Auslaufen des Urheberrechts:Landtag streitet um Hitlers "Mein Kampf"

Lesezeit: 3 min

  • Landtag und Staatsregierung streiten über die Herausgabe von Hitlers Hetzschrift "Mein Kampf". Ende des Jahres, also 70 Jahre nach Hitlers Tod, endet das Urheberrecht.
  • Geplant war zunächst, das Institut für Zeitgeschichte bei einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe zu unterstützen - doch Seehofer änderte seine Meinung überraschend.
  • Das Institut für Zeitgeschichte will nun im Eigenverlag veröffentlichen.

Von Martina Scherf, München

Wie geht man mit "Mein Kampf" um? Diese Frage beschäftigt Historiker, Politiker und Juristen weltweit, umso dringender, je näher das Ende des Urheberrechts rückt. Ende 2015, also 70 Jahre nach Hitlers Tod, ist es soweit. Dann hat der Freistaat Bayern als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Franz-Eher-Verlags, in dem die Kampfschrift 1925 erstmals erschien, keine Handhabe mehr, eine Neuauflage zu verhindern. Und noch immer haben Staatsregierung und Landtag keine einheitliche Haltung zu der Frage gefunden, was daraus folgt.

Dabei war man sich vor drei Jahren schon einig gewesen: Der Landtag hatte damals beschlossen, das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München bei der Herausgabe einer wissenschaftlich kommentierten Ausgabe zu unterstützen - als Gegengewicht zu den befürchteten Nachdrucken aus rechten Verlagen, als Handreichung für Schulen und andere Bildungseinrichtungen.

Einstimmig war dieses Votum damals gefallen - bis Ministerpräsident Horst Seehofer und Kultusminister Ludwig Spaenle (beide CSU) nach einer Israel-Reise im vergangenen Jahr überraschend einen Rückzieher machten. Seehofers Begründung: "Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag in Karlsruhe stellen, und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von ,Mein Kampf'". Das Institut für Zeitgeschichte solle seine Arbeit einstellen, meinte der Regierungschef sogar noch. Doch die Wissenschaftler - das IfZ ist ein Leibniz-Institut, von Bund und Ländern gemeinsam getragen - ließen sich nicht beirren. Sie wollen ihre historisch-kritische Ausgabe Anfang 2016 herausbringen: zwei Bände mit mehr als 5000 Kommentaren kündigte Institutsdirektor Andreas Wirsching vor Kurzem an.

"Wir wollen deshalb jetzt Taten sehen"

Und dann? Wer das Hitler-Buch lesen will, findet es mühelos im Internet - unkommentiert. Deshalb sei es umso wichtiger, betonte Isabell Zacharias (SPD) im Wissenschaftsausschuss des Landtags am Mittwoch erneut, "dass der Freistaat endlich ein Konzept vorlegt, wie er die kommentierte Ausgabe des Buches begleiten will". Die Staatsregierung habe sich mit ihrem Rückzieher über das Votum des Parlaments hinweggesetzt - seither herrsche Funkstille. Weder vom Kultus- noch vom Justizministerium seien bisher schlüssige Erklärungen gekommen. Ob sich mit einem Verbot der unkommentierten Ausgabe - darauf hatten sich die Justizminister der Länder verständigt - deren Verbreitung wirklich verhindern lasse, sei fraglich. "Wir wollen deshalb jetzt Taten sehen", forderte Zacharias.

An der Haltung der Staatsregierung werde sich wohl nichts ändern, meinte Oliver Jörg (CSU). Doch das Parlament könne aus eigener Initiative dazu beitragen, "dass die kommentierte Ausgabe die richtigen Kanäle findet". Alle Abgeordneten stimmten der Idee zu, in einer Parlamentsveranstaltung Lehrer- und Jugendverbände, jüdische Organisationen und Bildungseinrichtungen mit dem Werk vertraut zu machen.

Allerdings, so fügte Georg Rosenthal (SPD) hinzu, dürfe eine solche Veranstaltung nicht den Zweck erfüllen, "dass wir dann einen Haken an das Thema machen können". Wie wichtig das Wissen über den Nationalsozialismus sei, hätten die ersten Eintragungen ins Gästebuch des NS-Dokuzentrums gezeigt: "Da schreiben Leute: Danke für die Aufklärung", berichtete der Abgeordnete und betonte: "Wir machen uns keine Vorstellung, wie wenig Wissen in vielen Teilen der Bevölkerung noch immer vorhanden ist."

Warum eine kommentierte Fassung wichtig ist

Gerade Lehrer seien im Umgang mit neuen Medien oft nicht auf dem Laufenden. "Sie wissen nicht, wie man rechte Inhalte decodiert", Texte also, die häufig pseudowissenschaftlich erschienen, aber eindeutige politische Absichten verfolgten. Daher sei die kommentierte Ausgabe von "Mein Kampf" vor allem für die Lehrerfortbildung, die Referendarsausbildung und die Jugendarbeit wichtig.

Fraktionsübergreifend kamen die Abgeordneten daher zum Schluss, einen gemeinsamen Antrag an die Staatsregierung zu formulieren für ein Konzept zur Begleitung der Veröffentlichung.

In der Zwischenzeit arbeiten die Wissenschaftler des IfZ mit Hochdruck an der Fertigstellung der Ausgabe. Sie soll bis zu 2000 Seiten umfassen. 780 Seiten davon stammen aus Hitlers Original, den Rest machen wissenschaftliche Kommentare, Einleitung und Register aus. Sie sollen zeigen, wie Hitlers Thesen entstanden, seine Unterstützer, seine Absichten, die Folgen nach 1933 erklären und was sich vom heutigen Stand des Wissens aus dieser Propagandaschrift entgegensetzen lässt.

Um alle Rechte zu behalten, aber auch, um möglichen kommerziellen Interessen mit dem sensiblen Thema entgegenzuarbeiten, wird "Hitler, Mein Kampf - eine kritische Edition" vom Münchner Institut für Zeitgeschichte im Eigenverlag veröffentlicht.

© SZ vom 07.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: