Verkehr der Zukunft:Wann es fliegende Autos geben wird

PAV von MyCopter

So oder so ähnlich könnte ein "Personal Air Vehicle" laut Experten aussehen.

(Foto: Gareth Padfield/MyCopter)

Immer wieder stellen Erfinder fliegende Autos vor, angeblich kurz vor der Serienreife. Individuelle Fluggeräte sind tatsächlich realistisch - allerdings mit völlig anderer Technik. Wegbereiter könnten ausgerechnet Autokonzerne sein.

Von Thomas Harloff

Wenn sich allmorgendlich die Blechkarawane über die Straßen wälzt, würde so mancher Autofahrer sicher am liebsten in die Luft gehen. Am liebsten wohl als Pilot eines Fluggerätes: Einfach ein paar Knöpfe drücken, Rotoren oder Flügel ausklappen und ohne lästige Staus, Ampeln oder Kurven direkt zur Arbeit fliegen. Und abends wieder zurück, um mehr Zeit für Familie, Freunde oder Hobbys zu haben.

"Das war auch immer mein Traum", sagt Heinrich Bülthoff. Der Wissenschaftler ist Professor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen und hat in den vergangenen vier Jahren erforscht, wie die Science-Fiction-Vision von diesen Fluggeräten für jedermann Wirklichkeit werden könnte. Zusammen mit einigen Partnern (das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR, die Universität Liverpool, das Karlsruher Institut für Technik (KIT) sowie zwei Schweizer Hochschulen in Lausanne und Zürich) entwickelte Bülthoffs Team mit dem Projekt "MyCopter" ein sehr konkretes Szenario, unter welchen Rahmenbedingungen der Luftraum zur Straße werden könnte.

Eher ein Hubschrauber als ein Flugzeug

Die Probleme, die es noch zu lösen gilt, sind demnach nicht technischer Natur. Viele der benötigten Technologien sind schon vorhanden oder zumindest auf den Weg gebracht. Sie liegen eher woanders. Zum Beispiel in der Frage, wie aus einem Autofahrer ein sicherer Pilot wird. Eine aufwändig zu erwerbende Lizenz ist laut Bülthoff nicht die Lösung. "Das darf nicht schwieriger sein als ein Autoführerschein", fordert der Experte.

Deshalb stellen er und seine Kollegen sich ein "Personal Air Vehicle" (PAV) vor, ein persönliches Luftfahrzeug. Dieses PAV wäre einem Hubschrauber ähnlicher als einem Flugzeug, könnte also vertikal starten und landen. Alle Funktionen würden weitgehend automatisiert ablaufen. "Man könnte einen Hubschrauber so fliegen, wie man ein Auto fährt - mit Lenkrad, Gas- und Bremspedal", sagt der Experte. In einem von Liverpooler Forschern und dem DLR entwickelten Simulator-Cockpit, das dem Interieur eines Autos sehr ähnlich ist, sei das normalen Autofahrern nach etwa fünf Stunden Eingewöhnung bereits gelungen.

Im Windschatten der Autoindustrie

In puncto Automatisierung freut sich Bülthoff über die Fortschritte in der Autoindustrie, in der das selbständige Fahren derzeit eines der beherrschenden Zukunftsthemen ist. Dort erlangen gerade besonders fortschrittliche Sensortechnologien und Kameras sowie Bildverarbeitungssysteme Serienreife. Auch bei der Bord-zu-Bord-Kommunikation, also dem automatischen Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen, ist die Autoindustrie schon sehr weit.

Das alles könnte nicht nur die Seh- und Denkleistung von Autofahrern, sondern auch von Hobbypiloten unterstützen oder gar ersetzen. Bülthoffs Schweizer Partner entwickelten bereits Computersysteme, deren Algorithmen Unfälle vermeiden oder im Notfall einen geeigneten Landeplatz finden. Das funktioniere im Simulator schon sehr gut, sagt Bülthoff. Dennoch brauche es redundante Systeme, um Sicherheit zu gewährleisten - beispielsweise durch zusätzliche Rotoren, damit der Ausfall eines einzelnen Antriebs nicht zur Katastrophe führt.

Der Platz ist begrenzt

Das Cockpit eines PAV.

Gesteuert wird das PAV per Lenkrad sowie Gas- und Bremspedal. Nur die Instrumente sind komplizierter als im Auto.

(Foto: myCopter.eu/Marek Kruszewski)

Dass sich wohl eher Hubschrauber für jedermann als fliegende Autos durchsetzen werden, hat noch einen weiteren Grund: Sie lassen sich besser in die bestehenden Verkehrssysteme integrieren. "Die Geräte von Terrafugia oder Aeromobil brauchen eine Landebahn und somit eine Infrastruktur an Flugplätzen" sagt Bülthoff. Was in ländlichen Gegenden noch machbar wäre, ist in Ballungsräumen undenkbar.

