Dürer-Originale:Stell dir vor, da hängt Dürer, und keiner geht hin

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"Die Entführung auf dem Einhorn" ist eines der Werke, die zu der umfangreichen Schenkung einer Industriellenfamilie gehören. (Foto: Museen der Stadt Nürnberg/Sammlung Diehl)

Seit April sind in Nürnberg millionenteure Originale des Künstlers zu sehen, die aus einer Schenkung stammen. Nur gemerkt haben es noch nicht allzu viele.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die Medienwelt ist ein rätselhaftes Ding, Thomas Schauerte musste das kürzlich erst erleben. Das Dürer-Haus wurde von einer Industriellenfamilie mit 143 Originalen - Kupferstiche, Radierungen, Holzschnitte - des Nürnberger Meisters beschenkt, das allein verspräche ja schon einen medialen Aufschlag. Dann kam aber noch hinzu, dass das niederländische Königspaar nicht nur Lust auf einen Abstecher nach München verspürte, sondern, wo man schon im Lande war, auch Nürnberg einen Besuch abstatten wollte.

Und weil sich nun unter den Schenkungen ans Dürer-Haus auch ein Bildnis von Erasmus von Rotterdam befindet, kam einer auf die Idee: Lassen wir doch das Königspaar diese famose Schau der Schenkungen eröffnen. Immerhin war Erasmus ein Landsmann der beiden. Klingt tatsächlich nach einer größeren medialen Nummer. Logisch.

Weil es aber mit der Logik nicht immer so weit her ist in der Welt, der Medienwelt zumal, lief das Ganze merkwürdig. Was wohl daran lag, dass das Königspaar tags zuvor München besucht hatte. Und an zwei Tagen hintereinander die Meldung "Maxima und Willem-Alexander zu Besuch in ..." nicht so gerne genommen wird.

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Zusätzlich dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass das Paar an jenem halben Tag in Franken nicht nur Dürer besuchte, sondern auch den Innenminister (aus Franken) im Tucherschloss, den Oberbürgermeister im Rathaus und den Finanzminister (auch aus Franken) im Memorium Nürnberger Prozesse, was für einen Nachmittag ein sportliches Programm selbst dann wäre, wenn man nicht mit einem wesentlichen Teil des grafischen Werks von Dürer konfrontiert wäre.

Das Dürer-Haus war immer schon die älteste Künstler-Gedenkstätte

Und ums kurz zu machen: Vom historischen Schritt, den das Dürer-Haus an dem Tag voran kam, blieb in der medialen Wahrnehmung kaum was übrig. Es war wohl einfach zu viel an dem Tag. Die Lokalpresse berichtete über die neue Sammlung, klar. Sonst aber war wenig.

Nun finden sich in solchen Fällen immer Spötter, die sagen: typisch Nürnberg! Aber wenn man fair ist, wird man sagen müssen, dass es die Stadt an dem Tag einfach zu richtig gemacht hat. Es war so, als würde man hohem Besuch in Franken keinesfalls eine regionaltypische Spezialität vorenthalten wollen. Und hätte also serviert: Schäuferle und Obstmarmelade von der original fränkischen Streuobstwiese. Das kann gut gehen. Muss aber nicht.

In Nürnberg ging es an dem Tag nicht gut, und wäre Thomas Schauerte, der Direktor des Dürer-Hauses, ein Mann der Klage, würde man ihn zehn Wochen danach lamentieren hören. Tut er aber nicht: Nein, in der Tat, es finden sich keine Schlangen am Eingang, seit hier Dürer im Original zu sehen ist, sagt er. Und ja, es sind "einige Tausend" Besucher mehr im ersten halben Jahr gekommen als im Vergleichszeitraum 2015, und das ist natürlich schön.

Wenn es auch so gar nicht der Zäsur gerecht wird, die dem Haus im April 2016 widerfahren ist. Das Dürer-Haus war immer schon die älteste Künstler-Gedenkstätte in Deutschland, zumindest wenn man Orte nimmt, an denen die betreffenden Meister - Bach, Goethe, Schiller - tatsächlich gelebt haben. Aber das Dürer-Haus war auch immer schon ein Künstlerdomizil ohne Kunst. Das bisschen Dürer, das Nürnberg geblieben ist, hängt im Germanischen Nationalmuseum.

