Er dringt in sie ein, übernimmt die Kontrolle, bricht ihren Willen - und sie können sich nicht wehren. Das Opfer strebt einem Ziel entgegen, das nicht das eigene ist. Und dort wartet der Tod. Der Fadenwurm Myrmeconema neotropicum ist so ein Invasor. Er kapert das Nervensystem von Ameisen der Art Cephalotes atratus, die in Südamerika leben, und steuert deren Verhalten.
Hat der Parasit die Kontrolle über das Insekt übernommen, färbt er dessen Hinterleib um, sodass es statt schwarz knallrot leuchtet. Ist die Zeit gekommen, gibt der Parasit im Ameisenleib den Befehl, nach roten Beeren zu suchen. Willenlos setzt sich die Ameise zwischen die Früchte, reckt ihren roten Hinterleib in die Höhe und verharrt. Damit beginnt Phase zwei des Fadenwurm-Plans. Er muss in den Verdauungstrakt eines Vogels gelangen, um sich fortzupflanzen, Eier zu legen und diese über den Kot des Wirtes in die Welt zu entlassen. Weil der rote Leib der zum Zombie verwandelten Ameise den Beeren so sehr gleicht, wird irgendwann ein Vogel zupicken. Der Lebenszyklus des Wurms beginnt von Neuem.
"Es ist faszinierend, dass Parasiten das Verhalten ihrer Wirte so effektiv ändern können", sagt Michael Dickinson von der Universität Washington, Mitherausgeber des Journal of Experimental Biology, das seine aktuelle Ausgabe vollständig dem Thema Neuroparasiten widmet. Es sind nüchterne Worte für einen schauderhaften Vorgang. "Es hat auch etwas Grausiges und Wunderliches, dass so kleine ,Implantate' in der Lage sind, sogar große Tiere wie Maschinen zu kontrollieren", sagt der Biologe immerhin.
In 18 Übersichtsarbeiten beleuchtet das Fachjournal das Wirken bizarrer Wesen, die das Verhalten ihrer Opfer manipulieren oder sogar vollständig steuern. Viren, Pilze, Würmer, Ein- oder Mehrzeller - das Reich der Neuroparasiten ist eine Welt, die gegenwärtiger ist, als einem lieb sein kann. Die Rolle der winzigen Schmarotzer werde stark unterschätzt, heißt es in der Sonderausgabe des Journal of Experimental Biology.
Diese Organismen hätten wahrscheinlich stärkeren Einfluss auf Ökosysteme, Physiologie, evolutionäre Prozesse sowie das Verhalten von Tieren und sogar Menschen, als man anzunehmen wage. Es ist, als drehe die Natur täglich Zombiefilme mit Titeln wie "Das Grauen im Baumwipfel". In den Hauptrollen: Baculoviren und Raupen. Eine Infektion mit den Erregern setzt ein Enzym im Körper der Wirtstiere frei, das ein Hormon deaktiviert. Dieses regelt normalerweise das Fressverhalten der Raupen und gibt das Signal, wenn es Zeit ist, die Mahlzeit einzustellen und sich zu verpuppen. Die gekaperten Raupen sind hingegen gezwungen, nimmersatt zu fressen. Dabei krabbeln die Tiere in die Wipfel der Bäume, auf denen sie leben. Dort birst ihr Körper - ein von Viren verseuchter Platzregen fällt nieder und infiziert neue Opfer auf dem Baum.
Im Grunde beeinflusst jeder parasitäre Organismus das Verhalten seiner Opfer. Malariakranke zum Beispiel leiden an Fieber, was deren Aktivität einschränkt. Doch Neuroparasiten treiben ein perfideres Spiel und zwingen ihre Wirte oder Zwischenwirte zu teils ausgefeilten Handlungen, die den Reproduktionserfolg des Schmarotzers erhöhen. Das Baculovirus treibt Raupen in die Baumwipfel. Saitenwürmer zwingen Heuschrecken, Wasser aufzusuchen, damit sie sich fortpflanzen können. Zoologen der Universität Montpellier haben befallene Tiere beobachtet, wie diese reihenweise im Auftrag ihrer Herren in einen Swimmingpool sprangen und ersoffen.