Nikolaus Schües möchte die Welt retten. Oder zumindest verbessern. Vielleicht nagt an dem 81-jährigen Hamburger, der ein Vermögen im Schiffbau gemacht hat, ja auch ein wenig das schlechte Gewissen. "Auf unseren Schiffen verbrennen wir Schweröl, den schmutzigsten aller Brennstoffe", räumt der Reeder unumwunden ein. Bis zur Umstellung auf umweltfreundliche Antriebe werde es noch eine ganze Weile dauern. "Deshalb wollte ich privat ein Zeichen setzen und mit gutem Beispiel vorangehen."
Schües' gute Tat: Der Reeder fährt Auto. Wenn er aufs Gaspedal seines Toyota Mirai tritt, fließt Wasserstoff durch den Tank. "Das ist der Antrieb der Zukunft", glaubt Schües, "und ein günstiger noch obendrein." Zwar räumt er ein, dass die Umwandlung des Rohstoffs nach wie vor viel Energie frisst - die dann doch zum Teil aus Kohlekraftwerken stammt. Aber: "Das wird sich bald ändern. Wasserstoff wird grün sein in Zukunft." Ganz objektiv ist Schües bei dieser Einschätzung jedoch nicht. Er war jahrelang Vorsitzender der Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg, die den Einsatz des Gases vorantreibt.
Noch stellen Wasserstoff-Fahrzeuge in Deutschland die große Ausnahme dar. Schon E-Autos sieht man hierzulande nur äußerst selten. Zwar möchte die Bundesregierung bis zum Jahr 2020 eine Million Stromer auf den Straßen sehen - aktuell waren es nach Angaben des Kraftfahrtbundesamts mit Stand Januar 2017 aber gerade einmal knapp über 34 000 Fahrzeuge. Doch im Vergleich zu den rund 300 in Deutschland zugelassenen Brennstoffzellen-Autos ist selbst das eine ordentliche Zahl. Sie tauchen in der offiziellen Statistik nicht einmal auf.
Was bisher im Verkehrssektor existiert, sind allenfalls Vorzeige-Projekte, beispielsweise der Brennstoffzellen-Zug "Coradia iLint", der vom Jahr 2018 an in Niedersachen rollen soll. Oder die "Raststätte der Zukunft" in Fürholzen bei München, an der unter anderem Wasserstoff angeboten wird. "Es ist das Henne-Ei-Problem", klagt Schües. "Wenn das Angebot da wäre, würden deutlich mehr Leute umsteigen. Deshalb brauchen wir so schnell wie möglich eintausend Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland."
Hamburg will seine komplette Nahverkehrsflotte umstellen
In Hamburg lebt Schües diesbezüglich im Luxus. In der selbst ernannten "Wasserstoff-City" bieten gleich vier Tankstellen den Treibstoff an. Eine fünfte ist in Planung - und das bei nur 50 Fahrzeugen, die in der Hansestadt das Gas als Antriebsquelle nutzen. Eine teure Überversorgung? Das sieht Heinrich Klingenberg anders. Er leitet die HySolutions GmbH, ein im Jahr 2005 gegründetes Unternehmen, in dem sich staatliche und private Akteure zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: In Zukunft soll der gesamte öffentliche Nahverkehr der Hansestadt emissionsfrei fahren, möglichst mit Wasserstoff. Auch bei den 3500 in Hamburg zugelassenen Taxen sehen sie viel Potenzial.
"In Schleswig-Holstein hatten wir letztes Jahr einen Windenergie-Überschuss im Wert von 500 Millionen Euro", sagt Klingenberg. "Die sind verloren, wenn man sie nicht sinnvoll speichert." Rund 200 000 Wasserstoff-Fahrzeuge pro Jahr könne man allein mit der überschüssigen Windenergie betreiben, beteuert der Geschäftsführer. Noch sieht die Realität allerdings auch in Hamburg anders aus. Etwa die Hälfte des Wasserstoffs wird dort noch mithilfe von konventionellem Strom produziert, räumt Klingenberg ein. Trotzdem sieht er das Wasserstoffauto im Vergleich zum Stromer klar im Vorteil. "Weil die Reichweite deutlich länger ist. Und weil sich Wasserstoff schnell nachtanken lässt, genau wie Benzin."
Wie das funktioniert, lässt sich am gleichen Abend in der Hafen-City beobachten. In Sichtweite des Spiegel-Verlagsgebäudes hält Jamal Anis, 31, mit seinem Auto an der vollautomatischen Wasserstoff-Tankstelle. Er fährt ebenfalls einen Toyota Mirai - eine große Auswahl an Wasserstoffautos bietet der Markt derzeit noch nicht. Dafür läuft der Tankvorgang denkbar einfach: Kundenkarte an den Automaten halten, Zapfsäule in die Hand, Knopf drücken - schon fließt der Treibstoff mit einem leisen Zischen in den Tank. "Damit komme ich etwa 400 Kilometer weit", erklärt der Fahrer. Wenn er aufs Gaspedal tritt, ist kein röhrender Motor zu hören, denn ein solches Bauteil existiert beim Mirai nicht. Ebenso wenig wie schmutziges Abgas. Aus seinem Auspuff emittiert der Wagen lediglich Wasserdampf.