Die Stadt als Träger des Hauses besaß zwar allerlei Grafiken, hauptsächlich aber von minderer Qualität. Grafiken, die zu lange Tageslicht ausgesetzt wurden, "können Sie guten Gewissens nicht mehr zeigen", sagt Schauerte. Das Prädikat "Haus ohne Dürer" nervte ihn so sehr, dass er 2012 einen Raum mit Dürer-Kopien einrichten ließ. Kuriose, zum Teil dilettantische Arbeiten von Dürer-Jüngern, aber "immerhin sieht man seither, für was der Mann eigentlich so berühmt ist."

Seit der Schenkung ist das anders. Im obersten Stockwerk das Hauses sind noch bis zum 14. August 35 Blätter zu sehen, eine erste Auswahl. Allein "Adam und Eva", der Stich von 1504, wird wohl einen Millionenbetrag wert sein. Zwar dürfte es von den grafischen Arbeiten jeweils etliche Hundert geben, exakt ist das nicht zu beziffern. Was den Wert der jetzt "für die Ewigkeit" an die Stadt Nürnberg übergegangenen Arbeiten ausmacht, ist deren Qualität. Nur das Beste vom Besten kaufte der 2008 verstorbene Industrielle Karl Diehl für seinen Tresor. Hatte er eine Arbeit schon und fand eine besser erhaltene, bereicherte er die Sammlung mit dem gefundenen Blatt.

"Das Meerwunder". (Foto: Museen der Stadt Nürnberg / Sammlung Diehl)

Er mag keine Superlative, sagt Schauerte, der als einer der maßgeblichen Dürer-Kenner des Landes gilt. Aber "Adam und Eva", der Kupferstich "Ritter, Tod und Teufel" und das berühmte "Rhinocerus", das sind Arbeiten, "die in dieser Sammlung in einer Qualität zum Niederknien erhalten sind". Die Blätter sind nicht beschnitten, sie wurden nicht in einen Rahmen gepasst, schon gar nicht wurden sie gewaschen oder auf Papier gedruckt, auf dem das Wasserzeichen deutlich zu sehen ist.

"Meilenstein für die Dürer-Stadt Nürnberg"

Schauerte musste bislang grundsätzlich aus dem Haus, wenn er als Kunsthistoriker über Dürer forschen wollte. "Künftig kann ich für vieles einfach hier bleiben." Was zusätzlich verständlich macht, warum Kulturreferentin Julia Lehner von einem "Meilenstein für die Dürer-Stadt Nürnberg" spricht.

Aber: Dürer als Diehl-Schenkung in der Stadt der Menschenrechte? Zwar war und ist die Produktion von Waffen nur ein Teil des fränkischen Familienunternehmens. Gerade während der Zeit des Kalten Krieges, als der Unternehmer Diehl offenbar Dürer sammelte, hat sich der Betrieb aber einen Namen als einer der wichtigsten Rüstungskonzerne der Republik gemacht. Passt das?

Schauerte hebt kurz die Augenbraue und reagiert mit einer Gegenfrage: Ob denn eine Stadt und ein Museum gut beraten wären, eine solche Sammlung weiter in einem Privattresor zu belassen? "Im Übrigen: Herr Diehl ist Ehrenbürger von Nürnberg", sagt er, "da kann es für eine Stadt nur eine Reaktion geben: Danke sagen und sich um die Sammlung kümmern".

Karl Diehl soll 1954 mit dem Sammeln begonnen haben. Seine Frau schenkte ihm zu Weihnachten einen Dürer-Stich mit einem zum Anlass passenden Motiv: die Geburt Christi. Der Diplom-Ingenieur Diehl war begeistert und - so wird es erzählt - einigermaßen verblüfft, dass es so was überhaupt zu kaufen gibt: Dürer im Original.

© SZ vom 30.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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