Der Satellit ERS-2 ist altgedient. Seit 1995 fliegt er durchs All, 16 Jahre lang hat er die Erde beobachtet und unter anderem Daten von Eisströmen in der Antarktis geliefert, von Meerestemperaturen und zur Ozonschicht. Seit 2011 aber ist er arbeitslos. Und jetzt führt ihn die europäische Raumfahrtagentur Esa seinem Ende zu, und zwar sehr wenig zeremoniell: Am Mittwochnachmittag soll er auf die Erde stürzen. Dabei wird der etwa zwei Tonnen schwere Satellit voraussichtlich in der Atmosphäre zerbrechen, und die meisten Teile werden verglühen. Aber nicht alle: Das Europäische Raumflugkontrollzentrum ESOC schließt nicht aus, dass einige Reste noch auf die Erde prallen könnten. Zwischen zehn und 20 Prozent liege die Wahrscheinlichkeit dafür.
Wo genau die Teile landen werden, ist noch nicht abzusehen. Die Flugbahn hängt auch davon ab, wie stark die Sonnenwinde in den nächsten Tagen sein werden. Rein flächenmäßig ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass die Trümmer im Ozean landen, denn die Meere bedecken etwa 70 Prozent der Erde.
Die Esa hatte sich schon 2008 vorgenommen, im All keinen Schrott zu hinterlassen, sondern ihren Müll wieder mitzunehmen. Im Orbit waren Ende 2023 mehr als 36 500 Objekte unterwegs, die zehn Zentimeter oder größer waren. Mehr als 11 500 Tonnen Weltraumschrott schweben durchs All. Die Gefahr ist, dass dieser Weltraumschrott miteinander kollidiert und aktive Satelliten beschädigt. Auch die Internationale Raumstation ISS soll am Ende ihrer Lebenszeit 2030 deswegen gezielt über dem Pazifik abstürzen. Point Nemo heißt die Gegend im Südpazifik, an die alte Raumschiffe gesteuert werden. Doch der Wiedereintritt des Satelliten ERS-2 ist nicht kontrolliert; die Esa hat ihn nur etwas vorbereitet.
Vom Kontrollzentrum des Esa-Weltraumschrott-Büros in Darmstadt aus haben Ingenieure, Physiker und Mathematiker den Satelliten schon 2011 mit dessen letzten Treibstoffreserven aus seiner Umlaufbahn abgesenkt, aus durchschnittlich 785 Kilometern Höhe auf 573 Kilometer. Der letzte Treibstoff wurde laut Esa auch aufgebraucht, um eine "verheerende Explosion" zu verhindern, bei der noch mehr Weltraumschrott entstanden wäre. Das letzte Stück bremst den Satelliten nun die Erdatmosphäre. Das ist nicht steuerbar - "natürlicher Wiedereintritt", nennt es die Esa. Je mehr sich der Satellit dem Wiedereintritt nähert, desto genauer werde die Vorhersage, wann und wo er abstürzen wird.
Updates zur Landezeit veröffentlicht die Esa auf einem Blog. Die letzte Prognose vom 19. Februar um 16.30 Uhr sagte den Eintritt für Mittwoch um 16.41 Uhr voraus, allerdings mit einem Unsicherheitsfenster von 11,5 Stunden früher oder später. In dem Zeitraum von 23 Stunden umläuft der Satellit mehrmals die Erde, die sich unter ihm hinwegdreht. ERS-2 könnte daher im Moment tatsächlich noch überall in die Atmosphäre eintreten .
Benjamin Bastida Virgili arbeitet als Systemingenieur bei dem Weltraumschrott-Büro, das den Eintritt überwacht. Er sagt: "Wir können den Satelliten nur sehen, wenn er über ein Radar fliegt." Das ESOC nutzt dafür ein Radar in Berkum, dazu helfen Sichtungen von dem US-Space Surveillance Network und anderen weiter. Mit jeder neuen Information wird die Flugbahn neu berechnet. Doch zwischen Sichtungen können Stunden vergehen.
Wo "ERS-2" in die Atmosphäre eintreten wird, hängt auch von der Sonne ab
Tatsächlich hängt es von der Sonne ab, wie schnell und wo ERS-2 landen wird. Denn Sonnenaktivität beeinflusst die Dichte der Erdatmosphäre in den Schichten, die den Satelliten ausbremsen. Doch diese Aktivität ist nicht vorhersagbar. Bei dem Wiedereintritt des Satelliten Aeolus im vergangenen Jahr etwa hatte verstärkte Sonnenaktivität den Sturz beschleunigt. Der ehemalige Wettersatellit landete über der Antarktis. Nur zwei Minuten später wäre er schon im Atlantik aufgekommen. Ein weiterer Faktor ist die Ausrichtung des Satelliten in der Atmosphäre: Liegt er längs oder quer zur Flugrichtung?
Neuere Satelliten müssen so konzipiert sein, dass sie bei ihrer Rückkehr auf die Erde möglichst wenig Schaden anrichten. Beim Bau wird entweder darauf geachtet, dass alle Materialien in der Atmosphäre verglühen, also kein Titan oder Stahl enthalten sind. Oder dass sie kontrolliert zurückgebracht werden können. Bei älteren Satelliten war das nicht so.
In den nächsten Tagen wird ERS-2 aus 80 Kilometern Höhe wohl ein letztes Mal wieder etwas zur Erde senden: sein Leuchten als Feuerkugel in der Atmosphäre. Ernsthafte Sorgen machen muss sich auf der Oberfläche aber niemand. Benjamin Bastida Virgili sagt: "Jede Woche tritt ein Objekt dieser Größe in die Erdatmosphäre ein." Selbst wenn Teile von ERS-2 herabfallen sollten: Laut Esa liege das Risiko, von Weltraumschrott getroffen zu werden, bei weniger als eins zu 100 Milliarden. Und das ist immerhin dreimal unwahrscheinlicher, als von einem Meteoriten getroffen zu werden.