Windenergie:Wenn ein Rotor dem anderen im Weg ist

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Visualisierte Wirbelschleppen hinter Windrädern. (Foto: David Bock / NCSA / XSEDE)

In Windparks entstehen Wirbel, die der Leistung der gesamten Anlage schaden. Mit teils kuriosen Ansätzen sollen die Verluste verringert werden - aber das birgt auch ein Risiko.

Von Christopher Schrader

Als der Hubschrauber am 25. Januar 2016 über die Nordsee vor der dänischen Stadt Esbjerg flog, lag Nebel über dem Meer. Aus der flachen weißen Schicht ragten die Turbinen des Windparks Horns Rev 2 in den blauen Himmel und strahlten im Sonnenlicht. Der Wind blies kräftig, die Blätter der Anlagen rotierten schnell. Ihre Spitzen wirbelten reichlich feuchte Luft auf, und der darin enthaltene Wasserdampf kondensierte im Windschatten der Rotoren. So bildeten sich weiße Schläuche, die wie flauschige Fäden auf einer Watteschicht lagen.

Die Bilder, welche die faszinierte Besatzung des Helikopters aufnahm, zeigen ein Phänomen, das sonst meist unsichtbar bleibt, aber den Betreibern von größeren Windparks Probleme macht: Die Turbinen in "Luv", also auf der windzugewandten Seite, erzeugen Wirbelschleppen mit komplizierten Turbulenzmustern. Diese nehmen den Windrädern, die weiter hinten stehen (in "Lee") den Wind aus den Blättern. Ein gesamter Park kann bei ungünstiger Luftströmung bis zu einem guten Drittel seiner Nennleistung verlieren, zeigen Messungen in der Anlage Horns Rev 1, ebenfalls vor Esbjerg gelegen. Im Mittel über die wechselnden Winde, Standorte und Jahre erreichen die Einbußen laut Studien 10 bis 20 Prozent.

Abstand reduziert den Effekt, bedeutet aber mehr Fläche und längere Kabel

Das Problem tritt vor allem bei großen Windparks auf, von denen inzwischen viele am Netz sind. "Es ist wie der Unterschied zwischen einzelnen Bäumen und einem Wald", sagt Joachim Peinke von der Universität Oldenburg, der dort zur Leitung des Windenergie-Zentrums Forwind gehört. "Um einzelne wenige Bäume streicht der Wind herum. Hinter den Stämmen gibt es Windschatten und Wirbel, erst in einiger Entfernung ist davon nichts mehr zu spüren. In einem Wald hingegen kann praktisch Flaute herrschen, auch wenn darum herum spürbarer Wind weht. Wie dicht die Bäume stehen, ist dabei ein wesentlicher Faktor."

Um das Problem zu entschärfen, verfolgen Wissenschaftlerinnen und Entwickler drei Strategien: Sie denken über Veränderungen an der Position der einzelnen Anlagen, am Design der Windräder sowie an der Steuerung ihrer Turbinen-Flotten nach.

Die erste Maßnahme ist die clevere Anordnung der Windräder. Dafür analysieren die Planer Wetterdaten und versuchen, damit die optimale Positionierung zu finden. An Land spielt bei der Planung auch die Beschaffenheit des Bodens eine Rolle, der den Wind nahe der Oberfläche stark bremsen kann. Stets gibt es dabei Zielkonflikte: Abstand reduziert den Effekt der Wirbelschleppen, bedeutet aber auch, dass man mehr Fläche und längere Kabel benötigt.

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Die zweite Strategie, nämlich Wirbelschleppen durch das Design der Windräder zu bändigen, hat schon zu kuriosen Ideen geführt. Von 2016 bis 2018 erprobte die dänische Firma Vestas zum Beispiel eine Anlage, bei der vier Rotoren jeweils paarweise nebeneinander an einem Mast mit Seitenarmen angeordnet waren. Sie hatten 29 Meter Durchmesser; zusammen leisteten sie so viel wie ein Rotor von 58 Meter Durchmesser. Die Wirbelschleppen, ergab eine Auswertung, zerfallen im Vergleich der beiden Designs beim Multirotor etwas schneller.

Sollten die Rotoren linksherum kreisen?

Ein Team um Antonia Englberger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrtforschung in Oberpfaffenhofen hat durchgerechnet, was passiert, wenn man die übliche Drehrichtung der Windräder auf der Nordhalbkugel umkehrt. Fast alle Windräder drehen sich zurzeit im Uhrzeigersinn, wenn man aus der Windrichtung auf sie blickt - eine willkürliche Konvention. Englbergers Computermodell warf aus, dass die Wirbelschleppen dadurch auf ungünstige Weise mit der sogenannten Corioliskraft wechselwirken. Diese entsteht durch die Drehung der Erde und drängt alles, was sich über die Oberfläche der Nordhalbkugel bewegt, nach rechts ab.

