VW-Abgas-Skandal:Lohnt es sich noch, einen Diesel zu kaufen?

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Abgasuntersuchung beim Dieselfahrzeug: Womöglich büßt der Diesel nach dem VW-Abgas-Skandal seinen Kostenvorteil ein. (Foto: dpa)
  • Aktuell sind etwa die Hälfte der in Deutschland zugelassenen Pkw Dieselfahrzeuge. Doch das könnte sich im Zuge des VW-Abgas-Skandals ändern.
  • Nur eine aufwendige chemische Abgasnachbehandlung mit Adblue macht den Diesel wirklich sauber. Doch die ist teuer und drückt auf die Kostenbilanz.
  • Zudem dürften ältere Dieselautos nun an Wert verlieren.

Von Joachim Becker

Der Diesel steht auf dem Prüfstand. Mittlerweile fragen sich Marktforscher und Kunden gleichermaßen, welche Aussichten die Ölbrenner künftig haben. "Der Diesel hat seinen Höhepunkt überschritten", prognostiziert Ferdinand Dudenhöffer, "die steigenden Marktanteile, die er aufgrund des SUV-Trends erlebt hat, sind nach dem VW-Skandal vorbei", so der Automobil-Experte von der Uni Duisburg-Essen.

In Deutschland wird fast jeder zweite Neuwagen mit dem knurrigen Sparmotor verkauft. In den vergangenen fünf Jahren ist der Marktanteil von 42 Prozent auf 48 Prozent gestiegen. Angesichts eines Mehrpreises von durchschnittlich zwei- bis dreitausend Euro gegenüber einem vergleichbar starken Benziner könnte sich der Diesel bei Kleinwagen und Kompaktautos aus dem Markt preisen, fürchten Fachleute. Zumal sich der Preisabstand durch steigende Anforderungen an einen sauberen Diesel noch vergrößern dürfte.

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Ein Wertverlust droht

Dieselmodelle profitieren bisher von ihrer Wertbeständigkeit. Doch diese Entwicklung wird sich umdrehen, wenn die Euro-5-Diesel in den Ruf geraten, schmutzige Diesel zu sein", erwartet Dudenhöffer, "das war bei den Dieselpartikelfiltern nicht anders: Sobald die Filter für Neuwagen vorgeschrieben wurden, hatten Bestandsfahrzeuge ohne Filter rund 1000 Euro Wertverlust."

Aktuell steht der Diesel nicht nur wegen des VW-Betrugsskandals in der Kritik. Auch die kontinuierlichen Überschreitungen der Stickoxid-Werte (NOx) in 30 deutschen Städten bringt den Selbstzünder in Misskredit. Auf dem Papier liegen die NOx-Emissionen von Diesel-Neuwagen heute um 84 Prozent niedriger als vor 15 Jahren. Trotzdem ist die Luftqualität nicht besser geworden, warnt das Umweltbundesamt (UBA). Da die Richtlinien zur Luftreinhaltung in Deutschland permanent verletzt werden, droht die EU-Kommission nun mit rechtlichen Schritten. Auch die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will in hoch belasteten Städten wie Stuttgart, München, Berlin und Hamburg gegen die Kommunen klagen.

Schon seit mehreren Jahren steht der Selbstzünder wegen seiner hohen Stickoxid-Emissionen am Pranger. Nach der Euro-6-Norm dürfen Diesel zwar nur noch 20 Milligramm mehr NOx ausstoßen als Benziner. Doch abseits der vorgeschriebenen Labortests im europäischen Fahrzyklus NEFZ steigen die Stickoxid-Emissionen rapide an.

Deshalb wollen nicht nur Paris, London und Madrid alte Selbstzünder aussperren. Auch Stuttgart plant die fünfte Stufe der Umweltzone ohne ältere Diesel. Von 2019 an könnte die Einfahrt nur noch mit einer blauen Plakette für Euro-6-Fahrzeuge erlaubt sein. Allein in den fünf Landkreisen der Region und in der Stadt Stuttgart wären davon rund eine halbe Million Dieselfahrzeuge betroffen - im Gegensatz zu Benzinern, die seit dem 1. Januar 2006 zugelassen wurden. Denn die Ottomotoren stoßen selbst auf Euro-4-Niveau nur 80 Milligramm NOx aus: Sie sind in dieser Hinsicht also genau so sauber wie die neuesten Euro-6-Diesel.

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Nicht nur Ferdinand Dudenhöffer geht davon aus, dass die blaue Plakette auch in anderen deutschen Städten mit schlechter Luftqualität kommen wird. Reinhard Kolke erwartet ebenfalls, dass die kommunalen Behörden nun stärker unter Druck stehen werden, die Luftqualität zu verbessern. "Warum reden wir überhaupt über eine blaue Plakette? Weil die Autohersteller bei den Stickoxiden noch nicht genug getan haben", erklärt der Leiter des ADAC-Testzentrums in Landsberg: "Momentan wird in Brüssel über Praxistests mit mobilen Messgeräten verhandelt. Die Autohersteller wollen, dass die Abgaswerte dabei doppelt so hoch liegen dürfen als im Labor. Der ADAC fordert schon lange einen Umrechnungsfaktor von lediglich 1,5."

