Wasserkraft:Alle 700 Meter eine Barriere

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Kleine Wasserkraftwerke stehen aufgrund ihrer schlechten Ökobilanz in der Kritik. Doch über Zehntausende andere Querbauwerke in Flüssen wird kaum gesprochen. Auch manche Forscher fordern eine differenziertere Debatte.

Von David Zauner

Gleichmäßig surrt das Wasserkraftwerk über den Alten Mühlbach. Alexander Redwitz, ein Mann mit Jeans, Hemd und festem Händedruck, schließt die Metalltür zu seinem Werk nahe dem oberbayerischen Tacherting auf. Eine kleine Treppe führt runter zu dem Getriebe der Turbine. Über eine rotierende Eisenstange, auch Längswelle genannt, treibt es den Generator an. Seit weit über hundert Jahren ist dieses - erst Mühle, dann Sägewerk, heute Wasserkraftwerk - in der Hand der Familie Redwitz.

In ganz Deutschland stehen 7800 solcher kleinen Wasserkraftwerke, allein in Bayern sind es 4000. Robert Habeck plante mit dem "Osterpaket" zunächst ein Ende der Förderung von Anlagen mit einer Leistung von weniger als 500 Kilowatt. Der Passus wurde jedoch aus der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) gestrichen, die diese Woche im Bundestag angenommen wurde. Kleine Wasserkraftwerke werden damit zunächst weiter durch die EEG-Umlage gefördert, die Diskussion um sie dürfte jedoch weitergehen. Hintergrund ist ihre schlechte Umweltbilanz. Besonders Wanderfischarten und die Gewässerökologie leiden unter den Werken, kritisieren Umweltverbände. Für die gesamte deutsche Stromproduktion spielen kleine Wasserkraftwerke außerdem mit einem Anteil von weniger als 0,5 Prozent nur eine untergeordnete Rolle. Ein derart geringer Beitrag für die Energiewende rechtfertige nicht die dadurch hervorgerufenen ökologischen Schäden, erklärt eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Nachfrage. Laut einem Faktenblatt des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) stellt die kleine Wasserkraft eine "signifikante Belastung bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinien" (WRRL) in 33 Prozent der deutschen Fließgewässer dar.

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Das Kraftwerk von Alexander Redwitz hat eine Leistung von 130 Kilowatt, also deutlich unter dem veranschlagten Grenzwert. Für ihn ist der Vorstoß des Wirtschaftsministeriums unverständlich. Bach auf- und abwärts stehen 14 weitere Kleinkraftwerke. Zusammen produzieren sie genug Strom, um 3000 Durchschnittshaushalte zu versorgen. In Redwitz' Augen ist die kleine Wasserkraft trotz ihres 0,5-Prozent-Anteils durchaus relevant für das Stromnetz. "Da stimmt die Perspektive nicht", argumentiert er, "der Strom von Kleinwasserkraftwerken wird größtenteils regional verbraucht und spielt deshalb auch regional eine wichtige Rolle."

Peter Rutschmann, emeritierter Professor für Wasserkraft an der Technischen Universität München, sieht außerdem die Grundlastfähigkeit der kleinen Wasserkraft als ihre große Stärke. Im Gegensatz zu Wind und Sonne ist die Wasserkraft nur geringen Schwankungen unterworfen. Zwar übersteigt die Ausbauleistung von Photovoltaik- und Windanlagen die der kleinen Wasserkraftwerke in der Regel deutlich. Allerdings erreichen diese Anlagen binnen eines Jahres nur zwischen 700 und 1000 respektive 1600 und 2600 Volllaststunden. Ein Wasserkraftwerk läuft hingegen durchschnittlich an 4800 Stunden im Jahr an der Leistungsgrenze. Das sei wichtig für die Netzstabilität und ein dezentrales Stromnetzwerk, erklärt Rutschmann.

