Luftfahrt:Zwischen Traumberuf und Saftschubse

Stewardess Ingin Scupin 1960

Stewardess Ingin Scupin 1960 an Bord der "Convair 340".

(Foto: Scupin)

Eine Stewardess erinnert sich an die frühen Jahre der Flugreisen, als die Passagiere noch respektvoll und weniger anspruchsvoll waren.

Von Jörg Reichle

Die elf Passagiere, die am 15. Mai 1930 am Flughafen Oakland die Maschine nach Chicago bestiegen, staunten nicht schlecht. Statt des gewohnten Stewards begrüßte sie eine junge Dame in Uniform. Die 25jährige Ellen Church wies ihnen die Plätze zu, half beim Verstauen des Gepäcks, servierte Hühnchen-Snack mit Fruchtsalat und beruhigte ängstliche Gemüter. Ellen Church, die nach seriösen Quellen als die erste Stewardess der Welt gilt, wusste als gelernte Krankenschwester, dass Flugangst und Magenbeschwerden zu den häufigsten Malaisen der Passagiere zählen. Die engen Kabinen der im Vergleich zu heute winzigen Verkehrsmaschinen hatten noch keinen Druckausgleich. Und bei Flughöhen um 3000 Meter wurden die Flugzeuge nicht selten von Turbulenzen durchgeschüttelt - mit entsprechenden Konsequenzen an Bord.

Mit Ellen Church ist ein neuer Beruf entstanden. Die Verantwortlichen der Fluggesellschaft Boeing Air Transport stellen acht Krankenschwestern ein und bilden sie unter Leitung von Church als sogenannte Sky Girls aus. Bei den Passagieren sind die Stewardessen schnell beliebt. Nur die männlichen Besatzungen machen aus ihrer Verachtung kein Hehl. "Kapitän und Copilot sprechen kein einziges Wort mit den Sky Girls", heißt es in zeitgenössischen Quellen. Nicht genug: Die Flugbegleiterinnen müssen ihnen mit militärischem Gruß Respekt erweisen.

Bald folgt man auch in Europa dem US-Beispiel. Vier Jahre nach Churchs Premierenflug stellt Swissair die 22jährige Nelly Pflüger als erste Stewardess Europas ein. In weißer Schürze über dem eigenen Kleid serviert die Schweizerin Selbstgekochtes und hilft angeblich mit Jodeln über Flugängste der Passagiere hinweg, heißt es in einem Rundfunkbeitrag des WDR. Und auch bei der Lufthansa bildet man bald Stewardessen aus. Doch nur jede hundertste Bewerberin wird bei den "fliegenden Mädchen von Tempelhof" angenommen. Denn die Kriterien sind streng: Nicht nur das Aussehen entscheidet, auch die Umgangsformen sollen erstklassig sein. Dazu werden überdurchschnittliches Allgemeinwissen, Fremdsprachenkenntnisse und Verständnis für Flugzeugtechnik erwartet.

"Das versuchst du mal"

Ingin Scupin, Jahrgang 1937, ist keine Stewardess der ersten Stunde. Als Absolventin des 25. Ausbildungskurses als Flugbegleiterin der Lufthansa darf sie sich dennoch als Vorreiterin eines damals heiß begehrten Berufsstands fühlen. 1960 war das. Die Lufthansa AG der Nachkriegszeit, so wie man sie heute kennt, ist da gerade mal sechs Jahre alt. Ihren ersten Linienflug absolviert die neue Airline, die keine Rechtsnachfolgerin der alten Gesellschaft aus den 20er- und 30er-Jahren war, am 1. April 1955. Scupin ist zu dieser Zeit eine unternehmungslustige junge Frau, die noch nicht so recht weiß, wohin sie das Leben führen wird.

Als der Vater stirbt, muss sie aus finanziellen Gründen das Studium in Heidelberg abbrechen. Es folgt die Fremdsprachenschule in Hamburg bis zum Examen, danach ein halbes Jahr als Lektorin bei einem Verlag in Hamburg. Aber: "Ich fand das tödlich langweilig. Ein Schreibtischmensch war ich einfach nicht". Als kurz darauf ihr Bruder von einer Bekannten erzählt, die sich bei der Lufthansa beworben hat, kommt ihr die Idee, die ihr Leben ändert: "Das versuchst du mal." Die verlangten zwei Fremdsprachen waren kein Problem und der mündliche Aufnahmetest auch nicht. Es folgten sieben Wochen Lehrgang, zusammen mit gut 20 anderen angehenden Stewardessen und einer Handvoll männlicher Kollegen. Was man lernen musste? "Meine Brüder, die beide Piloten waren, haben sich kaputtgelacht. Aber ich musste erst mal begreifen, wie ein Flugmotor funktioniert, vermutlich, damit man einen ängstlichen Passagier beruhigen und ihm sagen kann, das und das Geräusch ist ganz normal und solche Sachen. Auch in Psychologie der Passagiere wurden wir unterrichtet. Was passiert, wenn einer durchdreht, Panik bekommt?"

Laufen wie die Weltmeister

Selbst erlebt hat sie das später nicht. im Gegenteil: "Ich hatte immer nette Passagiere, so nett, dass mir manche ein Stofftier order irgendwas anders beim Aussteigen geschenkt haben, als Dankeschön." Auch der Umgang mit der Bordapotheke war im Lehrgang wichtig, und natürlich mussten Flugbegleiter mit den Sicherheitsbestimmungen vertraut sein.