Allein mit Denox-Katalysatoren dürfte ein solcher Konformitätsfaktor kaum zu erreichen sein. Denn die relativ einfache Lösung ohne das Additiv Adblue funktioniert auf dem Prüfstand am besten. In diversen Praxistests der Verbraucher- und Umweltorganisationen fallen dagegen selbst Euro-6-Dieselmodelle mit relativ simpler Abgasnachbehandlung durch.

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Die Abgasreinigung mit Adblue funktioniert besser

Die meisten Autohersteller lassen ihre Kunden jedoch im Unklaren, wie die Abgase ihrer Euro-6-Neuwagen gereinigt werden. Bisher haben ja auch nur die wenigsten nachgefragt. Hauptsache, die gesetzlichen Anforderungen wurden erfüllt - und der Mehrpreis für den Diesel war nicht zu hoch. "Wenn die Ergebnisse der Abgas-Praxistests zum Beispiel des ADAC in der Öffentlichkeit stärker Gehör finden, werden die Autokunden nach der Qualität der Diesel-Abgasnachbehandlung fragen", ist sich Stefan Bratzel sicher. Der Leiter des Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach verweist dabei auch auf die nächste Stufe des EU-Abgastests: Bei den sogenannten Real Driving Emissions (RDE) wird der Ausstoß von Stickoxiden während der Fahrt außerhalb des Labors mit dem sonst üblichen Rollenprüfstand gemessen. Dabei schneiden SCR-Abgasnachbehandlungssysteme mit Adblue in der Regel deutlich besser ab als die Denox-Katalysatoren.

Doch wie ist es möglich, dass Dieselmodelle, die im Testlabor alle Vorschriften einhalten, in der Praxis zu Umwelt-Stinkern werden? Im Alltag wird der größte Vorteil des Diesels - dass er ein extrem mageres Kraftstoff-Luft-Gemisch ohne Zündkerze zünden kann - leicht zu seinem größten Nachteil. Unter realen Fahrbedingungen wechselt die Last beim Beschleunigen und Bremsen ständig. An Steigungen fällt außerdem die Masse des Fahrzeugs stärker ins Gewicht als im Testlabor.

Wenn die Gemischbildung nicht optimal läuft, verbrennen beim Gasgeben relativ große Sprittropfen im Zylinder. In diesen fetten Zonen bildet sich Ruß und bei Temperaturen jenseits von 1000 Grad Celsius nehmen die Stickoxide rapide zu. Für eine zeitgemäße, motornahe Abgasnachbehandlung sind das zwar lösbare Herausforderungen. Aber der Diesel wird durch die Chemiefabrik im Auspuff wesentlich teurer als vergleichbare Benziner.

Experten warnen bereits vor einer immer ungünstigeren Kostenbilanz beim Diesel: "Obwohl moderne Benzin-Direkteinspritzer zwischen 15 und 25 Prozent mehr Kraftstoff verbrauchen als ein Selbstzünder, rechnen sich viele Dieselmodelle nur noch bei Fahrleistungen von mehr als 20 000 Kilometer pro Jahr. Bis sich ein Euro-6-Diesel amortisiert hat, vergehen also im Durchschnitt vier Jahre", so Dudenhöffer.

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Der Diesel rechnet sich nur für Vielfahrer

Die Zeitschrift Autobild hat vorgerechnet, dass beliebte Dieselmodelle wie der VW Golf 1.6 TDI, der VW Passat 2.0 TDI, der Škoda Octavia 2.0 TDI und der Audi 2.0 TDI allesamt erst nach einer Gesamtstrecke von mehr als 100 000 Kilometer Kostenvorteile haben. Das mag sich für professionelle Vielfahrer rechnen. Viele Stadtbewohner mit einer Fahrleistung von rund 10 000 Kilometer pro Jahr erreichen diese Gewinnschwelle aber womöglich nie.

Was für viele Kunden billig ist, dürfte den Autoherstellern alles andere als recht sein. Für die Flottenverbräuche wäre es fatal, wenn viele potenzielle Dieselkunden auf einen Benziner umstiegen. Gäbe es den Selbstzünder nicht, würden neue Personenwagen im Durchschnitt zehn Prozent oder 13 Gramm mehr CO₂ pro Kilometer ausstoßen, rechnet der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) vor.

Auch die alternativen Antriebe versprechen keine schnelle Hilfe: "Ohne moderne Dieselfahrzeuge werden die Autohersteller ihre europäischen CO₂-Vorgaben für 2021 nicht erreichen", warnt Stefan Bratzel. "Nach unseren Berechnungen müssten sie sonst ein Viertel ihrer Neuwagenflotte als reine Batteriefahrzeuge verkaufen. Schon 25 Prozent Plug-in-Hybride würden nicht ausreichen, um den angedrohten Strafen der Europäischen Kommission zu entgehen." Bevor die (teil-)elektrischen Antriebe nicht auf hohe Stückzahlen kommen, bleiben sie teuer. Billiger als ein Clean Diesel dürften sie auf absehbare Zeit jedenfalls nicht werden.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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