Indianer und Naturschutz:Das Märchen vom edlen Wilden

Die Ureinwohner Amerikas gelten als Menschen, die im Einklang mit der Natur lebten. Doch das war keineswegs der Fall. Mitunter zerstörten sie sogar ihre eigene Lebensgrundlage.

Sebastian Herrmann

Die Siedler fanden ein grünes Paradies. Dann begannen sie, den Wald an den Ufern des Delaware Rivers im Osten der heutigen USA zu roden. Auf den freien Flächen bauten sie Mais an, in den umliegenden Wäldern jagten sie Wild. Verschwanden die Hirsche, drangen die Jäger entlang des Flusses in neue Gebiete vor. Auch dort rodeten sie den Wald, um Siedlungen und Felder anzulegen.

Büffeljagd

Umweltschützer präsentieren heute Bilder von Indianern als Anklage gegen die Umweltzerstörung in den Industrienationen. Demnach jagten die Ureinwohner Amerikas zum Beispiel nur für den eigenen Bedarf. Doch auch sie gingen rücksichtslos mit den natürlichen Ressourcen um. Auf dem Bild: Büffeljagd, gemalt von George Catlin, 1844,

(Foto: public domain)

Die Spuren dieses Eingriffs in die Natur sind bis heute zu lesen. Geologen um Gary Stinchcomb berichten, dass die Gegend am Fluss durch die Rodungen und die Landwirtschaft häufiger überflutet wurde als vor Ankunft der Siedler (Geology, online).

Der Eingriff in das Ökosystem beeinträchtigte das Leben jener Menschen, die dafür verantwortlich waren: Indianer vom Stamm der Lenape. Es waren Ureinwohner Nordamerikas, die Wälder am Delaware River abholzten und die Wildbestände dezimierten.

Für die Zeit von 1000 nach Christus bis etwa 1600 deuteten die Sedimente sowie archäologische Fundstücke im Flusstal auf häufige und heftige Überflutungen hin, sagt Stinchcomb. Die Daten zeigten, dass wahrscheinlich intensive Landnutzung die Ursache dafür gewesen sei, schreiben die Wissenschaftler von der Baylor University in Waco und dem Smithsonian National Museum of Natural History.

Indianer zerstörten die Umwelt, in der sie lebten? Die Ureinwohner Nord- und Südamerikas gelten doch bis heute als Menschen, die im Einklang mit der Natur lebten und erst durch die Europäer korrumpiert wurden.

"Den edlen, mit der Umwelt in Harmonie lebenden Wilden hat es nie gegeben", sagt Raymond Hames, Anthropologe an der University of Nebraska, der eine Übersichtsarbeit zum Thema im Fachjournal Annual Review of Anthropology veröffentlicht hat. Das zeige nun abermals die Studie aus dem Tal des Delaware Rivers.

Das Märchen vom Indianer, der in tiefer spiritueller Verbundenheit mit der Natur lebt, verrät viel über die romantische Sehnsucht der Europäer und nichts über die indigene Bevölkerung Amerikas. Mit der industriellen Revolution erhielt die Idee unter europäischen Intellektuellen Auftrieb, dass sich in den Schloten der Fabriken und den Elendsvierteln der Städte ein grundsätzlicher Bruch offenbare: Der moderne Mensch werde von seinen spirituellen Wurzeln getrennt; er sei durch die moderne Technik wie einst Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben worden.

"Das Stereotyp vom edlen Wilden diente dazu, ein Schlaglicht auf die Probleme des modernen Europa zu werfen, indem auf Gesellschaften hingewiesen wurde, die diese Probleme nicht kennen", schreibt Hames. Literatur und Kunst inszenierten primitive Gesellschaften als Gegenutopia zu den Industriestaaten. "Zum Teil liegt das an einer intellektuellen Kultur, die nur widerwillig einräumt, dass die Institutionen der Zivilisation und die westlichen Gesellschaften auch positive Seiten haben", beklagte der Evolutionspsychologe Steven Pinker von der Harvard University in einem Beitrag im New Republic.

Zu den Ikonen des Öko-Wilden wurden die Ureinwohner Amerikas. Schon die ersten Siedler aus Europa beschrieben das dünnbesiedelte Land als irdisches Naturparadies. Einflussreiche US-Wissenschaftler wie George Bird Grinnell und Gifford Pinchot erklärten dann Ende des 19. Jahrhunderts, die Indianer seien von Natur aus Umweltschützer. Sie fanden mit ihrer These Gehör.

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