Allerdings dürfte der Effekt eines Richtungswechsels klein sein, wie das Team aus Oberbayern in seiner im November 2020 veröffentlichten Studie feststellt. Als auf der Basis eines Entwurfs zunächst Zahlen um die 20 Prozent kursierten, hatte der Industrieverband Windenergie erklärt, der Mehrertrag werde deutlich unter einem Prozent bleiben. Das würde es schwierig bis unmöglich machen, den Effekt in der Realität nachzumessen. "Was unter zwei, drei Prozent liegt, das können wir überhaupt nicht genau bestimmen, weil es in den durch Windturbulenzen verursachten zufälligen Schwankungen verschwindet", sagt der Oldenburger Wind-Experte Joachim Peinke. Aber auch wenn kein eindeutiger Nachweis möglich ist: Schon ein Prozent mehr Ertrag wäre für Betreiber sehr attraktiv.

Darum probiert die Industrie einiges aus. Für die dritte Strategie, Wirbelschleppen zu kontrollieren, bietet der Windradhersteller Siemens Gamesa eine Steuerungssoftware für Parks an, die den Ertrag um ein Prozent steigern könne. Der Betreiber fährt die Turbinen in Luv absichtlich suboptimal, lenkt damit Wirbelschleppen ab, verschafft den Anlagen in Lee besseren Wind und kann so in Summe mehr Energie erzeugen.

Eine Möglichkeit ist, das Maschinenhaus oben auf dem Mast mitsamt Rotor ein wenig aus dem Wind zu drehen. Verdreht man ein Windrad zum Beispiel um 30 Grad aus seiner optimalen Position, dann schwenkt die Wirbelschleppe um ungefähr drei Grad um.

Im Praxisversuch erzielte damit zum Beispiel ein Team um Michael Howland von der Universität Stanford einen Effekt. Es wählte einen kleinen Windpark in der kanadischen Provinz Alberta aus; dort stehen sechs Turbinen in einer Reihe. Sie fangen den tagsüber vorherrschenden Wind aus der Querrichtung gut auf, ohne sich gegenseitig zu stören. Nachts streicht der Wind aber gelegentlich längs über die Reihe, sodass die Turbinen in Lee nur noch wenig davon spüren.

Für zehn Nächte im Oktober 2018 hatte das Howland-Team die Windräder teils um 20 Grad aus der Windrichtung verdreht. Tatsächlich stieg der Ertrag ein wenig, aber da die Maßnahme statistisch nur in einer von zwölf Nächten nötig ist, könnte der Effekt in der Jahresbilanz im Promille-Bereich liegen. Es sei eben um den Nachweis gegangen, dass es im Prinzip funktioniert, sagt Howland.

Mehr Leistung heißt womöglich mehr Wartung

"Wenn ich mehr Ertrag will, muss ich mir den erkaufen. Ich bezahle hier mit einer verringerten Lebensdauer der Struktur", sagt Kai Irschik von der Firma Ocean Breeze, dem Betreiber des Offshore-Windparks Bard 1. Er liegt 90 Kilometer nördlich von Borkum in deutschen Hoheitsgewässern. Hier soll das Verdrehen der Gondeln und Rotoren demnächst bei einigen Paaren von Turbinen im Rahmen des Forschungsprojekts "YawDyn" erprobt werden. Der Versuch soll daher auch klären, ob die Strategie den Windrädern womöglich schadet, sagt Irschik: "Die Frage ist, wie groß die Reserven sind."

Ein Beispiel: Bei einem verdrehten Windrad verändert sich auch der Winkel, in dem die Luft auf die Blätter trifft - womöglich muss darum deren Anstellwinkel mit sogenannten Pitchmotoren angepasst werden. "Wenn man dort im Sekundentakt etwas ausregeln möchte, steigt die Reparaturanfälligkeit dieser Motoren", sagt Joachim Peinke.

Insgesamt, so der Oldenburger Experte, müssen sich all diese Ideen noch in der Praxis bewähren, wo schwer zu modellierende Turbulenzen die Effekte womöglich aushebeln. "Man kann tolle Dinge in der Aerodynamik machen, aber am Ende sollte man das im Gesamtsystem in einer Kosten-Nutzen-Bilanz beurteilen."

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