Doch unabhängig von den Maschinen bedarf es eines Systems, das einen sicheren und reibungslosen Flugverkehr gewährleistet. Als Anhaltspunkt könnte das bestehende Straßennetz dienen, entlang dessen sich die Fluggeräte bewegen würden. Prädestiniert wäre der unkontrollierte Flugraum bis etwa 500 Meter über dem Boden, also jener Bereich, der nicht von der Luftverkehrskontrolle überwacht wird. Miteinander kommunizierende PAVs würden Kollisionen verhindern, und sollte der Pilot ein wildes Flugmanöver beabsichtigen, würde ihn die Automatik überstimmen.

Viel Lärm und wenig Energie

Und wie sieht es mit der Umwelt und dem entstehenden Lärm aus? Eins scheint klar: Um die Umwelt nicht unzumutbar zu belasten, sollten die Maschinen elektrisch angetrieben werden. Das bedingt jedoch Batterien, die deutlich leistungsfähiger sind als heute. So kann der Volocopter der Karlsruher Firma e-volo, der als Zwei-Personen-Hubschrauber mit Elektroantrieb Bülthoffs Vision schon recht nahe kommt, nur 20 bis 30 Minuten in der Luft bleiben, bevor den Akkus die elektrische Energie ausgeht. Auch die Lärmproblematik wird nicht leicht zu lösen sein. "Zwar gibt es in der Hubschrauberentwicklung aktuell große Fortschritte, aber den Lärm wird man bei einem senkrecht startenden und landenden Fluggerät nicht wegkriegen", sagt Bülthoff. Zudem erwartet er eine deutlich größere Wetterabhängigkeit als bei einem Auto. Nebel und dichtes Schneetreiben wären ein zu großes Sicherheitsrisiko.

Realistisch ist individueller Verkehr per Fluggerät erst - wenn überhaupt - mit dem nötigen Budget. Schließlich veranschlagen die Entwickler der aktuell existierenden Prototypen fliegender Autos zwischen 200 000 und 300 000 Euro für ein serienreifes Produkt. In ähnlichen Preisregionen erwartet Bülthoff ein PAV nach seinen Vorstellungen - allerdings nur, solange die Absatzzahlen niedrig bleiben. "Sobald die Stückzahlen wachsen, sind Preise im Mittelklassebereich denkbar", sagt der Wissenschaftler. Bis es so weit ist, seien Shuttle-Angebote, Air Taxis oder Luftbusse denkbar. Landeplätze gäbe es an Orten, an denen man in andere Verkehrsmittel umsteigen kann. Und Modelle analog zum Carsharing, das sich bei Autofahrern, die kein eigenes Fahrzeug besitzen möchten, schon heute immer stärker durchsetzt.

Gesetzliche Probleme

Doch wann genau wird es kommen, das Fluggerät für jedermann, das das Auto ersetzt? "Das ist natürlich die Frage, die am schwersten zu beantworten ist", sagt Bülthoff. Dennoch macht er in Bezug auf die Zukunftsaussichten der individuellen Fortbewegung in der Luft einen optimistischeren Eindruck als andere Experten. "Es handelt sich eher um einen Traum", sagt Stefan Levedag vom DLR-Institut für Flugsystemtechnik der dpa. "Wir sind hier ganz am Anfang." Zu viele Fragen seien noch offen, vor allem in gesetzlicher und juristischer Hinsicht. Das zentrale Problem: Wer haftet bei einem Unfall, den die Technik nicht verhindern konnte? Der Pilot oder gar der Hersteller des Flug- oder Fahrzeuges? Auch hier hoffen die Experten auf die Autoindustrie, die solche Fragen im Zuge des automatisierten Fahrens bereits zuvor klären könnte.

Autos, die auch fliegen können wie die Prototypen von Terrafugia oder Aeromobil sind jedenfalls nicht die Zukunft, da sind sich die Experten einig. Sie seien extrem teuer, nicht besonders praktisch sowie "grottenschlechte Autos und noch viel schlechtere Flugzeuge", sagt Levedag. Aber was, wenn sich die großen Autokonzerne in die Entwicklung einschalten würden? Bülthoff ist da skeptisch: "Alle Autos haben einen Motor, vier Räder, Lenkrad, Gaspedal und Bremse. Das ist auch nicht anders als das, was wir ganz am Anfang hatten." Es brauche mehr Blicke über den Tellerrand, dafür weniger Trägheit bei Entscheidungen. Doch wer könnte seine Vision dann Realität werden lassen? "Ich denke da an Elon Musk (Gründer des Elektroautoherstellers Tesla Motors, d. Red.) oder Google. Die sind einfach offener für radikale Ideen."

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