Schutz für Fußgänger:80 Prozent gehen bei Rot über die Gleise

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Achtung Bahn, bitte stehen bleiben: In Köln zeigen Bodenampeln, ob sich eine Straßenbahn nähert. (Foto: picture alliance / dpa)
  • Mit Bodenampeln versuchen die Verkehrsbehörden in Köln und Augsburg, die Zahl überfahrener Fußgänger einzudämmen.
  • Dabei handelt es sich um mehrere kreisrunde LED-Lichter, die in den Bürgersteig eingelassen werden, als zusätzliches Warnelement im Boden.
  • Doch die Zahlen eines Forschungsinstituts zeigen nun, dass diese "Bompeln" nichts bringen - zumindest aus statistischer Sicht.

Von Steve Przybilla

Am Rautenstrauch-Kanal in Köln ist viel los. Eine Entenfamilie tapst über das Gras, links und rechts schwitzen Jogger, dazwischen schlängeln sich Radfahrer, Rollator-Benutzer und Hunde durch. Und eine Straßenbahn, die die Spaziermeile vom nahe gelegenen Stadtwald trennt. Die Verlockung ist groß, hier einfach drüberzugehen, und manche Fußgänger zahlen dafür einen hohen Preis: Fast jedes Jahr werden in Köln mehrere Menschen tödlich verletzt, wenn sie ein Straßenbahngleis überqueren. Im Rheinland gilt die Quote der "Rotläufer" als besonders hoch.

All das sollte sich durch ein neues Lichtsignal ändern, die sogenannte Bodenampel. Dabei handelt es sich um mehrere kreisrunde LED-Lichter, die in den Bürgersteig eingelassen werden. Sie dienen - neben der traditionellen Ampel - als zusätzliches Warnelement auf dem Boden. Nähert sich eine Straßenbahn, blinken die Leuchten zusätzlich. Als Nebeneffekt sollen die "Bompeln", wie sie auch genannt werden, auch noch den Smartphone-Nutzern entgegenleuchten. Immerhin starren viele von ihnen gedankenverloren auf ihre Displays, und damit nach unten.

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Die Bodenampeln sind ein neues Instrument, in das Unfall- und Verkehrsforscher in aller Welt große Hoffnungen setzen. Immerhin beschäftigen sich Fachleute seit Langem mit der Frage, wie sich notorische Rotläufer zu pflichtbewussten Rotstehern umerziehen lassen. Die Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) haben in den vergangenen Jahren ihre Haltestellen und Gleisüberquerungen regelrecht aufgerüstet: Piktogramme, Markierungen, Andreaskreuze, Noppen, Drängel- und Randgitter sollen die Aufmerksamkeit von Fußgängern und Radfahrern erhöhen. Und nun auch noch die Bodenampeln.

Gebracht hat all das bislang kaum etwas, wie ein Bericht des Forschungsinstituts Stuva zeigt. Die Wissenschaftler zählten die Zahl der Rotläufer an zwei Kölner Haltestellen - einmal vor der Installation der Bodenampeln, einmal danach. In beiden Fällen lag die Rotläuferquote bei mehr als 80 Prozent. "Wir konnten keine Wirksamkeit feststellen", sagt Stuva-Bereichsleiter Dirk Boenke. An einer Stelle seien sogar mehr Personen über Rot gegangen als vor der Installation der blinkenden Bodenleuchten. Bei der anschließenden Befragung gaben die Fußgänger an, die Bodenampeln durchaus wahrgenommen zu haben. "Manche sagten, sie gingen deshalb vorsichtiger über die Gleise", berichtet Boenke. "Aber dieser Eindruck ist natürlich subjektiv."

"Wir hatten uns mehr erhofft"

Auch Michael Schreckenberg, Professor für Transport und Verkehr an der Universität Duisburg-Essen, ist skeptisch. "Ich habe von Anfang an vermutet, dass das nichts bringt", sagt Schreckenberg. Die Menschen seien schon jetzt von optischen Reizen überflutet. "Überall blinkt es und leuchtet es." Da mache ein kleines Licht im Boden auch keinen großen Unterschied mehr. Für Smartphone-Nutzer schlägt der Verkehrsexperte eine "direkte Rückmeldung auf dem Gerät" vor, also eine Textnachricht, die dazu auffordert, stehen zu bleiben. Wie das technisch (und rechtlich) funktionieren könnte, weiß allerdings auch Schreckenberg nicht. "Vielleicht wären akustische Signale noch eine Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Wenn die Bahn losfährt, könnte eine Warnung aus dem Lautsprecher kommen."

