind die unterschiedlichen Geschwindigkeiten: Auf eine straffe Unterstufe mit zwei neuen Fremdsprachen und Nachmittagsunterricht folgen erst die entspanntere Mittelstufe und dann die Hochleistungszeit zum Abitur. Mehr Zeit brauchen aus Sicht des Philologenverbands aber auch die Kleinen.

Die Lösung des Verbands wäre, das Gymnasium wieder von neun Jahren her zu denken und die begabteren Schüler überspringen zu lassen. Dafür müssten laut dem Chef des Philologenverbandes, Max Schmidt, auch die Lehrpläne, Stundentafeln und die Organisation des Gymnasiums neu erarbeitet werden. In zwei Jahren kommt der neue Lehrplan Plus für das Gymnasium an die Schulen. Noch ist er auf das G 8 ausgelegt.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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