Richtig Mountainbiken:Mach den Gorilla!

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Mountainbike-Fahrtechnikkurse vermitteln die Grundlagen, um auch anspruchsvolle Downhills zu fahren. Dabei wird auch routinierten Fahrern oftmals deutlich, dass die fahrerischen Grundlagen nicht so sicher sitzen, wie sie es sollten.

Sebastian Herrmann

Fahrradfahren zählt zu den Dingen, die ein Mensch nicht verlernt. Dieser abgenudelte Spruch impliziert, dass man es irgendwann einmal richtig gelernt hat, auf zwei Rädern zu kurbeln. Im Alltag ist das auch kein Problem, doch bei einer Alpenüberquerung gären dann doch Zweifel in einem. In der Tourenbeschreibung behauptet der Autor etwa, dass nun ein "schwerer Downhill" anstehe, der aber "komplett fahrbar" sei. Dazu muss man wissen, dass die Abfahrten bei Mountainbiketouren so etwas wie das gelungene Dessert nach mehreren Gängen zerkochtem Gemüse mit zähen, fettigen Fleischstücken ist - also der Höhepunkt.

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Oft genug wird die geschmeidige Abfahrt aber nicht serviert. "Von wegen alles fahrbar", schimpft man vor sich hin und schleppt sein Rad bergab und überschüttet den Autor des Tourbuchs mit einem Steinschlag unflätiger Flüche. Aber sind diese Downhills doch fahrbar? Existiert ein Fahrradgeheimnis, das man nicht verlernen kann, weil man es nie gelernt hat? Bietet einer der Mountainbike-Fahrtechnikkurse die Lösung, die von einer stetig wachsenden Zahl von Veranstaltern angeboten werden?

Der Kurs des Anbieters TrailXperience beginnt auf einem Parkplatz im Allgäu. Oberhalb der ungeteerten Fläche lernen im Winter Kinder an den Eschacher Schwärzenliften ihre ersten Schwünge auf Skiern. Jetzt baumelt ein Schlepplift über einer matschigen Wiese mit Restschneeflecken. In der Gegenrichtung ist die Aussicht erhaben, dort bauen sich die weißen Gipfel der Allgäuer Alpen auf.

Grundposition", ruft Guide Alex Wallner mit tief allgäuerischer Färbung über den zugigen Parkplatz. "In die Knie und den Gorilla machen." Der Auftakt des Kurses deckt sich nicht ganz mit der Erwartung, schnell das Rüstzeug für schnittige Abfahrten in schwerem Gelände zu bekommen. Die Schüler üben erst einmal die Grundposition: Dazu geht man aus dem Sattel, die Pedale stehen parallel zum Boden, die Knie sind angewinkelt und die Ellbogen übertrieben nach außen gestellt, "wie ein Gorilla in Angriffshaltung", sagt Guide Alex. So rollt nun jeder Kursteilnehmer schön langsam an den Guides vorbei, und empfängt Kritik zur Haltung. Alex macht das mit Akribie - und wahrscheinlich sind die vermeintlich ganz einfachen Dinge am schwersten zu lernen und am wichtigsten für den späteren Erfolg.

Es graupelt, es nieselt und auch der Wind trägt nicht dazu bei, dass es auf dem Parkplatz in Eschach bei Buchenberg gemütlicher wird. Die Kursteilnehmer üben nun, im Stillstand zu balancieren, feilen an der Körperhaltung bei einer Vollbremsung und fahren unter Anleitung durch eine mit bunten Plastikhütchen angezeigte enge Kurve. Dabei stellt sich das erste Mal das Gefühl eines Lernerfolges ein: Mit dem theoretischen Wissen, wann der Blick wohin gerichtet wird, wie die Kurve angefahren und wann wieder in die Pedale getreten wird, rollt man flüssig durch immer engere Kehren. "Sehr gut, weiter", allgäuert Alex seinen Schülern auf dem Weg aus der Kurve hinterher. Es ist wohl doch hilfreich, Grundlagen auf einem kalten, windigen Parkplatz zu üben.

Ein großer Aha-Effekt stellt sich dann in den Wäldern der umliegenden Hügel ein. Nach dem ersten Vormittag auf dem Parkplatz fahren die Kursteilnehmer das restliche Wochenende im Gelände. Am ersten Nachmittag holpert man in Grundposition mit Gorilla-Haltung über einen kurzen Pfad zwischen Fichten hinab, empfängt Manöverkritik und kurbelt den Hang nahe des Eschacher Weihers für die nächste Runde wieder hinauf.

Am zweiten Tag steigt der Anspruch. Der Regen hat die Wurzeln im Wald nass und glitschig gemacht. Abschnittweise ist der Pfad hässlich steil. Guide Alex geht mit der Gruppe den Weg ohne Fahrräder auf der Suche nach der optimalen Linie erst einmal ab. "Wo würdet ihr langfahren", fragt er in die Runde und diskutiert, welche technischen Anforderungen welche Fahrlinie hat. Dann rollt jeder Kursteilnehmer den Parcours über den nassen Waldboden bergab. Mit mäßigem Erfolg - es ist wirklich steil.

Doch an dieser Stelle sorgen die Guides von TrailXperience dafür, dass ihre Schüler vielleicht doch einmal diese schweren Downhills hinabrollen könnten, die angeblich fahrbar sind, aber oft so unbezwingbar aussehen. In den ganz steilen Passagen auf dem bewaldeten Allgäuer Hügel zeigen alle das gleiche Verhalten - und liegen falsch. Aus Angst, bei dem starken Gefälle über den Lenker zu fliegen, stehen alle aus dem Sattel auf und hängen ihr Gesäß über das Hinterrad, um den Schwerpunkt so weit wie möglich ans Heck zu verlagern.

Blöderweise ist das falsch, beim Bremsen blockiert sofort das Hinterrad. So schleift man ohne Kontrolle über den nassen Boden und steigt bald ab. "Wie verteilt sich die Kraft beim Bremsen?", fragt Guide Alex. Etwa zwei Drittel der Bremskraft entfalle auf das Vorderrad. Und was ist die Konsequenz daraus für den beunruhigend steilen Downhill? Der Hintern darf nicht übers Hinterrad. Statt dessen nehmen die Fahrer die Grundposition ein, die sie zuvor auf dem Parkplatz geübt haben und verlagern ihr Gewicht ein bisschen nach vorne - das ist bei steilem Gefälle kontraintuitiv und erfordert Überwindung. "Wir brauchen Druck auf dem Vorderrad, um kontrolliert zu bremsen", sagt Alex. Und tatsächlich, es funktioniert. Die Räder blockieren nicht und die Bremskraft lässt sich gut dosieren. Nach ein paar Durchgängen mit simultaner Manöverkritik lassen sich auch die kritischen Passagen kontrolliert fahren - so geht das also.

Selbst bei einer vermeintlich banalen Tätigkeit kann man also viel falsch machen - und nach einem Grundlagen-Kurs noch mehr richtig. Beim nächsten Mal wird der schwere Downhill vielleicht doch zum Dessert.

Informationen zu Mountainbike-Fahrtechnikkursen finden sich unter www.trailxperience.com

© SZ vom 21.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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