Lachse und Meerneunaugen wandern zum Laichen die Flüsse hinauf

Dennoch bleibt die politische Abwägungsfrage bestehen. Überwiegt der klima- und energiepolitische Nutzen der kleinen Wasserkraft ihre ökologischen Folgen? Die gesamte Flussmorphologie wird durch Barrieren im Wasser nachhaltig verändert. Der Sedimenttransport wird genauso wie die Wanderung von Organismen unterbrochen. Auch die natürliche Selbstreinigungsfähigkeit von Flüssen verschlechtert sich, da der stetige Durchmischungs- und Verdünnungsvorgang unter den Staustufen leidet. Besonders empfindlich reagieren Wanderfischarten. Dazu zählen etwa Lachse und Meerneunaugen, die den Großteil ihres Lebens auf hoher See verbringen, aber zum Laichen die Flüsse hinauf ins Landesinnere wandern. Ebenso betroffen ist der vom Aussterben bedrohte europäische Aal. Er verbringt die meiste Zeit im Süßwasser, wandert aber bis zur Sargassosee im Atlantik, um abzulaichen.

Dabei liegt die Zerstückelung der deutschen Fließgewässer nicht allein und auch nicht hauptsächlich an Wasserkraftwerken. Das Umweltbundesamt schätzt die Anzahl der sogenannten Querbauwerke auf rund 215 000. Die Schätzung basiert auf einer Erfassung im Rahmen des EU-Forschungsprojekts "Amber" und einer Erfassung durch die Bundesländer. Querbauwerke sind Einbauten im Gewässerbett, die die natürliche Fließdynamik eines Flusses verändern. Im Schnitt steht alle 700 Meter Fluss, Kanal oder Bach eine solche Anlage.

Laut Umweltbundesamt sind allerdings etwa 80 Prozent der Querbauwerke weitestgehend durchlässig für Fische und Sedimente. Darunter fallen etwa Sohlrampen, Aufschüttungen von Felsblöcken in den Fluss, um die Erosion des Flussbettes zu verhindern. Der Auf- und Abstieg der Fische wird dadurch nicht beeinflusst, ebenso wenig von sogenannten Dolen, den Durchlässen für Bäche unter Straßen oder Bahnstrecken. Zu den übrigen rund 40 000 Anlagen zählen neben Wasserkraftwerken Anlagen zur Bewässerung, zum Hochwasserschutz und der Schifffahrt. Viele der kleinen Staustufen befinden sich in Seitenflüssen und -bächen und werden in der Landwirtschaft zur Bewässerung verwendet.

Die Biodiversität der Gewässer leidet erheblich unter dem ständigen Aufstauen der Flüsse, erklärt Sascha Maier, Gewässerexperte des BUND. Eine natürliche Flussdynamik ist wichtig, damit sich eine hohe Artenvielfalt etablieren kann. Die Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet die EU-Mitgliedsländer, bis spätestens 2027 Maßnahmen umzusetzen, die einen guten ökologischen Zustand in den Gewässern wiederherstellen. Zentral sind dabei Maßnahmen, um Querbauwerke durchgängig zu machen oder ganz rückzubauen. Die kurz vor Weihnachten vorgelegten Pläne der Bundesländer, die in Deutschland im Wesentlichen für die Umsetzung der WRRL zuständig sind, führen allerdings Maßnahmen auf, die bis 2050 laufen, kritisiert Sascha Maier. "Das geht alles sehr, sehr schleppend."

