Stephanskirchen:Hier bestimmen die Schüler, was sie lernen wollen

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Das Thema Spiele bestimmte den jüngsten Projektzyklus. (Foto: Florian Peljak)

Die Aktive Projekt-Schule in Stephanskirchen ist eine der neuesten Privatschulen in Bayern. Sie funktioniert völlig anders als alle anderen, denn die Kinder sollen ohne Stress zum Abschluss kommen.

Von Anna Günther, Stephanskirchen

Während die meisten Schüler in Bayern vor den Ferien gedanklich schon am Badesee sind, müssen die Mädchen und Jungen in der Aktiven Projekt-Schule (APS) in Stephanskirchen alles geben. Sie präsentieren ihren Eltern an diesem Nachmittag, was sie seit Ostern gelernt haben. Die Schüler malten zum Beispiel im Keller ein Schachbrett auf den Boden und lernten dabei den Satz des Pythagoras sowie Umfang und Fläche auszurechnen. In Werken stellten die Kinder Spielstäbe aus Holz her, in Kunst Spielfiguren.

Nächste Präsentation. Der Beamer projiziert Teller, Zuckerwürfel und Tintenpatrone an die Wand. Was passiert, wenn Tinte auf Zucker tropft und Wasser darüber fließt? Die Eltern raten erfolglos. "Der Zucker löst sich auf und nimmt die Tinte mit", sagt Carina Haumayr, 11, und grinst zufrieden. Spielerisches Experimentieren war das Ziel in PBC, dem Verbund aus Physik, Biologie und Chemie. Nach 45 Minuten ist die Show vorbei. Die Kinder drängeln zu selbstgebauten Brettspielen mit Quiz-Elementen, die Erwachsenen zum Buffet. Zu Kaffee und Kuchen gibt es Haferdrink, Biomilch und bei Vollmond gezapftes Wasser.

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Der Boom der Privatschulen hält auch in Bayern an. Die meisten dieser 1340 Schulen werden von Kirchen und Klöstern betrieben oder bieten Waldorf- und Montessoripädagogik an. Neugründungen sind selten, die Hürden liegen hoch. Die Aktive Projekt-Schule gehört zu den neuesten Schulen und funktioniert völlig anders als alle anderen. Seit September lernen 25 Fünft,- Sechst- und Achtklässler in einer Gruppe. Es gibt keine Noten, alle duzen sich, der Tag beginnt um 8.30 Uhr mit Gebet, Bewegungsübungen und Stille-Ritual. "Weil der Bus spät kommt und weil das Gehirn so früh nicht so gut arbeitet", sagt Schulleiterin Angelika Thomas-Photiadis.

Der größte Unterschied der APS aber ist das Lernen in Projekten. Die Schüler legen die Themen fest, abgestimmt wird vor den Ferien, auch mal mit Tränen, wenn die Mehrheit ein Lieblingsthema ablehnt. Die Schüler sollen lernen, mit Niederlagen umzugehen, und dass Themen Spaß machen, auf die sie eigentlich keine Lust hatten. Vor Ostern wurde "Spiel" als Thema festgelegt, vor den Pfingstferien "Unterwasserwelt". Die Kinder wünschten sich am letzten Schultag Projekte dazu. In den Ferien ist es Aufgabe der Lehrer, diese Wünsche mit dem Lehrplan in Einklang zu bringen.

Mit der APS hat Thomas-Photiadis, 52, sich einen Traum erfüllt. Sie hat als Sozialpädagogin gearbeitet, Lehramt für Mittelschulen mit Schwerpunkt evangelische Theologie studiert und an einer Montessorischule unterrichtet. Zufrieden war sie nie. Die APS soll eine Schule sein, in der jeder Schüler Raum bekommt, in der charakterliche Entwicklung so wichtig ist wie Wissensvermittlung. Dabei sollen alle Schulen laut der Verfassung "Herz und Charakter bilden". Für Thomas-Photiadis kommt dies im staatlichen System zu kurz, sie will Jugendliche ohne Drill zum Abschluss bringen.

Spielerisch lernen Schüler der Aktiven Projekt-Schule, die Angelika Thomas- Photiadis gründete. (Foto: Florian Peljak)

Noch gibt es keine Erfahrungswerte, die ersten Schüler könnten 2019 einen Mittelschulabschluss machen. Auch an der APS benehmen sich die Schüler daneben, aber statt Verweisen gibt es Gespräche. Die Schulleiterin setzt auf "ein Höchstmaß an Wertschätzung". Jeden Tag gibt es Feedback, der Fokus liegt auf den Stärken. Klingt wie Kuschelpädagogik, aber auch Thomas-Photiadis will Leistung sehen. Projektstunden wechseln sich mit Stillarbeit ab. Jeder Schüler hat einen Arbeitsplan, der Fortschritt wird getestet. Statt Noten gibt es Berichte und die Präsentation.

Fünf Jahre lagen zwischen der Idee und dem Schulbeginn im Herbst 2017, fast hätte Thomas-Photiadis aufgegeben. Die Genehmigung der Regierung von Oberbayern hatte sie rasch, die Evangelische Schulstiftung sicherte Beratung zu, die APS ist eine evangelische Privatschule. Nur die Suche nach dem Schulhaus dauerte. Als das Gebäude gefunden war, mussten Thomas-Photiadis und Mitgründer Markus Stilz Sanierung und ein Jahr Miete finanzieren, ohne dass Kinder und damit zwischen 50 und 350 Euro Schulgeld pro Monat da waren. Denn die Bezirksregierung erstattet erst Kosten, wenn die Schule läuft. "Wir haben unser Erspartes reingesteckt", sagt die APS-Gründerin. Sie bereut es nicht.

Die Schule ist bis Herbst 2019 ausgebucht, die Warteliste wächst. "Wir haben zwei Schulverweigerer hier, die wieder gerne lernen und Kinder fragen selbst an, ob sie reinschnuppern dürfen", sagt Thomas-Photiadis. Am Präsentationstag vor Pfingsten trifft man tatsächlich nur Schüler und Eltern, die wie Fans klingen. Einzig Ulrike Haumayr erzählt von einer Krise: Der Sohn besucht ein Gymnasium, dort kommen ihr der soziale Aspekt und die Zeit für Experimente zu kurz. Aber Leistung sei wichtig, die Zwillinge Carina und Amelia sollen die Mittlere Reife an der APS machen. Haumayr bezweifelte, dass sie genug Englisch lernen. Ein Gespräch mit Thomas-Photiadis und den Mädchen habe die Zweifel ausgeräumt. Man werde nachbessern. "Jetzt bin ich noch überzeugter ", sagt Haumayr.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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