Schweinegrippe:Wo bleibt der Impfstoff?

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Immer mehr Impfwillige strömen in die Praxen. Viele werden jedoch auf Wochen vertröstet: Es sind noch nicht ausreichend Impfdosen ausgeliefert worden.

Knapp drei Wochen nach Start der Schweinegrippe-Impfung gibt es in Deutschland erste Engpässe: Die bisher ausgelieferten Impfdosen reichen mancherots für die rasant gestiegene Nachfrage nicht aus. In manchen Bundesländern soll es einen regelrechten "Run" auf die Arztpraxen geben.

Nach Warnungen vor einer neuen Schweinegrippe-Welle erlebt das Düsseldorfer Impfzentrum einen Ansturm von Impfpatienten. (Foto: Foto: dpa)

In Niedersachsen müssen Menschen oft wochenlang auf eine Impfung gegen das Pandemie-Virus warten. In Rheinland-Pfalz ist nach Informationen von sueddeutsche.de die Mehrzahl der 150 Bezugsapotheken erst am Freitag mit dem Impfstoff versorgt worden. Die bisher ausgelieferten Dosen waren aufgebraucht. Auch in Brandenburg können deshalb die Impfärzte erst ab Mitte nächster Woche auf den Impfstoff zurückgreifen.

Dennoch halten sich die Bundesländer mit Bestellungen des neuen Schweinegrippe-Impfstoffs vorerst zurück. Der Vorrat des bereits georderten Impfstoffs reiche zunächst aus, hieß es aus dem Erfurter Gesundheitsministerium. Thüringen hat derzeit den Vorsitz der Gesundheitsministerkonferenz.

Lieferschwierigkeiten in allen Bundesländern

Indes sind in Berlin und in anderen Orten Deutschlands die Info-Telefone zur Schweinegrippe überlastet. In Niedersachsen werden laut Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) mittlerweile Wartelisten mit mehreren Wochen Wartezeit geführt. Es deute sich an, dass im Laufe des November möglicherweise die Impfstoff-Lieferung die Nachfrage nicht ganz decken kann, sagte die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker.

Gesunde, die nicht den genannten Gruppen angehören, müssten in diesem Fall noch warten, bis wieder ausreichend Impfstoff vorhanden ist. Laut Sozialministerium werden in der kommenden Woche voraussichtlich nur 136.000 Dosen des Impfstoffes geliefert statt der zugesagten wöchentlichen 200.000 Dosen. Umso wichtiger sei es, dass zunächst die Risikogruppen geimpft werden, hieß es.

In Münster (Nordrhein-Westfalen) ist das gelieferte Serum wegen des großen Andrangs bereits komplett aufgebraucht. Nach Angaben der Stadt wurden rund 8000 Impfportionen an niedergelassene Ärzte und Betriebsärzte verteilt. In den nächsten Tagen sollen weitere 5000 Impfdosen geliefert werden.

Auch in Bayern haben zahlreiche Arztpraxen nicht genug Impfstoff gegen die Schweinegrippe vorrätig. Ärzte müssten Patienten, die sich impfen lassen wollen, oft wieder wegschicken, sagte Wolfgang Krombolz vom Bayerischen Hausärzteverband am Freitag in München und verwies ebenfalls auf Lieferschwierigkeiten.

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Das bayerische Gesundheitsministerium erklärte auf Anfrage, der Hersteller habe Produktionsschwierigkeiten eingeräumt. Anstelle der 750.000 bis 900.000 veranschlagten Dosen seien rund 600.000 Dosen in den vergangenen drei Wochen ausgeliefert worden. Im Dezember wolle der Hersteller die vereinbarten Mengen liefern können. Bis dahin bemühten sich Ministerium, Ärzte- und Apothekenverbände um eine gleichmäßige Versorgung mit Impfstoff.