Privat besitzt Anis das Öko-Auto nicht. Er chauffiert vielmehr Kunden von A nach B, die ihn mithilfe einer App bestellen. Clever-Shuttle, so der Name des Fahrdienstes, für den Anis arbeitet, ist gewissermaßen die deutsche Antwort auf Uber. Wenn Kunden eine Fahrt buchen, können sie schon vorab bezahlen und ihre Musikwünsche über eine Smartphone-App schicken. Doch nicht nur das Geschäftsmodell ist modern, sondern auch das Auto selbst. Im Cockpit funkelt ein blaues Display, das den Antrieb schematisch darstellt. H₂, O₂, H₂O - alles ist über blau-weiße Linien miteinander verbunden. So sieht es also aus, wenn Wasserstoff mithilfe von Brennstoffzellen zu Energie umgewandelt wird.
"In Hamburg ist die Versorgung mit Wasserstoff sehr gut"
Um 18.30 Uhr steigt die erste Kundin ein, eine Studentin aus Berlin. "Richtig cool" findet sie den Antrieb, der für sie der Grund gewesen sei, sich kein reguläres Taxi zu rufen. Bei denen wisse man schließlich nie, ob sie umweltfreundlich unterwegs seien. "Ich glaube, dass solche Dinge für unsere Generation immer wichtiger werden", bemerkt die 27-Jährige, woraufhin sich der Fahrer einmischt. "Es gibt aber auch ältere Menschen, die uns nutzen. Unser ältester Stammkunde ist 79 Jahre alt. Sein Sohn hat ihm gezeigt, wie die App funktioniert."
Die Clever-Shuttles verkehren aktuell in vier deutschen Großstädten, wobei nur in Hamburg Wasserstoff-Autos zum Einsatz kommen. "Wir wollen uns auf jeden Fall emissionsfrei bewegen", sagt Geschäftsführer Bruno Ginnuth. "Wir evaluieren zurzeit, ob Elektro- oder Wasserstoffautos besser zu uns passen." Die wichtigsten Vor- und Nachteile sind aber schon heute klar: Wasserstoff-Fahrzeuge bieten eine deutlich größere Reichweite, während Elektroautos auf ein besseres Ladesäulen-Netz zurückgreifen können. "In Hamburg ist die Versorgung mit Wasserstoff sehr gut", sagt Ginnuth. In München sei es schwieriger. "Da gibt es zwar Tankstellen, aber die sind häufig mal defekt. Oder der Wasserstoff ist alle."
Die Leasingrate für den Mirai: 1400 Euro im Monat
Auch beim Preis zeigen sich momentan noch deutliche Unterschiede. Laut Ginnuth kostet der Strom für 100 Kilometer im E-Auto derzeit etwa 2,60 Euro. Für dieselbe Strecke mit Wasserstoff fielen Kosten zwischen acht und zehn Euro an. "Das wird sich aber wahrscheinlich noch angleichen", schätzt Ginnuth. "Die Preise für Ökostrom werden weiter sinken."
Darauf setzt auch das sogenannte "Hydrogen Council", ein Zusammenschluss von 18 Weltkonzernen aus der Automobil- und Energieindustrie, die den Einsatz von Wasserstoff vorantreiben wollen. Auf dem Weltklimagipfel in Bonn präsentierte das Bündnis eine Studie, wonach im Jahre 2030 etwa jedes zwölfte verkaufte Auto in Kalifornien, Deutschland, Japan und Südkorea mit Wasserstoff angetrieben werden könnte - sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Doch genau da liegt der Knackpunkt. Bis 2030 müssten weltweit geschätzt 280 Milliarden US-Dollar investiert werden, damit sich der Brennstoff durchsetzt. Das klingt viel, lässt sich aber relativieren: Laut Hydrogen Council liegen die weltweiten Investitionen in Öl und Gas jedes Jahr bei 650 Milliarden Dollar.
Angebot, Nachfrage, Preis - es gibt viele Variablen, die darüber entscheiden, ob Wasserstoff eine Chance hat. Nikolaus Schües, der Hamburger Reeder mit Öko-Ambitionen, möchte seinen Toyota Mirai jedenfalls nicht mehr missen. "Sicher, er ist etwas klein, wenn man eine S-Klasse gewohnt ist", sagt der Wasserstoff-Fan. "Aber sonst läuft er, ohne zu mucken." Erwähnt sei an dieser Stelle, dass Schües zusätzlich einen Benziner in der Garage stehen hat, den er für Fahrten jenseits der Stadtgrenzen nutzt. Also für Fahrten in all jene Gegenden, in denen die Wasserstoffversorgung noch lückenhaft ist. Auch der Preis seines H₂-Autos dürfte den meisten Pkw-Haltern die Sprache verschlagen: Den Mirai hat der Reeder Schües für 1400 Euro geleast. Pro Monat.