Die Kritik an den Bodenampeln ist bei den Verantwortlichen inzwischen angekommen. "Wir hatten uns mehr erhofft", räumt Patric Stieler ein. Der Amtsleiter für Verkehrsmanagement in Köln spricht von "allerlei Gimmicks", die die Industrie immer wieder an seine Behörde herantrage - von Zebrastreifen in 3D-Optik bis hin zu Bodenampeln. "Vieles davon ist am Ende Spielerei", findet Stieler. Natürlich könne man die technische Aufrüstung nicht ins Unendliche treiben. "Aber wir mussten etwas tun. Jeder Tote ist einer zu viel." So sieht es auch die Kölner Polizei, die zwar keine eigenen Daten zur Wirksamkeit der Bodenampeln erhoben hat. Man unterstütze aber generell "jede Maßnahme, die der Verkehrssicherheit dient", heißt es in einer Erklärung.

Bislang hat die Stadtverwaltung in Köln nach eigenen Angaben etwa 75 000 Euro für die Bodenampeln an stadtweit drei Gleisübergängen ausgegeben. Nach dem gescheiterten Versuch sollen nun keine weiteren mehr hinzukommen. Die Bestehenden dürfen aber im Boden bleiben, solange die Kreuzungen nicht umgebaut werden. "Wir haben außerdem noch einmal die Rot-Zeiten optimiert", ergänzt Stieler. "Wenn eine Bahn durchgefahren ist, können Fußgänger direkt weitergehen. Bleibt die Ampel trotzdem auf Rot, heißt das, dass eine weitere Bahn aus einer anderen Richtung kommt."

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Doch es gibt noch eine weitere Idee, wie man Fußgänger zum Anhalten motivieren kann: hellere Ampeln. An fast allen Stadtbahn-Haltestellen haben die Kölner Verkehrsbetriebe die Schablonen der Fußgänger-Ampeln mittlerweile umgedreht. Das Männchen leuchtet also nicht mehr Rot auf schwarzem Hintergrund, sondern umgekehrt. Ein knalliger roter Hintergrund beleuchtet nun ein schwarzes Männchen. Außerdem ist der Durchmesser der Schablonen größer - und es gibt an allen Ampeln gleich zwei davon. Diese simple Methode scheint erfolgreicher zu sein als alle Bodenampeln. Bei einer weiteren Untersuchung ermittelten die Stuva-Wissenschaftler, dass die Zahl der Rotläufer von 86 Prozent auf 58 Prozent an der entsprechenden Stelle zurückging.

"Die Wartebereitschaft war deutlich höher", sagt Stuva-Forscher Boenke - und das bei einem relativ geringen finanziellen Aufwand. Boenke vermutet, dass es bei zusätzlichen Warnsignalen auf die richtige Dosierung ankommt. "Wenn es überall blinkt und klingelt, haben wir zu viel Kirmes." Die umgedrehten Ampelschablonen seien hingegen gut sichtbar und selbsterklärend. "Wer die übersieht, geht ganz bewusst über Rot. Da nützt auch die beste Technik nichts mehr."

"Es gibt leider keine Patentlösung"

Bleibt die Frage, ob sich die Ergebnisse auf andere Städte übertragen lassen. In Augsburg wurden im Jahr 2016 ebenfalls Bodenampeln installiert. Laut Stadtwerke-Sprecher Jürgen Fergg sind diese an zwei Straßenbahn-Übergängen noch immer im Einsatz. Die Ergebnisse dort decken sich weitgehend mit denen in Köln: "Die Menschen sind aufmerksamer", sagt Fergg, "aber sie gehen trotzdem bei Rot über die Gleise." Eine wissenschaftliche Begleitung gab es in Augsburg nicht; trotzdem sollen keine weiteren Bodenampeln mehr hinzukommen. "An anderen Stellen sehen wir derzeit keinen Bedarf dafür", sagt Fergg.

Der Fußgänger-Schutzverein Fuss e.V. hält sich mit klaren Forderungen zurück. "Es gibt leider keine Patentlösung", meint dessen Geschäftsführer Stefan Lieb. Er persönlich halte die umgedrehten Signalschablonen an den Kölner Ampeln für "eine gute Idee, die einen Versuch wert ist". Dass das Risiko durch abgelenkte Smartphone-Nutzer insgesamt zunimmt, glaubt Lieb unterdessen nicht. "Unfälle mit Fußgängern, die nicht auf die Fahrbahn achten, sind in den letzten Jahren stark zurückgegangen." Das Problem mit den sogenannten Smombies (das steht für "Smartphone-Zombies") erscheine ihm dann doch "arg übertrieben".

© SZ vom 19.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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