Artensterben:Abschied von der Meerjungfrau

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Dugongs, Angehörige der Seekuh-Art aus dem indopazifischen Raum, haben gabelförmige Schwanzflossen. Die ihrer karibischen Verwandten sind rund. (Foto: Patrick Louisy/dpa)

Dugong-Seekühe haben viele Mythen über Meermenschen und Sirenen inspiriert. In China haben Forscher die Tiere nun für ausgestorben erklärt.

Von Kathleen Hildebrand

Nein, hübsch im klassischen Sinn sind sie nicht. Und doch kann man mit ein bisschen Mühe nachvollziehen, dass Menschen Seekühe seit Urzeiten ansahen und später am Lagerfeuer, Meermenschen aus ihnen machten: Zum Beispiel scheinen sie zuweilen im Wasser zu "stehen", was ihnen ein entfernt menschliches Aussehen verleiht. An ihren vorderen Flossen haben sie fünf fingerartige Knochen, ihren Kopf können sie drehen. Ihre Flossen - mal rund wie die der Matais in der Karibik, mal gespalten wie bei den Dugongs im Pazifik - erinnern an die der Fabelwesen. Als Christopher Kolumbus 1493 auf seiner ersten Amerikareise Haiti erreichte, war er überzeugt, am Bug seines Schiffes Meerjungfrauen gesehen zu haben. Sie seien aber "nicht so schön, wie man es ihnen nachsagt", heißt es in seinem Bordbuch. Ihre Gesichter erinnerten an die von Männern.

Bei all den Geschichten, die Seekühe inspiriert haben, ist die Nachricht, die Forscher nun im Fachmagazin "Royal Society Open Science" veröffentlicht haben, besonders traurig: Dugong-Seekühe wurden in China für ausgestorben erklärt. Laut einer Studie gaben in den vergangenen fünf Jahren nur noch drei befragte Fischer an, eines der Tiere, die auch Gabelschwanzseekühe oder Seeschweine (Dugong dugon) genannt werden, gesehen zu haben. Verifizierte Feldbeobachtungen hat es demnach in der Region sogar bereits seit 23 Jahren nicht mehr gegeben.

Dugongs ernären sich hauptsächlich von Seegras. Sie brauchen viel davon, weil die Pflanzen nur wenige Kalorien haben. (Foto: Patrick Louisy/dpa)

Historische Aufzeichnungen von Dugongs erreichten demnach ihren Höhepunkt um 1960 und sanken dann ab 1975 schnell ab. "Auf der Grundlage dieser Ergebnisse müssen wir zu dem Schluss kommen, dass Dugongs in den letzten Jahrzehnten einen schnellen Populationszusammenbruch erlebt haben und jetzt in China funktional ausgestorben sind", so die Wissenschaftler. Der schnelle Rückgang der Dugong-Population ist laut der Forscher eine "ernüchternde Erinnerung" daran, dass das Aussterben einer Art auftreten könne, bevor wirksame Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden können.

Nahrungsknappheit und Fischernetze bedrohen die trägen Tiere

Die Weltnaturschutzunion listet den Dugong als vom Aussterben bedroht. Wie viele Tiere es im gesamten Verbreitungsgebiet noch gibt, ist nicht bekannt. Dugongs kommen an den Küsten von vielen tropischen und subtropischen Ländern von Ostafrika bis in den Südpazifik vor. Die weltweit größte Population ist im Norden Australiens heimisch.

In der Geschichte waren die langsamen Tiere einfache Beute für Jäger. Heutzutage sind sie hauptsächlich durch Bau und Industrie an den Küsten, den Rückgang von Seegrasweiden sowie durch Fisch- und Hainetze bedroht, in denen sich die Tiere verheddern.

Im indopazifischen Raum bevölkert die Gabelschwanzseekuh seit Jahrhunderten viele Legenden. Der Name Dugong, mit dem die Tiere auch bezeichnet werden, geht auf ein malaysisches Wort zurück, das so viel wie "Dame des Meeres" heißt. Den Legenden der Ureinwohner des pazifischen Inselstaats Palau zufolge, ist der Dugong einst ein Mensch gewesen. Es gibt dort eine Tradition von Geschichten von jungen Frauen, die in Seekühe verwandelt wurden. Holzschnitzereien zeigen Fischer, die nach Unfällen auf dem Meer Hilfe von den Tieren erhielten. In der Gegend um das japanische Okinawa, wo die nördlichste Dugong-Population lebt, sah man die Tiere als Botschafter der Meeresgötter. Eine Geschichte handelt davon, dass es die Seekühe waren, die den Menschen den Liebesakt beigebracht haben. Dugongs nehmen sich für die Paarung Zeit. Männchen und Weibchen umarmen sich dabei, alle paar Jahre kommt ein Junges zur Welt, das der Mutter dann bis zu zwei Jahre auf ihren Wegen folgt.

Vielleicht können die Legenden, die sich um die Seekühe ranken in Zukunft nicht nur weitere Geschichten, sondern auch Maßnahmen zu ihrem Schutz inspirieren.

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