G8 oder G9:Volksbegehren ohne Volk

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Die Rathäuser im Freistaat, hier das am Münchner Marienplatz, werden nicht gerade überrannt von G-9-Befürwortern. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Die Abstimmung über die Zukunft des Gymnasiums kommt nicht in die Gänge: Zur Halbzeit haben sich erst 0,8 Prozent beim Volksbegehren eingetragen. In der CSU könnten sich nun diejenigen bestätigt fühlen, die am liebsten gar nichts ändern würden.

Von Tina Baier und Frank Müller, München

Der Marienplatz am Mittwochvormittag. Gleich beginnt das Glockenspiel, vor dem Rathaus herrscht trotz des Regens einiger Trubel. Drinnen ist es trocken - und gähnend leer. Im Bürgerbüro warten zehn Mitarbeiter an zehn Computern auf Bürger, die sich für das Volksbegehren eintragen wollen. Niemand will. Es gibt eigens eine Absperrung, damit sich Ankommende und wieder Gehende nicht in die Quere kommen. Aber niemand kommt, niemand geht.

Dann tauchen zwei reformwillige Familienväter auf. Die zehn vom Bürgerbüro sehen sie freudig und erwartungsvoll an. "Sie haben die freie Auswahl", sagt einer der Mitarbeiter trocken. Entsprechend miserabel sieht das Zwischenergebnis zur Halbzeit der Eintragungsfrist aus, die noch bis kommenden Mittwoch läuft. Überall in Bayern haben nur etwa halb so viele Bürger unterschrieben wie um dieselbe Zeit beim erfolgreichen Volksbegehren gegen die Studiengebühren.

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Der bayernweite Durchschnitt lag am Dienstagnachmittag bei nur 0,8 Prozent der Stimmberechtigten. Zehn Prozent müssten es am Ende sein, damit das Volksbegehren Erfolg hat. 0,8 ist auch der durchschnittliche Wert in den meisten Regierungsbezirken. An der Spitze liegt mit 1,0 Prozent Unterfranken. Ausreißer nach unten ist Schwaben, wo sich nur 0,5 Prozent der Bürger eingetragen haben.

Auch München liegt mit 0,7 Prozent unter dem Bayern-Schnitt. "Wahrscheinlich können in einer Stadt mit 50 Prozent Singlehaushalten nur wenige etwas mit dem Thema anfangen", sagt Michael Piazolo, Generalsekretär der Freien Wähler und Organisator des Volksbegehrens. In Regionen, in denen viele Familien mit Kindern leben, etwa im Umland der Landeshauptstadt, sieht es mit knapp über einem Prozent dagegen etwas besser aus.

"Das Ergebnis liegt bis jetzt unter unseren Erwartungen", sagt Piazolo. Er erhofft sich, dass die Menschen nächste Woche, "wenn die Fußballweltmeisterschaft zu Ende ist, den Kopf wieder frei haben" und sich noch in die Listen eintragen. Auch beim Volksbegehren gegen die Studiengebühren hätten sich in den letzten drei Tagen noch fast sechs Prozent der Bürger eingetragen.

"Da hat wohl die Propaganda der CSU gewirkt"

Besonders bitter für die Freien Wähler dürfte sein, dass die Ergebnisse auf dem Land vielerorts sogar noch schlechter sind als in den Städten. Im niederbayerischen Landkreis Freyung-Grafenau beispielsweise haben sich bis jetzt nur 0,5 Prozent der Bürger eingetragen, im Berchtesgadener Land gar nur 0,25 Prozent. "In den ländlichen Regionen hat wohl die Propaganda der CSU gewirkt, wonach eine Wahlfreiheit Nachteile für kleine Gymnasien auf dem Land hätte", sagt Piazolo.

Interessanterweise schätzen die Schulleiter der ländlichen Gymnasien die Situation genau umgekehrt ein. Bei der letzten Mitgliederversammlung der bayerischen Direktorenvereinigung lag das Verhältnis zwischen G-8-Befürwortern und G-9-Befürwortern bei etwa 50 zu 50. Dabei sind es vor allem Leiter von Schulen auf dem Land, die gerne zu einer neunjährigen Gymnasialzeit zurückkehren würden.

Viele haben das Problem, dass immer mehr Eltern aus Angst vor dem G 8 ihre Kinder auf der Realschule anmelden, obwohl deren Noten so gut sind, dass sie problemlos das Gymnasium besuchen könnten. Dazu kommt oft noch, dass die Kinder nach dem Nachmittagsunterricht Schwierigkeiten haben, nach Hause zu kommen, weil um diese Zeit kaum noch Busse fahren.

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Ganz besonders genau sieht sich nun die CSU das schlechte Zwischenergebnis an. Das Volksbegehren werde "krachend scheitern", wird in der Landtagsfraktion schon prophezeit. Doch Parteichef Horst Seehofer hatte seiner Partei als Kurs vorgegeben, mit eigenen Ideen auf das Volksbegehren zu reagieren - und versprochen, über Reformen würde unabhängig von den Eintragungszahlen diskutiert.

Bei dem Fahrplan werde es auch bleiben, versichert Kultusminister Ludwig Spaenle. "Ich bin überzeugt, dass es in Bayern kein neunjähriges Gymnasium geben wird, wenn das Volksbegehren scheitert", sagt dagegen Piazolo. Tatsächlich können sich dann diejenigen in der CSU bestätigt fühlen, die am liebsten gar nichts ändern würden. Fraktionschef Thomas Kreuzer gehört zu ihnen. Als er am Mittwoch eine Umfrage vorstellt, in der 51 Prozent der Deutschen dem Freistaat "die beste Schulbildung" aller Bundesländer bescheinigen, zieht er daraus einen klaren Schluss: "Die Menschen wollen an der Organisationsfront Ruhe haben."

Am Ende, so heißt es in der Fraktion, könnte eine Lösung darin bestehen, dass Bayerns Schüler das Gymnasium in zwei Geschwindigkeiten absolvieren können, ergänzt um starke Ganztagsangebote.

© SZ vom 10.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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