Ausgebildet wurde Scupin zunächst für die zweimotorige Convair 340, ein recht behäbiger Brummer (Reisegeschwindigkeit 457 km/h, Länge: 24,13 Meter, Spannweite 32,12 Meter; Besatzung: zwei Piloten, zwei Flugbegleiter, Dienstgipfelhöhe 7200 m), in dem 44 Passagiere in elf Sitzreihen Platz fanden. Zwei Türen mit eingebauter Treppenanlage verringerten die Abhängigkeit von Bodeneinrichtungen und beschleunigten das Aus- und Einsteigen.

"Damals haben wir zwischen Hamburg und Hannover ein warmes Essen serviert", erinnert sich Ingin Scupin, "in Porzellanschalen. Es gab ja noch keinen Servierwagen wie heute. Ich begrüßte die Passagiere in hohen Absätzen, legte die anschließend in die Ecke und wir zogen dann, wie wir sagten, die Spikes an, also die flachen Absätze. Und dann sind wir gelaufen wie die Weltmeister. Ich habe heute noch eine sehr kräftige Hand- und Armmuskulatur von den schweren Tabletts, die wir hin- und hertragen mussten."

"Wir hatten noch Zeit, uns an den Zielorten umzuschauen"

Auf den Fotos in Scupins Album aus dieser Zeit sieht man viel blondes Haar und ein schüchternes Lächeln. "Wie ein Baby Face" sagt sie heute und lacht. Doch mit den größeren Maschinen wurde auch die Arbeit anstrengender. Auf die Convair folgte die Vickers Viscount (vier Motoren, Reisegeschwindigkeit 584 km/h, Dienstgipfelhöhe 7620 m) für dann schon 75 Passagiere. Und danach die vierstrahlige Boeing 707. Mit den Flugzeugen änderten sich auch die Ziele: erst innerdeutsch, dann Kopenhagen und Helsinki, noch später Rom, Istanbul, oder Madrid. Und mit der Boeing schließlich Nah- und Fernost - "unter anderem ins damals noch wunderschöne, unzerstörte Beirut. Und wir hatten noch Zeit, uns an den Zielorten umzuschauen."

Ein Traumberuf also, wie das Vorurteil es will? "Als das habe ich es nie empfunden," schränkt Scupin ein, "auch wenn ich sehr gerne Stewardess war." Denn Druck gab es auch. "Immer musste man darauf achten, dass eine eventuell mitfliegende Check-Stewardess einen nicht bei einer Nachlässigkeit ertappte. Da wurde dann benotet und kritisiert. Eine strenge Kontrolle, wie sich Ingin Scupin erinnert. "Entsprechend haben wir uns bemüht." Und dann das Aufstehen. "Ich war ja Langschläfer, aber wir mussten natürlich oft früh raus, manchmal nachts um zwei, drei Uhr. Oder wenn man morgens um sechs in Frankfurt startete, hatten wir schon zwei oder drei Stunden früher zum Briefing da zu sein und alles an Bord vorzubereiten."

Jeder hatte Anzug und Krawatte an

Überhaupt ging es dort weit weniger leger zu, als heute. Das galt nicht zuletzt für die Fluggäste. "Angezogen waren alle vorbildlich", erzählt die Ex-Stewardess. "Jeder, der an Bord kam, hatte Anzug an und Krawatte um, in der ersten Klasse sowieso." Auch das Verhalten habe sich verändert, sagt Scupin. "Die Fluggäste waren damals respektvoller, dankbarer, weniger anspruchsvoll. Wenn man inzwischen die Mitreisenden so anschaut, nun ja." Damals seien Stewardessen auch angesehen gewesen, weil der Beruf noch so selten war, nicht eine massenhafte Erscheinung wie heutzutage. Vielleicht, so fällt einem ein, nennt sie der Volksmund deshalb mitunter respektlos Saftschubsen. Trotzdem beneidet die ehemalige Stewardess ihre Kolleginnen von heute: Früher durften wir keine langen Haare tragen, oder keine Knoten, da sind die Freiheiten jetzt viel größer, auch was die Kleiderordnung angeht. Und es sind viele ältere Frauen dabei, das war bei uns noch nicht so."

Gar nicht so sehr verändert hat sich dagegen der Verdienst. Scupin meint sich an 2500 Mark zu erinnern, die sie seinerzeit bekam, zuzüglich Spesen für die freien Tage im Ausland. Heute gibt die Lufthansa das Einstiegsgehalt für Flugbegleiterinnen nach einem dreimonatigen Lehrgang mit knapp 1400 Euro an - plus eine steuerfreie Schichtzulage von 16,3 Prozent. Und Einstiegshürden gibt es natürlich immer noch, zum Beispiel eine abgeschlossene Berufsausbildung, eine Mindestgröße von 1,60 Meter und ein "angemessenes Körpergewicht", eine akzeptable Sehschärfe und keine sichtbaren Tattoos oder Piercings.

An ihre Zeit in der Luft erinnert sich Ingin Scupin gern. "Als mein Mann fragte, wie ist das denn nun sei mit heiraten, da war ich erst gar nicht geneigt, den Beruf an den Nagel zu hängen. Sie tat es dann doch, auch weil Kinder kamen. "Ich war nur drei Jahre Stewardess, aber diese Zeit war so verführerisch, dass man meinte, das Leben müsse immer so weitergehen."

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