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In allen Bundesländern gebe es Lieferschwierigkeiten, bestätigte die Sprecherin des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums, Beate Fasbender-Döring, am Freitag auf Anfrage von sueddeutsche.de. "Es war schon klar, dass wir nicht alle bestellten 2,4 Millionen Dosen auf einen Schlag bekommen konnten", erläuterte sie die Lage in Rheinland-Pfalz. Doch sei man von einer Lieferung von 100.000 Dosen pro Woche ausgegangen. In drei Wochen seien allerdings nur insgesamt 200.000 geliefert worden. Gleichzeitig habe sich das Interesse der Bevölkerung deutlich erhöht, insbesondere die Anfragen bei Kinderärzten.

Run auf die Praxen

Innerhalb weniger Tage habe sich die Einstellung der Bevölkerung zur Impfung gegen die Schweinegrippe komplett gedreht, sagte Uwe Köster von der Kassenärztlichen Vereinigung (KVN) in Hannover. Waren zuvor viele Menschen noch wegen der Nebenwirkungen skeptisch, gebe es jetzt einen regelrechten Run auf die Praxen. "Manche empfinden es als geradezu lebensbedrohlich, wenn sie die Impfung nicht sofort erhalten", sagte Köster.

Dennoch bleibt einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage zufolge die Mehrheit der Deutschen weiterhin skeptisch. 14 Prozent der Befragten gaben im ARD-Deutschlandtrend an, sich auf jeden Fall gegen das H1N1-Virus impfen zu lassen. Das sind zwei Prozentpunkte mehr als im Vormonat. 20 Prozent wollen sich wahrscheinlich gegen die Schweinegrippe impfen lassen. Eine Mehrheit von 62 Prozent der Deutschen will sich aber wahrscheinlich nicht (31 Prozent) oder auf gar keinen Fall (ebenfalls 31 Prozent) impfen lassen. Infratest-dimap befragte für die ARD in dieser Woche 1000 volljährige Deutsche.

In Deutschland sind bislang rund 30.000 Fälle von Schweinegrippe bekannt. Neun Todesfälle werden bisher mit dem Virus H1N1 in Verbindung gebracht. Allein am Mittwoch hatten Kliniken und Behörden drei weitere Tote gemeldet. Laut Robert-Koch-Institut (RKI) sind weitere Todesfälle bei einem Anstieg der Fallzahlen zu erwarten. Dabei müsse auch damit gerechnet werden, dass auch Patienten ohne relevante Vorerkrankungen an der Schweinegrippe sterben werden.

H1N1-Impfung dringender als anderer Schutz

Experten sehen deshalb mittlerweile die Schweinegrippen-Impfung dringender als die Immunisierung gegen die saisonale Grippe. Entgegen bisheriger Empfehlungen raten nun Ärzte auch zu einer Schweinegrippen-Impfung für Kinder. Auch Kleinkinder im Alter von unter drei Jahren sollen sich den Impfstoff verabreichen lassen. Grund für die geänderte Empfehlung sei die zunehmende Zahl von Erkrankungen bei Kindern aller Altersgruppen sowie die verbesserte Datenlage bei Impfungen dieser Kleinkinder.

Unterdessen wurde in Deutschland ein weiterer Impfstoff gegen die Schweinegrippe zugelassen. Das Präparat Celtura wird laut Hersteller Novartis mittels Zellkulturen hergestellt, die meisten anderen Grippe-Impfstoffe dagegen in Hühnereiern. Das Serum, das einen Wirkverstärker (Adjuvans) enthält, kann auch Menschen mit Hühnereiweißallergie gegeben werden.

"Wer Grippe hat, hat H1N1"

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Schweinegrippe-Erreger zum dominanten Virus in der diesjährigen saisonalen Krankheitswelle geworden. In einigen Ländern hätten sich 70 Prozent aller Grippekranken mit dem H1N1-Erreger angesteckt, hieß es. Inzwischen wird in mehr als zwanzig Ländern gegen die Schweinegrippe geimpft. Auch in Deutschland grassiert vorerst nur die Schweinegrippe. "Wer Grippe hat, hat H1N1", sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Jörg Hacker.

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