Für die Fischmigration spielen die kleinen Flussarme und Bäche, an denen eine Vielzahl von Staustufen stehen, nur eine untergeordnete Rolle. Die Wanderfischarten nutzen vornehmlich die großen Flüsse. "In den großen und mittleren Flüssen sind es vor allem die Wasserkraft und Staustufen für Schifffahrt, die die Fische an ihrer Wanderung hindern", erklärt Maier. Von dem zunächst geplanten Förderstopp des neuen EEG wären die Wasserkraftwerke an den großen Flüssen aber nicht betroffen gewesen. Ihre Ausbauleistung übersteigt 500 Kilowatt in der Regel deutlich. Das sieht bei mittleren Flüssen, wie der Pegnitz, schon anders aus. Das Pegnitzkraftwerk in Lauf nahe Nürnberg hat beispielsweise eine Ausbauleistung von 300 Kilowattstunden. Ökologische Umgehungsmaßnahmen, wie eine Fischtreppe, gehen mit hohen Kosten einher, durch die kleine Anlagen nicht mehr rentabel wären.

Selbst wenn Wasserkraftwerke stillgelegt sind, unterbrechen sie noch den Fluss - doch für den Rückbau gibt es keine Pläne

Bei Werken mit einer Leistung um die 100 Kilowatt, wie bei Redwitz, sind umfassende ökologische Maßnahmen undenkbar. Allerdings hätte eine Fischtreppe an seinem Werk auch kaum einen Nutzen. Anders als die Pegnitz stellt der Alte Mühlbach keinen strategisch wichtigen Wasserweg für Wanderfische dar. Die Debatte um die kleine Wasserkraft müsse viel differenzierter geführt werden, sagt Christoph Hauer, Professor am Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung in Wien. Je nach Größe und Standort haben Wasserkraftwerke ganz unterschiedliche ökologische Auswirkungen. "Dieses Schwarz-Weiß in der Debatte hindert eine objektive Lösungsfindung", bemängelt Hauer, "und damit letztendlich auch eine ökologische Verbesserung der Gewässer." Es brauche einen Katalog mit objektiven Kriterien, schlägt Hauer vor, anhand welcher Nutzen und Schaden nicht nur jedes Wasserkraftwerks, sondern jedes Querbauwerks evaluiert werden. Alte Wehre seien teilweise sogar ökologisch wertvoll, weil sie eine Habitatfunktion erfüllten. Zu Trockenzeiten seien die tieferen, aufgestauten Wasserabschnitte wichtige Rückzugsräume für Fische.

Wie sich ein Ende der Förderung auf Kleinwasserkraftwerke auswirken würde, hängt von der Entwicklung des Energiepreises ab. Bei den derzeit hohen Energiepreisen sind die Kraftwerksbetreiber nicht auf die Förderung angewiesen. Sollte sich der Preis allerdings wieder, wie es die vergangenen 30 Jahre der Fall war, auf einen Börsenpreis von zwei bis maximal sieben Cent pro Kilowatt einpendeln, würde die kleine Wasserkraft vor dem Aus stehen. "Bei einem Motorschaden am Rechen oder wenn am Getriebe was repariert werden muss - ohne Förderung unmöglich", sagt Redwitz.

Redwitz sperrt die Tür des Werks hinter sich zu und blickt über den Bach, der unbeeindruckt die Turbine antreibt. Bei ihm sind es noch sieben Jahre. Wie es ohne Förderung weiterginge, wisse er nicht. Wahrscheinlich noch so lange laufen lassen, bis irgendwas kaputtgeht. Was mit Redwitz' Werk und allen anderen stillgelegten Kraftwerken dann passieren würde, ist unklar. Der BUND fordert einen Rückbau der Werke mit öffentlichen Geldern. Schließlich unterbrechen sie den Fluss oder Bach auch, wenn sie keinen Strom mehr produzieren. Auf Nachfrage teilte das Bundesministerium für Umwelt mit, dass es für den Rückbau bisher keine Pläne gebe.

Anmerkung: In einer ersten Version des Textes hieß es, der Bundestag habe ein Ende der Förderung von Wasserkraftanlagen mit einer Leistung von weniger als 500 Kilowatt beschlossen. Diese Passage wurde jedoch aus dem Gesetz gestrichen, kleine Wasserkraftwerke werden damit vorerst weiter durch das EEG gefördert.

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