Fahrräder mit Elektro-Antrieb:Immer beliebter - und umstrittener

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Ein klassisches E-Bike der Pedelec-Kategorie: Tourenrad mit Elektromotor und Batterie. (Foto: Flyer/pd-f.de)

E-Bikes liegen im Trend, das Angebot wird vielfältiger. Doch je mehr Fahrräder mit Elektromotor verkauft werden, umso größer werden die Konflikte - vor allem mit anderen Radlern und Naturschützern.

Von Marco Völklein

"Man hört die Dinger bevor man sie sieht", sagt Holger Köhler und lächelt dabei ein wenig verächtlich. Ist ja auch irgendwie nachvollziehbar: Wer von einem E-Bike überholt wird, vernimmt zunächst das surrende Schnarren des Elektromotors, bevor der Pedaleur dann an einem vorbeizieht. Als aber Köhler, ein sportlicher Mittvierziger aus dem Münchner Umland, vor Kurzem am Kloster Schäftlarn aus dem Isartal rauf in den Ort pedalierte und mal wieder dieses Surren hinter sich vernahm, staunte er doch: Was da an ihm vorbeizog, war kein klobiges Tourenrad mit E-Motor in der Radnabe. Sondern ein rassiges Rennrad.

Tatsächlich macht sich die Zweiradbranche derzeit offenbar daran, auch noch die letzte Nische des weitverzweigten Fahrradmarktes für den elektrischen Unterstützer zu öffnen: die der Rennräder. Hersteller Haibike zum Beispiel hat ein knapp 19 Kilogramm schweres Trumm namens Xduro Race im Angebot. Mit dem treiben auch wenig Trainierte die Tachoanzeige in Bereiche, die sonst den Profis bei der Tour de France vorbehalten sind.

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"Das ist doch kein Sportgerät"

Es handelt sich dabei um ein S-Pedelec, also einen bis zu 45 Stundenkilometer schnellen Flitzer mit Elektro-Unterstützung. Unter dem Sattel ist ein Versicherungskennzeichen montiert. Und auf dem Unterrohr klemmt ein klobiger Kasten, der Akku, der wiederum den im Tretlager verbauten Mittelmotor speist. Für Rennradpuristen wie Köhler ist das Xduro ein Sakrileg. "Das ist doch kein Sportgerät." Für viele Pendler indes, vielleicht sogar ausgerüstet mit Schutzblechen und Gepäckträger, kann das Rad durchaus von Interesse sein.

Die Zahl der bundesweit verkauften Pedelecs, S-Pedelecs und E-Bikes steigt stetig an: Wurden 2008 noch gut 110 000 Räder mit eingebautem Rückenwind abgesetzt, stieg die Zahl auf 480 000 im Jahr 2014, wie Daten des Zweirad-Industrieverbands (ZIV) zeigen. Und die Branche setzt darauf, dass dieser Trend weiter anhält. Mittelfristig wollen die Hersteller etwa 600 000 E-Fahrräder pro Jahr verkaufen - das wäre ein Marktanteil von gut 15 Prozent. Auch wenn E-Bikes 500 bis 2000 Euro mehr kosten als vergleichbare Fahrräder ohne Elektroschub. Das Xduro etwa kommt in einer abgespeckten Variante auf 4700 Euro, ein Modell mit besseren Bremsen und exklusiveren Laufrädern bringt es auf knapp 8000 Euro.

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Die Modellvielfalt wird immer größer

Trotz des stolzen Preises setzen sich E-Bikes mehr und mehr durch. "Das Elektrofahrrad hat das Image des ,Schummelfahrrads' mit Reha-Touch verloren", sagt Anja Smetanin vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland (VCD). Boten die Unternehmen anfangs meist City- und Trekking-E-Bikes mit tiefem Einstieg und langem Radstand an, wird die Modellvielfalt immer größer: Mountainbikes mit Akku und E-Motor ermöglichen längere Touren und selbst steilere Anstiege lassen sich mühelos bezwingen.

Kleinunternehmer und Lieferdienste setzen auf Lastenräder mit E-Unterstützung. Liefertouren per Fahrrad können im Stadtverkehr schneller sein als mit dem Auto. Eltern lassen am Wochenende ihre Kinder in einem Fahrradanhänger Platz nehmen - und sind froh, wenn sie diesen dann dank der Zusatzenergie aus dem Akku bequemer zum Biergarten kutschieren. Und Fatbikes, eine Art Mountainbike mit besonders wuchtigen Reifen, erlauben es dem Fahrer, auch durch feinen Sand oder lockeren Schnee zu pflügen. Mit dem E-Antrieb in der Nabe oder am Tretlager sind trotz des großen Rollwiderstands damit auch längere Strecken kein Problem. Der ZIV hofft daher, mit "dem breiteren Spektrum an Produkten neue Zielgruppen" zu erschließen.

