Verhaltensbiologie:Innovative Außenseiter

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Ziegen sind im Vergleich zu anderen Paarhufern innovationsfreudig und furchtlos. (Foto: M. Woike/imago images/blickwinkel)

Huftiere, die nicht gut in ihre Gruppe integriert sind, zeigen weniger Angst vor Neuem. Und sie lösen Probleme einfallsreicher als andere.

Von Marie Christin Essert

Dromedare und Ziegen scheinen zu den mutigsten Huftieren zu gehören. Stracks steuern sie auf eine Tafel voller Becher zu, stoßen mit ihrer Schnauze den Deckel weg und stürzen sich auf die darin enthaltenen Leckereien.

Das Ziel des Experiments vom Team um Alvaro Caicoya von der Universität Barcelona war es, herauszufinden, wie Tiere mit neuen Problemen umgehen, und ob sie alte Herausforderungen auf neue Weisen lösen können. Sie beobachteten 111 Tiere aus 13 Arten, darunter auch Giraffen, Rehe und Schafe. Aufgabe der Huftiere war es, sich unbekannten Bechern in ihren Stallungen zu nähern und den Deckel zu entfernen, um an das Futter darin zu kommen. Dieses Experiment soll laut dem Beitrag im Journal Proceedings of the Royal Society B den Einfallsreichtum messen. Auch der Mut der Tiere werde gefordert, da in ihren natürlichen Lebensräumen Neues oft mit Gefahr einhergeht.

Um herauszufinden, welche Faktoren die Neigung der Tiere zu innovativem Verhalten beeinflussen, erfassten die Forschenden, ob die jeweiligen Huftiere gut in ihre Gruppe integriert sind und wie sie generell reagieren, wenn plötzlich neue Objekte in ihren Stallungen auftauchen. Außerdem bezog die Gruppe Geschlecht, Alter und Futtervorlieben der Tiere in die Untersuchung ein. Huftiere wurden in den Experimenten eingesetzt, weil sie - obwohl artverwandt - eine große Bandbreite von Gruppendynamiken, Futtervorlieben und kognitiven Fähigkeiten aufweisen.

Weniger als die Hälfte der beobachteten Tiere wagte es, sich Futter zu holen

So divers die Versuchstiergruppe, so vielseitig waren auch die Lösungsansätze der Tiere. Die Gazellen näherten sich den Bechern unsicher und beschnupperten sie ausgiebig, bis sie nach einiger Zeit vorsichtig mit ihrer Schnauze den Deckel wegstupsten, um die Futterpellets zu fressen. Przewalski-Pferde auf der anderen Seite beschnupperten die Becher nur kurz, bevor sie sie auf den Boden stießen, um sich die Karotten einzuverleiben.

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Beim Becher-Experiment waren die Tiere besonders erfolgreich, die weniger Angst gegenüber Neuem aufweisen und sich in ständig wechselnden Gruppenkonstellationen befinden, also zum Beispiel in einer großen Gruppe schlafen, den Tag aber nur mit wenigen Artgenossen verbringen. Insgesamt haben sich 62 Prozent der 111 Tiere den Bechern genähert, aber nur 40 Tiere haben es geschafft, zumindest einmal Futter aus den Behältern zu holen.

Die erfolgreichsten Teilnehmer am Experiment waren Dromedare und Ziegen. Sowohl das Leben in komplexen sozialen Gruppen als auch domestiziert zu sein, was beides für Dromedare und Ziegen zutrifft, scheint die Bereitschaft zu beeinflussen, sich neuen Herausforderungen zu stellen - war aber in den Experimenten keine Garantie für Erfolg. Immerhin 86 Prozent der Dromedare und rund zwei Drittel der Ziegen konnten die Becher öffnen und somit ihre Lieblingsspeisen wie Karotten und Futterpellets fressen. Ob Geschlecht, Alter und Futtervorlieben die Scheu vor Neuem beeinflussen, geht aus der Studie nicht hervor. Dafür fanden die Forscherinnen und Forscher einen sozialen Faktor: Außenseiter mit loser Bindung zur Gruppe waren besonders erfolgreich. Vielleicht liegt es daran, dass sie es gewohnt sind, weniger abzubekommen, was die Bereitschaft steigert, Risiken einzugehen. Not macht erfinderisch.

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