Bolsterlang:"Reichsbürger"-Verdacht: Disziplinarverfahren gegen Allgäuer Bürgermeisterin

Bolsterlang: Im beschaulichen Ort Bolsterlang im Oberallgäu ist die Verunsicherung groß, seit bekannt wurde, dass Bürgermeisterin Monika Zeller und vier Gemeinderäte an einer "Reichsbürger"-Veranstaltung teilgenommen hatten.

Im beschaulichen Ort Bolsterlang im Oberallgäu ist die Verunsicherung groß, seit bekannt wurde, dass Bürgermeisterin Monika Zeller und vier Gemeinderäte an einer "Reichsbürger"-Veranstaltung teilgenommen hatten.

(Foto: Christian Rost)
  • Unruhe in Bolsterlang im Oberallgäu: Die Bürgermeisterin und vier Gemeinderäte haben an einer "Reichsbürger"-Veranstaltung teilgenommen.
  • Nun läuft gegen Monika Zeller ein Disziplinarverfahren - denn gegen die Bürgermeisterin kommen immer mehr belastende Details ans Licht.
  • Zwar bleiben die Touristen in der Gemeinde noch nicht aus, aber trotzdem sorgen sich die Menschen.

Von Christian Rost, Bolsterlang

Monika Zeller gerät in Erklärungsnot. Die 56-jährige Bürgermeisterin von Bolsterlang im Oberallgäu und mehrere Gemeinderäte stehen unter dem Verdacht, mit der "Reichsbürger"-Bewegung zu sympathisieren. Nach jüngsten Erkenntnissen hat Zeller aber nicht nur einen "Reichsbürger"-Referenten in den Gemeindesaal eingeladen, sondern auch an einem Kongress der verfassungsfeindlichen Bewegung teilgenommen. Bei der Landesanwaltschaft läuft ein Disziplinarverfahren gegen Monika Zeller.

Zeller, die bei der Wahl 2014 wie alle Gemeinderäte auf einer Einheitsliste antrat, hatte sich im März 2016 mit den vier inzwischen zurückgetretenen Gemeinderäten den Vortrag eines Referenten angehört, der unumwunden für die verfassungsfeindlichen Ansichten der "Reichsbürger" warb. Außerdem wurde bekannt, dass sich die vier Räte und die Rathaus-Chefin auch sogenannte gelbe Scheine besorgt hatten.

Die Staatsangehörigkeitsausweise haben im Alltag praktisch keine Bedeutung mehr, gelten aber bei "Reichsbürgern" als eine Art Gesinnungsausweise. Bei der Beantragung des gelben Scheins machte Zeller für die "Reichsbürger"-Bewegung typische Angaben. Als Geburtsort gab sie, wie Landrat Anton Klotz (CSU) bestätigte, handschriftlich "Königreich Bayern, Deutschland als Ganzes" an und benutzte einen Vordruck mit dem Verweis auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz für das Deutsche Reich vom 22. Juli 1913.

Für die Landesanwaltschaft Bayern liegen damit "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" vor, "die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen". Zeller droht nun die Amtsenthebung. Seit das Verfahren läuft, äußert sie sich nicht mehr dazu. Zuletzt hatte sie davon gesprochen, sich den Schein nur aus Interesse und Neugier besorgt zu haben.

An den Urlaubern scheinen die Querelen im Rathaus vorbeizugehen, Bolsterlang bietet auch in diesen Tagen Postkarten-Ambiente. Der Winter hat sich im Oberallgäu mit Schnee und frostiger Kälte zurückgemeldet, Touristen sitzen dick eingepackt im Pferdewagen. Charme hat der 1000-Einwohner-Ort am Fuße des Bolsterlanger Horns zu jeder Jahreszeit. Die Gäste kommen zum Skifahren und Wandern. Tafeln mit dem Hinweis auf Ferienwohnungen finden sich an fast jedem Haus.

In der Region will man nicht schon wieder Streit

Aber das Idyll hat Risse bekommen. Im Dorf herrscht eine beklemmende Stimmung. Das beunruhigt auch die Rathaus-Chefs der umliegenden Gemeinden, die mit Bolsterlang die Verwaltungsgemeinschaft Hörnergruppe bilden. Sie wollen kein weiteres Aufsehen in ihrer Ferienregion, ihnen steckt noch der Streit um die Skischaukel am nahen Riedberger Horn in den Knochen, die in ein Naturschutzgebiet höchster Kategorie gepflanzt wird. Sie sind nicht erpicht darauf, die Region erneut im Fokus zu sehen. Sie ist es aber längst.

"Sie ist da irgendwo reingeraten", sagt einer, der mit Monika Zeller kommunalpolitisch zusammenarbeitet. "Ob ihr das versehentlich passiert ist, weiß ich aber nicht." Der Oberallgäuer CSU-Kreisvorsitzende und Bürgermeister von Altusried, Joachim Konrad, war schier "von den Socken", als er von den Vorwürfen gegen seine Kreistagskollegin hörte. Sie habe nie eine Bemerkung gemacht, die "Reichsbürger"-Tendenzen hätten erkennen lassen. "Da war nix", sagt Konrad, weshalb er nach wie vor "ein Gefühl der Ungläubigkeit" verspüre. Ähnlich ergeht es Landrat Klotz: "Ich verstehe es nicht. Menschlich tut mir Monika Zeller leid."

