Fernreisen:Landtagsabgeordnete auf großer Fahrt

Lesezeit: 3 min

  • Im Bayerischen Landtag sind gerade Informationswochen.
  • Vier Ausschüsse haben sich momentan auf Reisen begeben, um sich fortzubilden. Ein fünfter folgt Ende des Monats.
  • Ministerpräsident Horst Seehofer begibt sich auf eine Bildungsreise der speziellen Art.

Von Anna Günther und Daniela Kuhr, München

Wer sich derzeit in den bayerischen Landtag verirrt, könnte meinen, es seien Ferien. So still geht es dort zu. Doch die Ruhe hat einen einfachen Grund: Es ist Informationswoche. Und an dieser Stelle ist die Frage "Wie bitte?" durchaus berechtigt. Denn Informationswochen sind nichts, was zwangsläufig zum parlamentarischen Ablauf dazugehört.

Bayern hat dieses Instrument, Baden-Württemberg auch, im nordrhein-westfälischen Parlament dagegen kennt man keine Informationswochen und im Bundestag auch nicht. Doch die Bayern wissen ihre Informationswochen zu nutzen. Gleich vier Ausschüsse haben sich momentan auf Reisen begeben, um sich fortzubilden. Ein fünfter folgt Ende des Monats. Die Ziele sind dermaßen reizvoll, dass man auf Anhieb gar nicht weiß, welchem Ausschuss man selbst am liebsten angehören würde.

Ausschuss für Gesundheit und Pflege in Abu Dhabi und Dubai

Der Ausschuss für Gesundheit und Pflege beispielsweise ist in dieser Woche für fünf Tage nach Abu Dhabi und Dubai in die Vereinigten Arabischen Emirate geflogen. Auf dem Programm stehen Besuche in Kliniken und Gespräche im Gesundheitsministerium.

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"Wir möchten uns vor Ort ein Bild machen, wie wir mit den Vereinigten Arabischen Emiraten im Gesundheitsbereich kooperieren können", sagt die Ausschussvorsitzende Kathrin Sonnenholzner (SPD). "Dabei geht es einerseits um die Gewinnung von Fachkräften, andererseits auch um die Behandlung von Bürgern der Emirate in Deutschland."

Gerade das deutsche Gesundheitssystem ist bei Bürgern der VAE so beliebt, dass man mittlerweile von einem regelrechten "Gesundheitstourismus" spricht. Eigentlich seien die Informationswochen in erster Linie dazu da, "dass Abgeordnete auch mal unter der Woche aktive Stimmkreisarbeit machen könnten", erklärt ein Sprecher des Landtags. Doch natürlich könnten die Ausschüsse diese Wochen auch nutzen, um sich auf Reisen über spezifische Fragen aus ihrem Fachgebiet zu informieren.

Bildungspolitiker in Helsinki, wo es fast keine Förderschulen mehr gibt

Kaum ein Bildungsthema wirft so viele spezifische Fragen auf wie die Inklusion. Und wo schaut man als Bildungspolitiker seit Pisa am liebsten ab? Genau, beim Schulprimus Finnland. Aber der Bildungsausschuss geht nicht geschlossen auf dreitägige Studienfahrt.

Sechs Politiker besichtigen mit Staatssekretär Georg Eisenreich und Forschern in Helsinki, wie die Finnen Kinder integrieren, die anderswo in der Sonderschule wären. Die Politiker bilden die interfraktionelle Arbeitsgruppe, die Lösungen erarbeiten soll, um die Inklusion in Bayerns Schulen voranzutreiben.

Nach dem Besuch der ersten finnischen Schule ist der Ausschussvorsitzende Martin Güll (SPD) beeindruckt: Nahezu alle Schüler lernen gemeinsam in sehr kleinen Klassen, Schwächen gleichen sich so oft aus. Es gibt fast keine Förderschulen mehr. Förderlehrer, Krankenschwestern, Psychologen und Sozialarbeiter sind Standard. Erste Haken sieht Güll auch: Das System ist teuer.

Verfassungsausschuss in Kuba

Den Verfassungsausschuss zieht es diese Woche nach Kuba. Hintergrund dafür ist, dass sich das Land seit Dezember 2014 im Umbruch befindet. "Kuba steht vor der wohl tief greifendsten Veränderung der letzten Jahrzehnte", sagt der Ausschussvorsitzende Franz Schindler (SPD). "Deshalb benötigt Kuba dringend internationalen Austausch, Expertise und Kontakte, die wir gerne von bayerischer Seite aus anbieten."

Auf dem Programm der siebentägigen Reise stehen Gespräche mit Vertretern der Justiz, mit Anwälten sowie mit Parlamentariern. "Uns interessieren besonders die rechtlichen Rahmenbedingungen für bayerische Unternehmen, die sich in Kuba neue Geschäftsfelder erschließen wollen", sagt die Vize-Vorsitzende des Ausschusses, Petra Guttenberger (CSU).

Wie viel die Reise genau kostet, steht noch nicht fest, da die Abrechnung erst nach der Rückkehr erfolgt. Rechnerisch aber stehen den Ausschüssen für ihre Reisen über die gesamte Legislatur 4400 Euro pro Ausschussmitglied zur Verfügung.

Ausschuss für Eingaben und Beschwerden reist nach Brüssel

Nicht ganz so weit weg reist der Ausschuss für Eingaben und Beschwerden: nach Brüssel. Dort wollen sich die Abgeordneten vor allem über die Flüchtlingskrise und deren Bewältigung auf europäischer Ebene informieren. Denn auch dieser Ausschuss ist zunehmend damit befasst.

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Mal beschweren sich Bürger darüber, dass in ihrer Nähe eine Flüchtlingsunterkunft entstehen soll. Mal klagen Helfer, dass ein bestimmter Migrant auf keinen Fall abgeschoben werden dürfe. "Gerade in diesen menschlich zum Teil sehr bewegenden Fällen ist es den Mitgliedern des Ausschusses ein umso größeres Anliegen, jedem Einzelfall in besonderer Weise gerecht zu werden", teilt der Landtag mit.

Bei dem zweitägigen Besuch stehen auch Gespräche mit EU-Parlamentariern und Vertretern der EU-Kommission an. "Angesichts der unmittelbaren Betroffenheit wollen wir uns direkt vor Ort einen Überblick über die aktuellen Entwicklungen in der EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik verschaffen", sagt die Ausschussvorsitzende Sylvia Stierstorfer (CSU).

Haushaltsausschuss reist Ende März nach Japan

Ende März wird auch der Haushaltsausschuss verreisen: für sieben Tage nach Japan. Dort will man sich über die Fiskalstrategie Japans sowie den innerstaatlichen Finanzausgleich informieren. Damit ein Ausschuss auf Reisen geht, müssen sämtliche im Ausschuss vertretenen Fraktionen dafür stimmen.

Erst dann können sie sich die Reise vom Ältestenrat genehmigen lassen. Auf diese Weise will man verhindern, dass einzelne Ausschussmitglieder sich von einer Reise distanzieren und sagen, sie seien von Anfang an dagegen gewesen.

Horst Seehofer selbst ist zwar kein Ausschussmitglied - was den Ministerpräsidenten aber nicht davon abhält, diese Informationswoche ebenfalls für eine Reise zu nutzen: An diesem Freitag fliegt er nach Ungarn, wo er den umstrittenen Regierungschef Viktor Orbán trifft, um sich mit ihm über die Flüchtlingskrise auszutauschen - was ja auch eine Art Bildungsreise ist, nur halt eine der speziellen Art.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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