Umweltschützer setzen darauf, dass der E-Bike-Boom hilft, "den Umstieg vom Pkw im Alltag zu unterstützen", wie Anja Smetanin vom VCD sagt. Etwa jede zweite Pkw-Fahrt für Strecken unter fünf Kilometern könnte durch das Fahrrad ersetzt werden. Nach Berechnungen des Umweltbundesamts ließen sich so pro Jahr fünf Millionen Tonnen CO₂ einsparen. Ein ähnliches Potenzial sehen die Forscher auf Strecken bis zehn Kilometer Länge.

Kritiker allerdings fragen, ob sich eingefleischte Autofans davon tatsächlich überzeugen lassen. Oder ob auf lange Sicht nicht vielmehr Radler, die bisher zu 100 Prozent CO₂-frei unterwegs sind, aufs E-Rad umsteigen werden - und so indirekt über die Stromproduktion der Kohlekraftwerke doch noch zu Schadstoffemittenten werden.

Andere wiederum stören sich an den neuen Anwendungsfeldern, die innovative Modelle eröffnen. In Onlineforen schimpfen Naturliebhaber darüber, dass mit dem E-Mountainbike oder dem E-Fatbike nun auch Unsportliche auf die Berggipfel drängen - obwohl es dort eh schon eng zugehe. Doch die Industrie will sich und ihren Kunden den Spaß am E-Biking nicht nehmen lassen: "Wie jedes Pedelec fährt auch ein E-Mountainbike nicht von alleine, schon gar nicht bergauf", verteidigt Tobias Spindler vom Hersteller Riese & Müller die E-Bike-Klientel. Mit Elektrorädern könnten Leistungsunterschiede zwischen Partnern überwunden werden. Und sie könnten ein Anreiz sein für Bewegungsmuffel, sich doch mal ins Freie zu begeben.

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Beunruhigende Unfallzahlen

Und was ist mit dem Unfallrisiko? Zuletzt hatte der Versicherungskonzern Allianz Zahlen präsentiert, wonach zehn Prozent der im Jahr 2014 tödlich verunfallten Radler mit Motorunterstützung unterwegs waren (39 von 396 getöteten Radfahrern). 32 der 39 Getöteten waren 65 Jahre oder älter. Dem halten Pedelec-Fans entgegen, dass nur zwölf Prozent der 2014 in Deutschland verkauften Räder mit E-Motor ausgestattet waren. Und Senioren generell zu den Risikogruppen im Straßenverkehr zählen. Auch die Polizei konnte bislang keine erhöhte Unfallgefahr bei Pedelec-Nutzern feststellen: So verzeichnete die Münchner Polizei im vergangenen Jahr zwar 29 Unfälle mit Elektrorädern. Bei durchschnittlich 2700 Radfahrerunfällen pro Jahr mache das aber gerade einmal ein Prozent aus.

Wenngleich Radlobbyisten wie der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) oder der BUND Naturschutz davor warnen, dass die schmalen Radwege in vielen Städten nicht ausgelegt seien, noch mehr und vor allem noch schnellere Radler aufzunehmen. "Die Radverkehrsinfrastruktur ist längst am Limit", sagt Andreas Glas vom ADFC. Breitere Radwege oder - noch besser - markierte Radstreifen auf der Fahrbahn seien dringend nötig.

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Ein Fahrkurs ist empfehlenswert

Auch Andreas Gerstner, E-Bike-Experte beim TÜV Süd, ist davon überzeugt, dass es wegen der E-Bikes in Zukunft zu mehr Konflikten auf den Straßen kommen wird. Auf stark ausgelasteten, innerstädtischen Strecken "ist man jetzt schon mit 20 Stundenkilometern eigentlich zu schnell unterwegs". Pedelec-Fahrer aber schaffen 25 Stundenkilometer, S-Pedelec-Nutzer sind noch schneller unterwegs. Er rät daher zumindest E-Bike-Anfängern zu einem Kurs (etwa bei der Verkehrswacht), um sich mit den speziellen Fahreigenschaften eines Pedelecs vertraut zu machen, bevor sie damit losstromern.

Für Holger Köhler indes steht fest: An einem solchen Kurs wird er sicher nicht teilnehmen. "Ein E-Bike kommt mir nicht ins Haus", sagt er. Wenn er mit seinem Rennrad die Serpentinen raus aus dem Isartal bezwingt, "mag ich es, wenn ich Menschen schwer atmen höre". Auf surrende E-Motoren "kann ich getrost verzichten".

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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