VW-Abgas-Skandal:Gebt dem Diesel eine Chance

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Volkswagens Manipulationsaffäre offenbart: Es müssen endlich realistische Verbrauchs- und Abgaswerte her. Nur wenn ein objektiver Wettbewerb zwischen den Antriebsarten herrscht, vermag der Diesel zu zeigen, was er wirklich kann.

Von Joachim Becker

Dieselautos haben wieder einmal den Schwarzen Peter. Und am Pranger steht ein Umweltsünder aus Wolfsburg. Die Enthüllungen der letzten Tage erinnern - allen Unterschieden zum Trotz - an die Kontroversen um die Einführung des Partikelfilters: Ende 2002 standen Umweltaktivisten mit Grabkreuzen vor den Wolfsburger Werkstoren und sie blockierten die Stuttgarter Mercedes-Zentrale mit Krankenhausbetten. Ursache war die "Blockadehaltung, die wir beim Partikelfilter erleben", so ein Greenpeace-Sprecher damals. Tatsächlich gab der einstige Volkswagen-Chef Bernd Pischetsrieder den knauserigen Kaufmann: "Ein solches Filtersystem kostet je nach Größe des Motors 200, 400 oder 600 Euro pro Auto", rechnete er vor. Das könne man nicht an die Kunden weitergeben.

Wie der Streit um die Rußfilter ausgegangen ist, weiß man. Welche Konsequenzen der neue Abgas-Skandal haben wird, lässt sich vermuten: Europa dürfte seine Lektionen aus den USA in puncto Luftreinhaltung jetzt mit dem nötigen Nachdruck lernen. Das langwierige Geschacher um die Einführung des neuen WLTP-Testverfahrens in Brüssel zur Ermittlung des Normverbrauchs muss ein Ende haben. Jetzt gilt es, mehr Transparenz für die Verbraucher zu schaffen - sowohl durch halbwegs realitätsnahe Verbrauchsangaben ohne versteckten Bonus für Plug-in-Hybride als auch durch den Einsatz von portabler Messtechnik: Die tatsächlichen Abgaswerte lassen sich nur außerhalb des Labors messen.

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Die Selbstreinigungskräfte reichen nicht aus

Deutsche Regierungen haben lange weggeschaut und den Schutz des Wirtschaftsstandorts und damit auch der Automobilindustrie zur Staatsräson erklärt. Doch die Selbstreinigungskräfte der Branche reichen offenbar nicht aus. Das hat in der Vergangenheit eine Vielzahl von Praxistests von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen gezeigt. Sie kamen in Europa zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie jetzt aus den USA berichtet werden: "Mit einer gut eingestellten SCR-Abgasreinigung kann, das belegen die ADAC EcoTest-Messungen, der NOx-Ausstoß wirksam verringert werden", schreibt der Automobilclub in einem Positionspapier: "Bei den meisten derzeit verfügbaren Euro-6-Diesel-Pkw ist dies jedoch nicht der Fall. Die Fahrzeuge halten zwar bei der Typprüfung den Grenzwert ein, im realen Betrieb, insbesondere bei Autobahnfahrten, zum Teil auch im Innerortsverkehr, treten dagegen erheblich höhere NOx-Emissionen auf."

Es stimmt schon: Kaum ein Kunde ist bereit, für Umweltschutz wesentlich mehr Geld zu zahlen. Deshalb stehen die Automobilverbände in Europa heute beim Clean-Diesel ebenso auf der Bremse wie vor gut einer Dekade beim Partikelfilter. Trotzdem braucht es schleunigst Tests, die näher an der Realität sind. Nur sie können das Vertrauen in den Dieselantrieb wiederherstellen. Denn das Rennen um den besten Antrieb ist noch nicht entschieden. Angesichts einer Stromerzeugung, die zu 60 Prozent auf klimaschädliche Kohle setzt, und einer Batterieproduktion mit extrem hohen CO₂-Ausstoß sind auch Elektrofahrzeuge (noch) nicht der Weisheit letzter Schluss. Deshalb muss der Diesel im objektiven Wettbewerb zeigen, was er wirklich kann.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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