Zukunft der Autonavigation:Wenn möglich, bitte senden

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Navigationsgeräte für die Windschutzscheibe kommen langsam aus der Mode. (Foto: Robert Haas)

Das Kästchen pappt an der Frontscheibe und sagt uns, wo es langgeht. Doch Navis zum Nachrüsten kommen langsam aus der Mode. Trotzdem sind deren Hersteller wichtig auf dem Weg zum automatisierten Fahren.

Von Varinia Bernau und Helmut Martin-Jung, München

"Jetzt links abbiegen", "in 20 Metern rechts abbiegen", "in 30 Metern rechts halten" - Anweisungen eines Navigationsgerätes bei 100 Kilometern pro Stunde und im Sekundentakt auf einer Bundesstraße. Die Angaben sind veraltet, also unbrauchbar - aber auch ungewöhnlich. Denn obwohl es nie schadet, sich vorher die Strecke im Überblick anzusehen: Navigationssoftware ist mit den Jahren immer besser geworden. Von A nach B zu kommen, auch wenn man noch nie in B war, das ist schon länger nicht mehr die Herausforderung. Das Ziel ist größer, viel größer, und es heißt: automatisiertes Fahren.

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Digitale Karten sind heute selbstverständlich. Doch sie zu erstellen ist so aufwendig, dass nur noch drei Firmen das Geschäft betreiben.

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Das heißt aber auch: "So wenig Fehler wie möglich zu machen", sagt Alain de Taeye. Der Belgier ist Vorstandsmitglied beim niederländischen Navigationskonzern Tomtom. Groß geworden ist die Firma mit Navis für die Windschutzscheibe, doch die kommen langsam aus der Mode. Und es gibt neue Konkurrenz. Mächtige Konkurrenz. Neben Nokias Here ist auch der Internetkonzern Google in diesem Segment sehr aktiv. Nokia und Tomtom wollen mit ihrer langjährigen Erfahrung und Daten von hoher Qualität dagegenhalten.

"Automatisiertes Fahren funktioniert nur mit ständigen Updates"

Vor allem eines muss sich ändern, weiß de Taeye: "Die Art und Weise, wie wir Updates verteilt haben, ist veraltet", sagt er, "wir müssen schneller dabei werden, die Änderungen zum Kunden zu bringen." Denn klar ist: "Automatisiertes Fahren funktioniert nur mit ständigen Updates." De Taeye beschäftigt sich schon seit den 1980er-Jahren mit digitalen Karten, die Firma Tele Atlas, deren Chef er ab 1990 war, wurde 2008 von Tomtom gekauft, seitdem sitzt er im Vorstand.

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Die Entwicklung der Navigationsgeräte für den Privatgebrauch hat er mit betrieben. Sie zu bauen, war überhaupt erst möglich, nachdem die USA im Jahr 2000 die künstliche Verschlechterung der GPS-Signale beendet hatten. Seit 2004, als das erste Tomtom-Navi für die Windschutzschutzscheibe herauskam, also erst vor zehn Jahren, hat die Firma 75 Millionen Geräte verkauft. Die Zeit des rasanten Wachstums ist zwar vorbei, aber im Durchschnitt werden täglich immer noch 23 000 der kleinen Kästchen mit Saugfuß verkauft, das sind knapp 8,4 Millionen pro Jahr.

Wo ist der nächste freie Parkplatz? Und hat die Bahn wieder Verspätung?

Besonders die Deutschen lieben Geräte, die nur eines können, das aber einfach und gut. Im Grunde ist es jedoch egal, welches Gerät letztendlich mit den Daten arbeitet - das Schwierige an dem Geschäft ist, digitale Karten zu erstellen und sie mit aktuellen Verkehrsinformationen anzufüttern. Das ist auch der Grund, warum es nur noch wenige Firmen gibt, die es sich leisten können, Straßen zu kartieren und Verkehrsströme zu verfolgen. Während Tomtom auch Geräte für Endverbraucher anbietet, sehen sich die Konkurrenten in erster Linie als Datenlieferanten.