Entsetzt über die Vorgänge im Bolsterlanger Rathaus haben 70 Frauen und Männer aus der Gemeinde reagiert. Sie demonstrierten gegen eine mögliche Unterwanderung durch Verschwörungstheoretiker und Rechtsextreme, die sich unter der Bezeichnung "Reichsbürger" sammeln. Unter dem Druck der Wählerschaft distanzierten sich die Gemeinderäte und auch Zeller von der Bewegung. Ein Gemeinderat beteuerte, er brauche den gelben Schein für den Kauf einer Immobilie in Österreich. Ein anderer erklärte, jeder benötige diesen Schein, um nicht enteignet zu werden. Mit solchen falschen Behauptungen verunsichern "Reichsbürger"-Anhänger Menschen, die nicht ganz gefestigt sind.

Die Bürger sind verunsichert

Das Gerücht über drohende Enteignungen machte im gesamten Allgäu die Runde. Allein beim Landratsamt in Sonthofen und der kreisfreien Stadt Kempten beantragten im vergangenen Jahr 120 Bürger gelbe Scheine. Momentan überprüft das Polizeipräsidium Schwaben Süd-West im Allgäu sowie in den Landkreisen Günzburg und Neu-Ulm 450 Personen auf "Reichsbürger"-Bezüge.

Warum das Thema gerade in dieser Region virulent ist und sich die Gerichte regelmäßig mit renitenten "Reichsbürgern" beschäftigen müssen, ist auch einem Oberallgäuer Bürgermeister ein Rätsel. In Bürgerversammlungen werde er regelmäßig auf "Reichsbürger"-Umtriebe angesprochen, er gehe darauf aber nicht ein: "Fragen dazu blocke ich ab", sagt er. Ob das die richtige Methode ist?

Die Aktivitäten von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen sind im Allgäu längst nicht mehr zu übersehen. Seit fünf Jahren treffen sich die skurrilsten und verbohrtesten Typen aus der Szene zur organisierten Gehirnwäsche der lokalen Bevölkerung in einem Gasthof in Betzigau. Im Rathaus der Oberallgäuer Gemeinde weiß man vom jährlichen "All-Stern Kongress", hat aber keine Handhabe dagegen. Bürgermeister Roland Helfrich ließ sich mit den Worten zitieren, der Wirt des Gasthofes habe das dem Ort entgegen aller vorherigen Absprachen "eingebrockt".

Themen bei den Treffen waren die "Lügenpresse" und die "Sturmflut der Völker". Als Referent "über den legalen Weg zur Befreiung der Gemeinden aus dem BRD-System" trat Peter Fitzek auf, selbsternanntes Oberhaupt des von ihm gegründeten Fantasiestaates "Königreich Deutschland". An einem dieser Kongresse nahm auch Monika Zeller teil. Sie war offenkundig recht angetan, jedenfalls stellte sie im Anschluss daran den Bolsterlanger Saal für das "Reichsbürger"-Referat zur Verfügung.

Ob der Frau, der esoterische Neigungen nachgesagt werden, bewusst war, worauf sie sich da einließ? Warum hat sie sich erst Monate später von der Bewegung distanziert? "Sie hätte gleich sagen sollen, dass sie einen Fehler begangen hat", sagt einer aus dem Tourismusgewerbe, der "Unruhe im Ort" ausmacht.

Bislang zeigen sich die Touristen unbeeindruckt

So aber kochte die Stimmung weiter hoch. Ein Nachbar der Bürgermeisterin erzählt, dass nach den ersten Berichten über "Reichsbürger" in Bolsterlang TV-Teams den Ort belagert hätten. Auch sein Haus war im Fernsehen zu sehen. Weil auch er Ferienwohnungen vermietet, nahm er's als kostenlose Werbung. Gäste seien bislang nicht ausgeblieben, die würden über die Vorgänge im Rathaus "lächeln", sagt der Vermieter.

Andere aber, die im Dorf leben und nicht nach ein paar Ferientagen alles hinter sich lassen können, sind verunsichert. Ein Senior, der gerade die Infotafel der Vereine studiert und sich fürs Preisschafkopfen interessiert, zieht beim Stichwort "Reichsbürger" grußlos weiter. "Alle hoffen, dass das bald ausgestanden ist", sagt der Mann aus dem Tourismusgewerbe.

Staatsangehörigkeitsausweis

Der bei "Reichsbürgern" so begehrte gelbe Schein sieht unspektakulär aus: ein DIN-A4-Blatt, oben prangt der Bundesadler, darunter steht: Staatsangehörigkeitsausweis. Es folgen Name, Geburtsdatum, Geburtsort, eine Unterschrift und der Stempel des Landratsamts. 25 Euro kostet die Ausstellung. Für die "Reichsbürger" aber ist das Dokument viel mehr wert. Seit 1913 gibt es den Staatsangehörigkeitsausweis, seitdem das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz des Deutschen Reiches in Kraft getreten ist. Für die "Reichsbürger" das letzte rechtlich gültige Gesetz, das eine Staatsbürgerschaft begründen kann, denn die Bundesrepublik Deutschland existiert für sie nicht. In der ist ihr "Reichsbürger-Ausweis" aber durchaus gültig. Zwar wird er äußerst selten gebraucht. In Bayern ist kein konkreter Fall bekannt, bei dem er nötig gewesen wäre. Theoretisch aber könnte er sinnvoll sein, wenn etwa ein ausländischer Staat neben dem Pass noch einen weiteren Identitätsnachweis verlangt. Besitzer eines Staatsangehörigkeitsausweises sind also nicht automatisch "Reichsbürger". Ziemlich sicher aber, wenn sie als Geburtsort das Königreich Bayern angeben. Wer sein Königreich mal verlassen will, dem bringt der gelbe Schein aber nichts. Als Passersatz ist er nicht gültig.nell

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: