Tiere:Wien glibbert

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Quallen gibt es nur im Meer? Von wegen? "In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat man fast überall in unseren Seen Süßwasserquallen gefunden", sagt Herwig Stibor. (Foto: imago images / blickwinkel)

Mitten in Österreichs Hauptstadt schwimmen plötzlich Tausende Quallen in der Donau. Wo kommen sie her? Und sind die Nesseltiere gefährlich?

Von Tina Baier

Quallen kennen die meisten Menschen nur aus dem Sommerurlaub am Meer. Aber mitten in Wien in der Donau? Was klingt wie eine dieser urbanen Legenden - etwa die vom Krokodil im New Yorker Abwassersystem -, ist in der österreichischen Hauptstadt Realität: In der Kuchelau im Norden Wiens pulsieren Tausende kleine Quallen durch das Donau-Wasser. Wo kommen sie her? Und ist das normal?

Man könnte es vielleicht so sagen: Es gehört wahrscheinlich zur neuen Normalität in Zeiten des Klimawandels. Die etwa 2,5 Zentimeter kleinen Süßwasserquallen der Art Craspedacusta sowerbii entwickeln sich nämlich nur, wenn die Wassertemperatur mehrere Tage lang über 25 Grad Celsius liegt. Aufgrund der Erderwärmung dürfte das in Zukunft öfter vorkommen.

In warmem Wasser schnüren sich aus den ein bis zwei Millimeter kleinen Polypen, die mittlerweile in vielen Süßgewässern in Österreich und auch in Deutschland vorkommen, die viel auffälligeren Medusen ab. Sie bestehen zu 99,3 Prozent aus Wasser und haben damit den höchsten je bei einem Tier festgestellten Wassergehalt. "Zusätzlich zur Temperatur sind aber noch andere Faktoren notwendig, damit die Polypen Medusen bilden", sagt Sabine Gießler, die die Süßwasserqualle an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität erforscht.

Es gibt noch ein paar ungelöste Rätsel, was die kleine Qualle betrifft

Welche genau das sind, ist noch nicht bekannt. Die Konzentration des Treibhausgases CO₂ könnte eine Rolle spielen, aber auch die Mondphase. Rätselhaft ist auch, warum die Polypen überhaupt Medusen bilden. Bei anderen Nesseltieren dient dieses Stadium der sexuellen Vermehrung. Doch bei Craspedacusta sowerbii kommen meist nur weibliche oder nur männliche Tiere in ein und demselben Gewässer vor, die beiden Geschlechter treffen also so gut wie nie zusammen.

Anders als die Quallen schwimmen die Polypen nicht frei im Wasser, sondern sitzen fest auf Steinen oder Pflanzen oder docken an Booten und Stegen an. Es sind Abertausende - man sieht sie in der Regel nur nicht, weil sie so winzig sind. Aber sie sind überall: Sabine Gießler hat in ungefähr hundert Seen in Deutschland und Österreich nach ihnen gesucht. "In 80 Prozent sind wir fündig geworden", sagt sie.

Ursprünglich stammt Craspedacusta sowerbii wahrscheinlich aus dem Jangtse-Fluss in China, wo die Qualle auch "Pfirsichblütenfisch" genannt wird. In Europa wurde sie erstmals im Jahr 1880 entdeckt - in einem Wasserlilienteich im Londoner Regent's Park. Die Polypen sind wahrscheinlich zusammen mit Zierpflanzen aus China dorthin gelangt. Sie reisen aber auch mit Zierfischen oder im Gefieder von Wasservögeln.

Die Medusen sind für Menschen vollkommen ungefährlich. Sie haben zwar Nesselzellen, mit denen sie Rädertierchen und andere kleine Lebewesen lähmen und erlegen, doch anders als die Nesseln vieler ihrer im Meer lebenden Verwandten durchdringen die Nesseln der Süßwasserqualle die Haut des Menschen nicht.

Theoretisch gibt es also keinen Grund, in einem Gewässer, in dem die Quallen vorkommen, nicht zu baden. Die Medusen sind sogar ein Zeichen für gute Wasserqualität - sie brauchen sauberes Wasser und kommen daher in verschmutzten Seen und Flüssen nicht vor.

Ohnehin werden die Quallen aus Wien wohl bald wieder verschwinden. Anders als die widerstandsfähigen Polypen, die sogar den Winter überstehen, haben die Medusen nur eine sehr kurze Lebensdauer.

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