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Auch bei Here, dem Kartendienst von Nokia, will man Autohersteller bei der Entwicklung des automatisierten Fahrens unterstützen. Dieser Traum kann aber nur Wirklichkeit werden, wenn es gelingt, den Straßenverkehr mit all seinen Hürden und Hindernissen präzise vorherzusagen. Es geht auch darum, in Echtzeit aufs Smartphone zu spielen, wann ein Zug Verspätung hat und es sich lohnen könnte, auf einen Mietwagen umzusteigen. Es geht darum, dem Pendler rechtzeitig zu signalisieren, wo der nächste freie Parkplatz zu finden ist. Und es geht darum, den Spritverbrauch einer Lkw-Flotte zu senken, etwa indem das Navi auch auf Steigungen und Tempolimits hinweist.

All dies macht Here in einzelnen Kooperationen schon möglich. Dazu arbeitet das Unternehmen nicht nur mit Auto- und Handyherstellern zusammen, um das Kartenmaterial auf den Bildschirm im Armaturenbrett oder auf den von Smartphones zu bringen. Es kooperiert auch mit der Bahn, die Einblick in den aktuellen Zugverkehr gewährt, und mit Städten, die ihre Daten aus der Verkehrsplanung inklusive der Belegung in Parkhäusern offenlegen.

Das Kartenmaterial für mehr als 200 Länder, aber auch viel Knowhow stammen von dem amerikanischen Unternehmen Navteq, das sich die Finnen vor sieben Jahren gesichert haben. Es steckt immerhin in jedem vierten Neuwagen mit eingebautem Navi, aber es steckt auch in einigen anderen Geräten - bislang etwa in Amazons Kindle und den Windows-Phones.

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Doch Nokia setzt alles daran, auch den Sprung auf Smartphones anderer Hersteller zu schaffen. Ein großer Pluspunkt ist die Möglichkeit, sich auch ohne Internetverbindung den Weg weisen zu lassen. Dazu können Karten von mehr als 100 Ländern vorab heruntergeladen und dann auch ohne Internetverbindung genutzt werden.

Tomtom hat die Daten von 700 000 Jahren Autofahrten gespeichert

Das ist der größte Nachteil bei Googles Dienst Maps. Der bietet zwar inzwischen auch eine Navigation mit Ansage an, doch muss man dafür entweder online sein oder sich den geforderten Kartenausschnitt vorher herunterladen. Für die aktuellen Verkehrsinformationen ist in jedem Fall eine Internetverbindung nötig. Und man muss dem Datensammler Google natürlich auch erlauben, das Handy oder Tablet, auf dem der Kartendienst läuft, zu orten.

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Viele Kunden werden zumindest für eine Zeit lang aber lieber noch bei den gewohnten Kästchen für die Windschutzscheibe bleiben. Auch die haben sich schließlich weiterentwickelt. Die neuesten Tomtoms zum Beispiel kommen mit lebenslangen Updates und Internetanbindung. Das dient vor allem einem Zweck: "Der Verkehr ist unser größtes Problem", sagt Alain de Taeye, Navis würden daher zunehmend auch auf bekannten Strecken eingesetzt - um Staus zu vermeiden. Aber nicht nur die einzelnen Fahrer wollen möglichst schnell und staufrei ans Ziel kommen. Auch Städte und Kommunen nutzen Daten der Navigationsanbieter, um die Verkehrsströme besser zu lenken, oder als Input für die Planung der Infrastruktur.

Ungeheure Datenmengen

Eine wichtige Rolle spielen dabei die Daten, die die Anbieter über die Jahre gesammelt haben. "In acht von zehn Fällen können wir den aktuellen Verkehr auf der Grundlage historischer Daten vorhersagen", erzählt etwa der Nokia-Entwickler Jussi Koski. "Wir haben sehr früh angefangen", sagt auch Alain de Taeye von Tomtom. 280 Milliarden Kilometer haben Nutzer von Tomtom bereits zurückgelegt. Wenn ein Einzelner das schaffen wollte, müsste er 700 000 Jahre lang ununterbrochen am Steuer sitzen. Die entsprechenden Algorithmen zu ihrer Auswertung, die in jahrelanger Arbeit entstanden sind, gehören daher neben den Verkehrsdaten selbst zu den wichtigsten Geschäftsgeheimnissen der Navigationsfirmen, die streng gehütet werden. Die Firmen horten ungeheure Mengen dieser Daten, aber in anonymisierter Form.

Nicht zuletzt deshalb sehen sich die Navigationsspezialisten durchaus auch ein wenig als Gegengewicht zum Internet-Konzern Google, der Daten in mittlerweile nahezu allen Lebensbereichen erfasst - von der Heizung bis zum Pulsschlag.

© SZ vom 05.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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